Stuttgarter Ballett:„OTHELLO“ 21.10.2013 – zuletzt doch noch ein gewinnendes Debut:
Blutjunges sympathisches Debut-Paar: Elisa Badenes (Desdemona) und Constantine Allen (Othello). Copyright: Stuttgarter Ballett
Die Vergabe der Titelrolle in Neumeiers immer noch sehr modern und teilweise radikal anmutender Shakespeare-Choreographie an einen gut 20jährigen Halbsolisten gehört zu den großen Wagnissen, die Reid Anderson in seiner Amtszeit immer mal wieder eingegangen ist. Doch weil der gerade mal gut 20jährige Constantine Allen bislang noch keine Hauptrolle getanzt hatte und somit weder über eine gewisse Reife noch tänzerische Erfahrung verfügt, die gerade für den Mohren von Venedig als Voraussetzung gelten, lag eine ganz besondere Spannung über diesem Debut-Abend.
Während des ersten Teils steckte ihm die Nervosität noch sichtbar in den Knochen – außer einem auffallend schön gebauten braunen Tänzerkörper und einem jungenhaft in die Runde strahlenden Gesicht hat er inmitten des anfänglichen Gruppen-Arrangements nichts zu bieten, was auf einen der Autorität heischenden Feldherrn schließen könnte. Im durch Arvo Pärts versunkener Musik ganz nach innen gerichteten Pas de deux zeigt er immerhin musikalische Einfühlung und eine trotz des extrem langsamen Tempos beachtliche Bewegungs-Balance und findet zu ordentlicher Übereinstimmung mit Desdemona, ehe spätere Hebungen unter dem Druck des Debuts unruhig und fahrig in den Linien geraten.
Doch nach der Pause scheint alle Aufregung abgeschüttelt, der Tänzer taute auf, zeigte sich mit zunehmender Manipulation durch Jago zu einem gewissen Profil herausgefordert. Mit zunehmendem Eintauchen ins Psychologische, verstörten und verunsicherten Blicken, phasenweisem Verlieren der Selbstbeherrschung optimierte sich auch das Technische in weitreichenderen, gestreckteren Sprüngen und Sätzen. Als er zuletzt noch die Spannung über die von Neumeier als langes schrittweises Versinken in die Leere des Todes angelegte Schluss-Szene zu halten und mit seiner Partnerin in anderen Besetzungen weniger berührende Details zu offenbaren vermochte, war die Erleichterung groß. Dem Hawaiianer war es nach schwachem Start doch noch gelungen, so viel an Potenzial zu entfalten, wie es wohl Neumeier und Anderson in ihm gesehen hatten, um ihm diese Rolle anzuvertrauen. Wenn Allen auch durch den blassen und gehandicapten ersten Teil die Entwicklung des Charakters schuldig blieb, bewies er doch so viel schauspielerische Veranlagung, die es ihm ermöglichen wird, in einigen Jahren ganz in die Rolle hinein zu finden und wachsen.
Seine Besetzung war insofern stimmig, als die Desdemona mit Elisa Badenes genau so blutjung ist und die beiden ein ausgesprochen attraktives, sympathisches Paar bilden. Die spanische Erste Solistin hatte ihm allerdings deutlich mehr Rollenerfahrung und die hier zwar eher im Hintergrund stehende, aber doch bemerkbar versiertere Technik voraus, so dass ihr Debut von einer bemerkenswerten Ruhe und Versenkung in den liebe- und leidensvollen Charakter Desdemonas getragen war. Wie natürlich sie Othello anhimmelt, wie sehr sie sich seiner Liebe hingibt und später auf seinen Fassungsverlust reagiert, und dem Tode nahe Würde und Größe bewahrt, zeugt von einer für ihr Alter erstaunlich wissenden gestalterischen Intuition.
Strenge zwischen Anna Osadcenko (Emilia) und Evan McKie (Jago). Copyright: Stuttgarter Ballett
Beherrscht wurde das Geschehen indes von Evan McKie, der als Jago mit lauernden Blicken, einer beinahe verführerisch effektiven Bewegungs-Koordination und genussvoll vergiftender Bearbeitung Othellos das ideale szenische Pendant zu Alfred Schnittkes sich synonim dazu in die Gehirnwindungen bohrendem Concerto grosso verkörpert. Ein wahrhaft böses Rollenportait von mephistophelischer Größe und Wirksamkeit. Anna Osadcenko hat als seine Frau Emilia wirklich nichts zu lachen, so streng, fast maskenhaft folgt sie seinen Demütigungen, ehe sie mit dem gefundenen Taschentuch doch noch etwas mehr Willen und Lebendigkeit durchzusetzen versucht.
David Moores unterwürfiger Cassio gefällt als netter, freundlicher, fast zu normaler Typ, so dass die Amouren mit Desdemona etwas aufgesetzt anmuten und das etwas Zweischneidige an diesem Part verloren geht.
Zusammen mit den weiteren, im Wesentlichen gleich gebliebenen Besetzungen und dem im zweiten Teil viel konzentrierte Stimmung befördernden Staatsorchester Stuttgart unter James Tuggle formierte sich letztlich alles trotz gewisser Schwächen zu einem keineswegs unbefriedigenden und kalt lassenden Gesamteindruck.
Udo Klebes