Stuttgarter Ballett: „GISELLE“ 5.7. 2014– mit Debut-Überraschung
Alle Erwartungen übertroffen – David Moore als Albrecht mit Miriam Kacerova als Giselle. Copyright: Stuttgarter Ballett
Das Leben ist voller Überraschungen, so auch immer wieder beim Stuttgarter Ballett. Als hätte ihn die schnelle Ernennung zum Ersten Solisten, die eher der notgedrungenen Auffüllung einer frei gewordenen Position als dem bis jetzt gezeigten Leistungsstandard zuzuschreiben sein dürfte, regelrecht beflügelt, war David Moore bei seinem Debut als Herzog Albrecht kaum wieder zu erkennen. Bei ihm behauptete sich wieder einmal die häufige Tatsache, dass ein Mensch an seinen Aufgaben wächst. Dass der bislang mehr mit einer zuverlässigen Technik als mit Bühnenpräsenz und Charakterstärke aufgefallene Brite sich derart gut vorbereitet präsentierte, ist sicher auch das Verdienst einer über das normale Level hinausreichenden Einstudierung durch einen erfahrenen Rollen-Interpreten im Ensemble.
Sein anfangs noch bubenhaftes Profil war schnell vergessen, als er seine adelige Position gleich zu Beginn gegenüber seinem Begleiter Wilfried ( Arman Zazyan als Luxus-Besetzung) mit bestimmten Gesten geltende machte, in der liebevollen Annäherung an Giselle Freude und Lust zum Ausdruck brachte, gepaart mit einem klaren eleganten Stil, die den Absolventen der Royal Ballet School erkennen läßt. Die finale Konfrontation mit seinem Betrug als bereits verheirateter Mann und die Bestürzung über Giselles Tod standen ihm genau so maßvoll ins Gesicht geschrieben, wie es die Situation verlangt. Doch richtig Farbe bekennen musste Moore erst im zweiten Akt, wenn er der unter den Wilis irrlichternden Geliebten in den Wald folgt und tiefgehende Einfühlsamkeit zu beweisen hat. Auch da ging Moore weit mehr aus sich heraus als erwartet, bewies durchweg gute Haltung im so schweren langsamen Auftritts-Schreiten mit schwarzem Mantel und Blumen, sicheres Partner-Handling in den trance-artigen Balancen von Giselle und hohe Sprungkraft im leidvollen Flehen vor der Königin der Wilis. Als bei den auf der Stelle entfesselten Changements etwas die Kraft nachließ, wechselte er klug und geistesgegenwärtig zu einer alternativen Variation, die vorteilhaft seine Stärke eleganter Sprünge betonte.
Für diese staunenswerte Gesamtleistung hätte er sich bedenkenlos mit einem Solo-Vorhang dem Publikum stellen dürfen. So nahm er die Ovationen gemeinsam mit Miriam Kacerova entgegen, die nach ihrem Glücks-Debut an Ostern wiederum eine durchgängig selbstsichere, völlig unaufgesetzt liebende und leidende, allen Höchstschwierigkeiten mit spielerischer Leichtigkeit begegnende Titelrollen-Interpretin war.
Um das Hauptpaar herum stand es an diesem Abend nicht zum Besten: Angelina Zuccarini irritierte als ansonsten virtuos drehende und mit viel Attacke agierende Myrtha ebenso wie Alessandra Tognoloni als Erste Wili mit auffallend lauten Sprüngen. Elena Bushuyevas Zweite Wili reussierte daneben mit geschmeidigeren Bewegungen. Das Bauern-Pas de deux Paar Ruiqi Yang und Özkan Ayik bot mit steifer bzw. künstlicher Mimik sowie etwas gehemmter Bravour für Stuttgarter Verhältnisse unterdurchschnittliche Leistungen.
Dagegen ist Jesse Frasers Kontrahent Hilarion mit überragender Ausstrahlung und rollenbestimmender Attitude kaum noch zu übertreffen.
Das Corps de ballet war in der Realität wie auch in nächtlicher Geisterwelt geschlossen gut bestellt. Unter Wolfgang Heinz agierte das Staatsorchester Stuttgart nicht ganz unfallfrei, aber mit unablässiger Spannung in lyrischer und dramatischer Entfaltung.
Udo Klebes