Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART: SIEGFRIED – das zur Komödie verleitete Scherzo

31.03.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Stuttgart „SIEGFRIED“ 30.3.2914 (WA 23.3.)Das zur Komödie verleitete Scherzo

siegf a 6 0415_125
Köstlich präzise  Mime-Studie mit Charakter und lyrischem Schönklang: Heinz Göhrig. Foto: A.T.Schaefer

Die fragwürdig bleibende Überantwortung der vier Teile von Wagners „Ring“ an verschiedene Regisseure, wie es Ende der 90er Jahre in Stuttgart erstmals in der Aufführungs-Geschichte des Werks erfolgt war, erlaubt nun durch ihre Ungebundenheit die Wiederaufnahme einzelner Abende, auch in umgekehrter Reihenfolge. Nach „Götterdämmerung“ in der vergangenen Spielzeit kam nun die von Hausherr Jossi Wieler (wie immer gemeinsam mit Chefdramaturg Sergio Morabito) entworfene Version des zweiten „Ring“-Teils wieder auf die Bühne. Lars Franke hat die Neueinstudierung mit all der in Erinnerung gebliebenen Detailtreue geleitet.

Sowohl die Positiva als auch Fehlgriffe konnten nun unverändert bestätigt werden. Anna Viebrocks Bühnenbilder verlieren von Akt zu Akt an Verknüpfungspunkten mit der Handlung, wobei das Fehlen jeglicher Waldstimmung zugunsten einer durch einen Stacheldrahtzaun abgeschotteten „Neidhöhle“ sich am weitesten von der musikalischen Atmosphäre entfernt. Der bei diesem zweiten Abend  gern verwendete Begriff Scherzo manifestiert sich im ersten Akt durch ein bisweilen komödiantisches Potential, das es zwischen Siegfried und seinem Ziehvater Mime so richtig zünden lässt und nebenbei köstliche Parallelen zu einer Männerwirtschaft ermöglicht. Zwischen den beiden erlaubt auch der grotesk-komische Text so manche amüsante Pointe – im Gegensatz zur Wiedererweckung Brünnhildes, die hier in einem klinisch reinen Schlafzimmer in eine überbetont augenzwinkernde oder gar überspitzt herbei geführte Komödie mit Versteckspielen im Schrank, Kissenschlacht und Deckengezerre ausartet. Eine Spur Ironie mag noch hergehen, aber so ein ernsthaftes Geschehen der Lächerlichkeit preisgeben, überspannt den Bogen und steht in krassem Kontrast zur breit melodisch angelegten Romantik. Da ist es manchmal besser die Augen zu schließen und sich dem Klangkosmos hinzugeben, den Marc Soustrot mit dem sehr konzentrierten Staatsorchester Stuttgart mit satten Streichern und weich organisch angesetzten Blecheinsätzen mit viel Gefühl und Raum für symphonische Zusammenhänge und Stimmungsbilder entfaltet. Auch in den von viel Parlando bestimmten Siegfried-Mime-Szenen entwickelt sich unter seiner Leitung ein flexibles Spiel zwischen Geben und Nehmen sowie eine sehr genaue Koordination zur Bühne.

Der aus dem Graben kommende Farbreichtum findet nicht bei allen Solisten seine Entsprechung. Darunter leidet auf Dauer die ansonsten bravouröse Leistung von Daniel Brenna in der Titelrolle. Rein optisch als kompaktes Riesenbaby mit zotteligen blonden Haaren und Schlabber-Kleidung von idealer Physiognomie und in der Tollheit seiner ungestümen Pubertät ein spielerisch lockerer Darsteller, zeigt er sich vokal als robuster Tenor mit viel Durchhaltevermögen, ausreichender Tiefen-Resonanz und einer hell durchdringenden fülligen Höhe, wobei die Spitzen meist eher kurz geraten oder nicht immer zuverlässig parat sind. Sein Vortrag ist expressiv, aber phasenweise zu dick im Ton und eben leider ohne jene farblichen Differenzierungen, die seinen Einsatz noch zusätzlich interessanter und abwechslungsreicher erscheinen lassen würden. So oder so aber ein Wagner-Interpret, den die internationale Opernwelt mehr als gut gebrauchen kann.

Bei der Wiederaufnahme musste er noch durch Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ersetzt werden, jetzt konnte der wieder fast genesene Premieren-Interpret Heinz Göhrig ohne hörbare Anstrengung  in seiner Glanzrolle als Mime nur Staunen machen, wie das langjährige Ensemble-Mitglied an Substanz und Fülle noch hinzugewonnen hat ohne dabei den Schönklang und die Leichtigkeit seines lyrischen Tenors verloren zu haben. In Verbindung mit seiner vorbildlich präzisen Artikulation erhöht er noch das Vergnügen an seiner süffisanten Charakterisierung des Nibelung zwischen Verschlagenheit und Jammerlappen.

Markus Marquardt wiederum agiert als in Jeans, Schirmkappe und Sonnenbrille auftretender Wanderer mit dem in sich ruhenden Selbstbewusstsein eines Machtmenschen, der bis zuletzt nicht begriffen hat, dass seine Zeit vorbei ist. Vokal unterlegt er seine Position durch die Ebenmäßigkeit seines gut fundamentierten Bassbaritons, der sich in den Höhen besonders schön, rund, tragfähig und ohne jegliche Härte öffnet.

Michael Ebbeckes Alberich verfügt über die von diesem Sänger immer gewinnbringende Bühnen-Präsenz und das Ausdrucks-Potential eines inzwischen wieder besser kontrollierten Baritons, so dass auch Forte-Passagen bei aller Dringlichkeit unforciert gelingen.

Attila Juns voluminös gesättigter Bass hätte keiner anfänglichen Verlautbarung durch den verzerrenden Lautsprecher des Hochsicherheitstraktes seines Verstecks bedurft und schafft es auch rein akustisch die Bedrohlichkeit Fafners einzufangen, die ihm hier ohne jegliche monsterhafte Tarnung verweigert ist.

Siegfried Brenna,Libor HPO 14 721
Erweckung im Schlafzimmer:  Daniel Brenna (Siegfried) und Christiane Libor (Brünnhilde). Foto: A.T.Schaefer

Die in die zweite Reihe verwiesenen Frauen-Gestalten stehen dennoch nicht nach. Christiane Libor kann sich bei ihrem Stuttgarter Opern-Debut mit einem ganz besonders üppigen jugendlich-dramatischen Sopran als Brünnhilde ins Zentrum und an die Spitze des Ensembles rücken. Schlank in der Führung und von einer in der Höhe begeisternd leuchtenden und treffsicheren Emphase, trägt sie entscheidend dazu bei, dass die Steigerung am Ende zum „lachenden Tod“ so richtig mitreißt.

Renée Morloc schafft es mit ihrem klaren und in der Tiefe leicht und voll ansprechenden Alt ihrer Erda einen schwebend gedeckten Klang und eine Aura wie aus der Ferne einer dunklen Vergangenheit zu erzielen.

Der als blindes Männlein in grauer Stoppelfrisur eingesetzte Waldvogel bekommt durch Josefin Feilers (Opernstudio) kräftigen lyrischen Sopran bei gleichzeitig leichtem Tonfall mehr vokales Gewicht als bei oft üblichen Besetzungen mit einem schmalen Koloratursopran.

Gut verteilte Ovationen für einen musikalisch wenig eingeschränkten und szenisch wechselnd stimmigen Wagner Abend.                     

Udo Klebes

 

Diese Seite drucken