Stuttgart: „GÖTTERDÄMMERUNG“ 17.2.2013 (WA 20.1.) – mit konzertantem Schluss
„Zu neuen Taten….“ – Irmgard Vilsmaier (Brünnhilde) und Stefan Vinke (Siegfried). Copyright: Martin Sigmund
Trotz einer reduzierten bühnentechnischen Mannschaft (aufgrund Streiks im öffentlichen Dienst) konnte diese letzte Vorstellung der Wiederaufnahme-Serie von Wagners Tetralogie-Abschluß ohne sichtbare Einschränkungen stattfinden. Zwar bemüht Peter Konwitschnys noch einmal persönlich beaufsichtigte Neueinstudierung seiner Inszenierung aus dem Jahr 2000 den häufigen Einsatz der Drehbühne, aber was sich darauf abspielt ist im Prinzip Theater mit den denkbar einfachsten Mitteln. Wie eine Art Welttheater dreht sich ein fast die ganze Bühne einnehmender rechteckiger Kasten mit Holzbalken, der anfangs und dazwischen mit einer schwarzen Plane verschlossen ist, und gibt mal einen schmalen Streifen in der Größe einer Wanderbühne, mal den dahinter liegenden, bis auf einen Ofen leeren Raum der Gibichungen frei. (Bühne: Bert Neumann). Auf der unterteilenden Vorhang-Leinwand wechseln stilisierte Naturbilder und per Video projizierte Naturmotive. Neumann hat auch die weitgehend Gegenwart anzeigenden Kostüme entworfen, nur Siegfrieds freie Naturburschenschaft wird anfangs durch eine Fell-Bekleidung unterstrichen, und Waltraute dringt zu Brünnhilde von oben auf einer Schaukel mit Speer und Brustpanzer vor. Das Roß Grane ist ein Steckenpferd, auf dem das in der ersten Szene noch selige Paar ausgelassen herumtollt, als Hochzeitsmetapher im zweiten Akt fungiert ein von Gutrune gebackener Marmor-Gugelhupf, den Brünnhilde später wütend gegen die Leinwand klatscht.
Mit diesem sparsamen Interieur lenkt die Regie die volle Aufmerksamkeit auf die Darsteller. Und genau da fesselt Konwitschny auch jetzt wieder mit größtem handwerklichem Können, die Personen aufeinander reagieren zu lassen. Wo er sonst gerne mit kurzen störenden Knall-Effekten provoziert, hat er sich hier nur die Ernüchterung erlaubt, die letzten instrumentalen Minuten ganz der aus der Musik entspringenden Phantasie zu überlassen, während die bühnentechnisch kaum einzulösenden Regie-Anweisungen Wagners auf der nun geschlossenen Bühnen-Leinwand wie der Abspann eines Films zu lesen sind.
Durch die Vermeidung von Pathos zugunsten einer manchmal fast heiteren, ja albernen Gelassenheit erhält die Tragik schließlich ein um so stärkeres Gewicht. Beim diesbezüglichen Höhepunkt, dem Trauermarsch, macht sich Erschütterung und Betroffenheit breit, wenn die Mannen an Siegfrieds Leiche regungslos, wie geschockt ins Publikum starren. Sogar Schluchzen und Weinen gestattet die Regie und rückt das Geschehen damit in noch menschlichere Nähe. Davon profitieren letztlich alle Charaktere, aber eine ganz besonders: Brünnhilde.
Und damit sind wir auch beim alles überragenden Zentrum dieser Aufführung: Irmgard Vilsmaier. Sollten Bayreuth und die führenden großen Häuser künftig eine Wunschmaid suchen, hier haben wir eine von Weltklasse. Die bayerische Sopranistin, die mit dieser Serie ihr Rollendebut gegeben hat, profitiert von ihren Anfängen im Mezzofach und gebietet über eine Stimme, der das volle Register von geerdeten Tiefen über eine volle Mittellage bis zu strahlend explosiven Höhen zur Verfügung steht. Und das in einer Ausdauer, einer beständig gleichmäßigen Ton-Kontinuität und ungetrübten Frische bis zum noch einmal alles an Energie und satter Interpretation fordernden Schlußgesang. Mit wahrer Lust und aus vollem Herzen schießt sie die vielfach verlangten Spitzentöne wie Pfeile, aber ohne unangenehm beeinträchtigende Schärfen ab, findet dazwischen indes auch zu einer tragfähig schönen Linie. Hinzu kommt eine im hochdramatischen Frauen-Bereich selten zu erlebende klare Text-Artikulation und eine schauspielerische Identifikation, die unterstützt von ihrer gestandenen Erscheinung die um ihr Glück kämpfende Walküre zutiefst glaubhaft macht.
Was das Volumen, die Höhenopulenz, die natürliche Kraft, Kondition und den spielerischen Einsatz anbelangt, kann Stefan Vinke als Siegfried voll mithalten. Allerdings neigt sein heller, etwas farbarmer und sehr gerade eingesetzter Tenor phasenweise zu starrem und verhärtetem Klang und wenig differenzierender Führung. Andererseits gewinnt er in seinem Forte-verliebten Vortrag in Verbindung mit geradlinig herzhafter Darstellung soviel Sympathie, dass der positive Eindruck überwiegt.
Attila Jun braucht als Hagen gar nicht den Mund aufzumachen, so finster und hinterhältig ist allein schon seine Bühnen-Physiognomie. Wenn dann dazu noch sein riesiger Baß mit schwarzer Tiefe und breiter Höhe als Extrem-Marken den Raum füllt, getragen von einer gesättigten Wort-Gestaltung mit fiesem Unterton, entfaltet der zur Rache erzogene Alben-Sohn größtmöglichste Wirksamkeit. Sehr erfreulich, dass bei dem Koreaner nach wenig überzeugenden Anfänger-Jahren reine Tonproduktion und Ausdruck nun auf einem Niveau angelangt sind. Die Szene von Vater Alberich hatte durch die Expansion von Michael Ebbeckes inzwischen etwas schwerer ansprechendem Bariton und dank Textverständlichkeit und Bühnen-Präsenz, mit der er hier einen alptraumartigen Gnom mit furcht erregenden Riesenhänden gestaltet, die gewünschte Wirkung.
Es gibt sicher schönstimmigere, weicher modulierende Besetzungen für Gunther, aber ganz bestimmt wenige, die ihm mit so berstend spannungsvoll eingesetztem Bariton wie Shigeo Ishino ein Profil geben. Dies vermochte auch Simone Schneider als schillernd zwischen Naivität und fraulichem Selbstbewusstsein gespielte Gutrune mit ihrem dunklen und ausgeglichen geführten Zwischenfachsopran, der an einigen üppigen Stellen bereits eine Sieglinde oder Elsa erahnen lässt.
Die vom Timbre attraktivste Stimme der Aufführung bescherte die große Waltrauten-Erzählung, wo Marina Prudenskaja es mit der Leichtigkeit, Flexibilität und völlig unforcierten Höhenschlagkraft, mit der sie parallel dazu auch Koloratur-Partien wie Adalgisa und Bradamante meistert, die von Wagner geforderte Expressivität ohne Verluste zu erzielen und dazuhin diesen manchmal faden Monolog spannend aufzubauen wusste.
Außerdem gehörte sie noch zum Nornen-Trio in bunter Asylanten-Kleidung, wo sie einen bestechenden Gegenpol zu Rebecca von Lipinskis leuchtendem Sopran bildete, während Sophie Marilley es zwischen diesen beiden Polen nicht ganz leicht hatte zu reussieren. Auch bei den Rheintöchtern hatte sie neben Lindsay Ammanns klarerem Mezzo und vor allem dem überstrahlenden Sopran von Lini Gong (Theater Freiburg), die zum zweiten Male für die erkrankte Yuko Kakuta eingesprungen war, wenig Chancen, sich mehr zu positionieren.
Ein Ereignis für sich bot wiederum der Staatsopern- und Extrachor im zweiten Akt, wo er mit gewohnt hoher Anteilnahme am Geschehen und gewaltiger Fülle und Leuchtkraft bei gleichzeitiger größter Transparenz der Stimmen und des Tonfalls in den Sitz bannte.
Aber auch das andere Haus-Kollektiv verlieh dieser Einstudierung erstklassige Qualität. Marc Soustrot ist vor allem dafür zu bewundern, wie er die im Stuttgarter begrenzten Orchestergraben stets problematische Groß-Besetzung des Staatsorchesters so in den Griff bekam und auszutarieren wusste, dass weder eine Einschränkung hinsichtlich der Streicherfülle noch eine generelle Lautstärke-Penetranz zu vernehmen war. Es entstand das Gefühl, als würde er die Musik durch eine intuitive Tempo-Dramaturgie einfach ohne großes Dazutun fließen lassen, so dass sich die Musiker in allen Bereichen hingebend entfalten konnten. Das Ergebnis war schönste romantische Stimmungsmalerei mit weich ansetzenden Hörnern, generell glänzendem Blech, sanglich atmenden Holzbläsern und einem süffigen Streicherteppich. Einfühlsame Übergänge und natürlich aufgebaute Spannungen ließen das gewaltige Werk in aller Pracht erstehen.
Für soviel Spitzenqualität und den Kraftakt der Hauptakteure hatte das Publikum beschämend wenig und viel zu kurzen Jubel übrig – ein Dämpfer am Ende eines langen und doch kurzweiligen Opernabends.
Udo Klebes