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STUTTGART: JUNGE CHOREOGRAPHEN

Stuttgarter Ballett/Noverre-Gesellschaft „JUNGE CHOREOGRAPHEN“ 23.5. 2012– Von Marionetten und tanzenden Luftballons


The Hours“. Miriam Kacerova, Roman Novitzky. Foto: Ulrich Beuttenmüller

Um das von Stuttgarts erfolgreichstem und inzwischen schon international gefragtem Nachwuchs-Choreograph Demis Volpi in seinem Vorwort angeführte John Cranko-Zitat, die Einrichtung dieser Noverre-Abende sei dazu da, damit jeder die Chance bekommen kann, sich zu blamieren, aufzugreifen: eine Blamage war es auch in diesem Jahr für keinen der beteiligten Schrittmacher. Denn so schräg, versponnen oder langwierig manche Beiträge auch ausfallen mögen – das Stuttgarter Publikum hält in seiner puren Neugierde auf neue choreographische Möglichkeiten unabhängig vom letztendlichen Erfolg die Treue und lässt keinen der Neulinge durchfallen.

So wie das Stuttgarter Ballett seinen Nachwuchs mittlerweile ohne ein Vortanzen alleine aus der eigenen Schule gewinnt, haben sich in diesem Jahr so viele eigene, Lust am Choreographieren verspürende Tänzer gefunden, dass es keiner Gäste mehr bedarf. Vielleicht reicht der Weitblick von Direktor Reid Anderson auch hier bereits so weit, unter ihnen einen mit Potential für die spätere Position eines Hauschoreographen zu wittern.

Bei den acht vorgestellten Arbeiten dieser Saison wurde auf eine bewährt gute Mischung geachtet, um den Abend so abwechslungsreich und kurzweilig wie möglich erscheinen zu lassen.

Einer der Publikumsfavoriten war nach dem letztjährigen Erfolg auch diesmal die einzige Dame: Halbsolistin Katarzyna Kozielska entwarf zu Spieldosenmusik ein erfrischendes Stelldichein für eine Frau, die drei Männer wie Marionetten am Gängelband hält. Mit leichter Hand, viel Herz, Temperament und Witz scheinen die vielen kleinteiligen Bewegungen hingetupft, so als wäre das Stück in einem Zug entworfen worden. Nur der Titel „BLENDER“ mag sich dazu nicht erschließen.

Den zweiten umjubelten Erfolg ertanzten sich der nach Zürich scheidende Erste Solist William Moore  und der Eleve Nicholas Jones mit ihrer gemeinsamen Choreographie namens „ANONYM“ – dies bleiben sie in der Tat hinter ihren weißen Gesichtsmasken in einem nur durch einzelne Lichtfelder aufgehellten Bühnenraum, füllen aber diesen mit einer prägnant auf die rhythmisch pochende Musik von Marek Hemmann abgestimmten Schrittfolge aus kleinsten zeichenhaften Linien und tänzerisch weit ausgreifenden Sprüngen. Letztere lassen den charismatischen Briten mit so weichem Bewegungsduktus auch gesichtslos erkennen.

Den dritten Hit besorgte der in letzter Zeit als Tänzer und Interpret auffallend positiv ins Rampenlicht getretene Halbsolist Roman Novitzky mit „THE HOURS“. Zu typisch kreisender und fließender Musik von Philipp Glass hat er für die Halbsolistin Miriam Kacerova und sich selbst einen
Pas de deux mit klaren Formen auf klassischer Basis und überraschend neuen Wendungen entworfen. Große Schritte in Zeitlupe auf einem quer durch den Bühnenraum führenden Lichtstreifen rahmen den Hauptteil, der auch dank perfekt aufeinander abgestimmter Partnerschaft und technischer Wellenlänge diese Stunden zu kurzweiligen Minuten macht. Ein erstaunlich reifes Debut, das Novitzky hoffentlich Mut zu weiteren Taten geben wird.

Halbsolist David Moore gestaltet „DEAREST“ (u.a. mit dem gleichnamigen Folksong von Buddy Holly) zu drei unterschiedlichen Paar-Begegnungen am Rand eines Leucht-Quadrats mit gewissen Widerhaken, die sich nun mal bei Beziehungen ergeben können. Von solch achtbarem neoklassisch angehauchtem Unterhaltungs-Charakter sind die restlichen Beiträge meist weit entfernt.

Marijn Rademaker beschäftigte sich in seiner ersten Kreation „ODIUM?“ zu Klavierstücken von Skriabin und Rachmaninov mit dem Rauschzustand, in den Tanz führen kann. Der neu in das Corps de ballet übernommene Robert Robinson  erweist sich mehrmals an diesem Abend als famoser Ausdrucksträger und nicht zuletzt hier als Solist, der dem teilweise etwas verrenkt buchstabiert wirkenden Werk eine durchgehende Spannung wahrt. Die auf bekannt hohe Expressivität ausgerichtete Ausbildung der Stuttgarter Tänzer bewahrt auch die beiden deutlich zu lang geratenen Produktionen von Louis Stiens und Miles Pertl vor einem aus zuviel Fragmentierung drohenden Absturz. Sowohl in „CHRISTOPH“, einer künstlerischen Hommage an den verstorbenen Theater-Guru Schlingensief als auch in „ROLO“ stehen Tanz, Musik (meist Collagen von E- und U-Musik) und im ersten Teil auch ein eigener Text bruchstückhaft nebeneinander. Düster beklemmend bzw. mit leichter Ironisierung verarbeiten sie darin Probleme der jungen Generation und bedienen sich eines Ausdruckstanzes voller Zeichen und Gesten, die auch führende Tänzer wie Katja Wünsche, Evan McKie und Elisa Badenes  neue Facetten ihrer Kunst finden lässt.

Bleibt als letztes Werk noch „BACK AND FORTH“ des auch als Corps-Tänzer schon hervorstechenden Jesse Fraser zu erwähnen – ein in geometrischen Formen variierendes Quiproquo von vier Paaren, das mit dem Wechsel von Licht und Gegenlicht, von Hinten und Vorne und dem Umriss der Tänzer-Körper spielt und den hier angetretenen acht Nachwuchs-Tänzern Gelegenheit gibt, den Raum mit ihren Körpern zu erkunden.

Mehr oder weniger starke und andauernde Euphorie gab es für alle- abgestraft wird hier keiner und wie schon gesagt blamieren tut sich schon gar niemand.

Udo Klebes

 

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