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STUTTGART: ONEGIN – Variationen dr Leidenschaften. Ballett

Stuttgarter Ballett: „ONEGIN“ 27.+28.10. 2012– Variationen der Leidenschaft


Intensiv und musikalisch bestechend: Hyo-Jung Kang als Tatjana mit Evan McKie als Onegin. Copyright: Ulrich Beuttenmüller

 Ein knappes Jahr nach ihrem Tatjana-Debut beim Universal Ballet ihres Heimatlandes Korea konnte Hyo-Jung Kang, die jüngste Erste Solistin der Kompanie, nun auch ihre Stuttgarter Premiere in Crankos genialem Puschkin-Ballett feiern. In Anbetracht der noch geringen Rollenerfahrung darf von einer bemerkenswert hoch entwickelten Rolleninterpretation gesprochen werden. Erstaunlicherweise ganz besonders im fortgeschrittenen Stadium, in Tatjanas Avancement zur Fürstin Gremina und ihrem Kampf in der Wiederbegegnung mit einer unerfüllten Liebe der Vergangenheit. Wie ein Spiegelbild ihrer Seele scheinen die dabei im Inneren widerstreitenden Gefühle in ihr Gesicht gebrannt, ein ständiges unruhiges Flackern zwischen Zu- und Abneigung. Als junge Tatjana zeigt sie dagegen noch eine gewisse Unentschlossenheit in der Verträumtheit ihres Charakters, in der mimischen Differenzierung zwischen Scheu und Offenheit, auch zwischen Ernst und Heiterkeit. Allerdings offenbart sich bei ihr von den ersten tänzerischen Bewegungen an eine auffallend stark ausgeprägte Poesie der Linien, ein wie mit leichter Feder gezeichneter Verlauf ihres Ausdruckswillens. Leicht und beflügelt im Traum von Onegin und später in den fürsorglichen Armen ihres Gatten, energisch aufgeladen in ihrem letzten vergeblichen Werben um Onegin und in dessen schlussendlichem Ringen um ihr Eingeständnis. Und das alles mit einer beispielhaft sicheren und zudem musikalischen Intuition.

Profitieren konnte sie indes auch von Evan McKie, der ihr auch bei ihrem Debut in Korea zur Seite stand und seit seinen letzten Vorstellungen im Juli in der Sommerpause noch einmal gründlich über das Wesen Onegins nachgedacht zu haben scheint. Statt der anfangs zu deutlich heraus gekehrten Arroganz kommt jetzt mehr die Faszination des Fremden zum Tragen, eines Menschen, der schon aufgrund seiner Gestalt, Haltung und seines Gebarens aufmerksam macht, und Tatjana anfangs durchaus rücksichtsvoll und gut erzogen begegnet, so dass seine magische Anziehungskraft auf sie auch nachvollziehbar bleibt. Seine große, schlanke Erscheinung, die langen Beine, die seine ohnehin elegante Grandezza noch verstärkt zur Wirkung bringen, bilden die idealen Vorrausetzungen für eine Darstellung, die an kleinen Gesten und Bewegungsnuancen, einem Heben oder Senken des Kopfes oder gar nur der Augen, vor allem auch in den rein beobachtenden Momenten auf dem Fest des zweiten Aktes, weiter ausgefeilt wurde und deren Erarbeitungsprozeß noch nicht abgeschlossen scheint. McKies Onegin, der da nach jahrelangem ruhelosem Umherwandern beim Ball der Gremins auftaucht, ist deutlich ein Gezeichneter, der sich beim Erkennen der Hausherrin in einen verzweifelt um ein abgeschlagenes Glück Ringenden verwandelt, dabei aber stets die Kontrolle über seine großbürgerliche Herkunft und die choreographische Korrektheit wahrt. Jetzt schon ein Vorbild an technischer Präzision, dürfen wir gespannt auf die weitere Ausarbeitung dieser ganz individuellen Rollenauslegung sein.

Die beiderseits im Finale ausbrechende Leidenschaft ist feiner, schwebender und in der Durchdringung der körperlichen Extrem-Positionen bodenverhafteter als die am Vorabend mit dramatischerer Schlagkraft riskantere Grenzen ausschreitende Konfrontation von Sue Jin Kang und Filip Barankiewicz, die obwohl beide rollenerfahren, nach einigen Gastspiel-Auftritten nun erstmals in Stuttgart gemeinsam als Tatjana und Onegin vors Publikum traten. Bei ihnen ging es zugunsten spontaner Wahrhaftigkeit mehr um die spielerischen Freiräume als um die glasklare Ausformulierung der vorgegebenen Choreographie. Vor allem war da bei Tatjanas erträumtem Onegin-Auftritt nach langer Zeit mal wieder jenes verlockende Feuer, das diesen Pas de deux vom Boden abheben lässt, nicht nur zu spüren, sondern auch in seinem Gesicht zu sehen. Darüber hinaus ist Barankiewicz mit seiner attraktiven Erscheinung ein in jedem Moment glaubhaft überheblicher und dennoch nie abstoßender Dandy. Dass Kang ungeachtet ihres fortgeschrittenen Ballerinen-Alters die Kunst der Gefühls-Überzeugung viel jüngerer Frauen wie hier die mädchenhafte Tatjana der beiden ersten Akte vollkommen beherrscht, gehört zu ihrer kompromisslosen Identifikationsgabe.

An beiden Abenden schlüpften Elizabeth Mason und Alexander Zaitsev in die Rollen von Olga und Lenski. Sie bezaubert mit schlichter Fröhlichkeit und flockig anmutiger Spitzen- und Sprung-Agilität, er schafft es nach dem im Ganzen trotz untadeliger Technik etwas schwerfällig geratenen Pas deux und nicht durchgängig spannungsvoller Sichtbarmachung der in ihm hochkochenden Eifersucht und Ehrverletzung, im wehmutsvoll die glückliche Vergangenheit beschwörenden Solo vor dem Duell mit einem Maximum an Körperspannung und schmerzlicher Entäußerung den erwünscht tief berührenden Höhepunkt dieser Szene zu setzen.

Als Gremin wechselten sich der Aristokratie pur signalisierende Nikolay Godunov und der gefühlswärmere, als Pas de deux-Partner nicht ganz so sichere Roland Havlica ab.

Konstant lebendig synchroner Einsatz zeichnete wiederum das Corps de ballet aus, während aus dem Graben immer wieder Schwankungen zwischen Belanglosigkeit und Gestaltungswillen zu vernehmen waren.

Udo Klebes

 

 

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