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STUTTGART/ Gauthier Dance: FUTURE 6 – Von der Liebe am Küchentisch bis zum Kaffeekränzchen

Gauthier Dance Stuttgart
„FUTURE 6“ 6.3.2013 (Premiere 11.1.) –  Von der liebe am Küchentisch bis zum Kaffeekränzchen

 
Einmal ganz anders – Seniorinnen in Thoss‘ „Bolero“. Copyright: Regina Brocke

Wo ist es möglich innerhalb einer Woche, ja sogar an zwei aufeinander folgenden Tagen oder gar am gleichen Abend zwei verschiedene Choreographien von Maurice Ravels berühmtem „BOLERO“ zu sehen? Stuttgart macht es möglich. Und wenn hier Eric Gauthier mit seiner begehrten, inzwischen auf zwölf Mitglieder angewachsenen Tanz-Compagnie neben der derzeit wieder vom Stuttgarter Ballett gezeigten, weltweit begehrten Choreographie von Maurice Béjart die Version von Stephan Toss aus dem Jahr 1999 zeigt, bedeutet das keinerlei Konkurrenz, sondern Belebung des Tanzgeschehens. Zumal sich neben dem vielen neu gewonnenen Publikum auch zahlreiche Stammbesucher des Stuttgarter Balletts regelmäßig zu den Programmen von Gauthier Dance im Theaterhaus auf dem Pragsattel am Rande des Zentrums einfinden.

Im Falle von Thoss Zugangsweise auf den Ravel-Klassiker ist es ohnehin am besten, die sinnlich berauschende Kost Béjarts auszublenden. Beim einen meist durchweg in Männerhand, stehen hier sechs Frauen im Rampenlicht, die in die Rolle von Seniorinnen schlüpfen, deren jede einen anderen Tick hat. Zu typischer 20er Jahre Musik von Max Raabe treffen sie nacheinander zum Kaffeekränzchen zusammen, ehe die Ravel-Musik von der aufgelegten Langspielplatte aus den Lautsprechern eines historischen Radios dringt und die alten Damen über alle Gebrechlichkeiten hinweg zu rhythmischen Bewegungen animiert. Die Raffinesse besteht darin, dass jede ihrer charakteristischen Eigentümlichkeiten im gesamten Verlauf erhalten bleibt, ohne den einheitlichen Takt der Musik aufzulösen. Auch Tisch, Stuhl, Sofa und Sessel sind als Halterungen in die Choreographie integriert und tragen neben der frei gesetzten Energie der Damen zum amüsanten Stelldichein bei. Manche mögen das Ganze als absurd und albern abtun, doch wie hier die musikalische Animationskraft und Humor zusammenfinden, hat diese Variante ihre volle Daseinsberechtigung, auch wenn es eine sanfte, mehr der Unterhaltung dienende Herangehensweise ist. Das explodierende Radio setzt dem Treiben wie auch diesem Programm ein Ende. Und weil sie alle so individuell angelegt sind, haben es auch alle sechs Frauen der Compagnie verdient namentlich genannt zu werden: Maria Prat Balasch, Anneleen Dedroog, Katharina Diedrich, Miriam Gronwald, Anna Süheyla Harms und Elisenda Cladellas Parellada.

Begonnen hatte der Abend mit einer für die programmatische Linie von Gauthier Dance erstaunlich intellektuellen Kost: „BURNING BRIDGES“. Geschaffen von Hamburgs langjährigem Startänzer und jetzigen Mitglied des Semperopern-Balletts Jiri Bubenicek. Verhandelt wird eine Beziehung am häuslichen Küchentisch, dessen eines abgebrochene Bein von deren Brüchen kündet, bis es schließlich ansatzweise gelingt, dieses wieder zusammen zu fügen. Dieses symbolischen Ausstattungs-Zeichens sowie zweier Hochstühle, von denen herab zwei Tänzer Gedanken und Zustände der Beziehung des Haupt-Paares in englischen (leider nicht durchweg verständlichen) Kommentaren begleiten, hätte es gar nicht bedurft, weil Bubeniceks choreographischer Stil Ansätze von klassischer Basis mit Tanztheater-Elementen anschaulich und aussagekräftig genug zu bündeln weiß und von Anna Süheyla Harms und Sebastian Kloborg mit reichlich persönlichem Profil ausgefüllt wird.


Foto   Galili Cherry Pink_3   :  Heiter-skurrile Akrobatik: Anneleen Dedroog und Sebastian Kloborg in Galilis neuem Pas de deux. Copyright: Regina Brocke

 Der neu zum Ensemble gekommene Däne entpuppte sich auch im anschließenden Pas de deux „CHERRY PINK AND APPLE BLOSSOM WHITE“ als auffallend vielseitiger Tänzer, der technische und darstellerische Wandelbarkeit auf seriöse und heitere Art gesamtkünstlerisch zu vermitteln vermag. In diesem skurril witzigen, von Itzik Galili für dieses Programm mit Beiträgen zukunftsweisender Tanzschöpfer geschaffenen Stück, überzeugt er mit Hornbrille als treudoofer Partner einer ihn mit allen Mitteln einwickelnden Frau, die von Anneleen Dedroog genüsslich ausgekostet wird. Was die beiden zum gleichnamigen Jazz-.Klassiker des Kubaners Pérez Prado an überraschenden und teils äußerst riskanten artistischen Einstellungen bieten, verblüfft und erheitert zugleich. Vor allem die immer wieder eingestreuten Verzögerungen der schmetternden Solo-Trompete gaben Galili Gelegenheit mit seiner Choreographie zu spielen. Wenn das konditionell immens geforderte Paar am Ende durch Robben auf dem Hintern zur Bühnenmitte hin doch noch harmonisch zusammenfindet und sich in die Arme fällt, donnern die berechtigten Ovationen.

Nachdrücklich eingeprägt hat sich gesamtbildlich auch der Beitrag des Spaniers Cayetano Soto. In „MALASANGRE“ (=Böses Blut) geht es ihm um die zerstörerische Macht negativer Gefühle, die in der etwas schrillen Musik der kubanischen Königin des Latin Soul La Lupe  (der er hier zugleich eine Hommage geschaffen hat) Anstoß und Widerhall finden. Unterstützt wird dieser Ausgangspunkt von der mit schwarzen Federn bedeckten Bühne sowie den von Soto selbst entworfenen exzentrischen Kostümen (vier Männer und drei Frauen in schwarzen Kniestrümpfen, gerafften beige-farbenen Röcken bzw. Slips und freien Oberkörpern). Wild und entschlossen herausfahrendes Schrittmaterial, das sich phasenweise zu einer Bühnenshow des Ensembles verdichtet, verleiht dem Stück einen mitreißenden Sog und eine Kraft, die in der Tat auch vernichtend wirken kann.

Mit „TAKUTO“ (=Takt) hat Eric Gauthier sein eigenes choreographisches Repertoire um eine erweiterte Form seines letztes Jahr gezeigten Drei Männer-Stücks „Taiko“ zu japanischer Trommel-Musik von Stephan Boehme ergänzt. Diesmal sollte auch der Tanz selbst mehr Raum finden, sich die durch die Magie eines Zeremonienmeisters ( David Stiven Valencia Martinez ) freigesetzte Energie nicht nur in der Trommelkunst, sondern auch tänzerischer Aktion bemerkbar machen. Eingehüllt von reichlich Theaternebel und flammend roten Lichtzeichen erweckt das alles den Eindruck eines Science-ficiton-Geschehens, das immer wieder starke Momente entfaltet, auf Dauer der 14 Minuten aber zwischendurch auch zur Gleichförmigkeit neigt. Da lag in der Kürze des Vorläufer-Stücks doch mehr Würze, so sehr die Leistung der 10 TänzerInnen in ihrer Doppelfunktion als Tänzer und Trommler zu bewundern ist.

Da Eric Gauthier neben seinem spontanen Conferencier-Können auch als Tänzer unvermindert Charisma, Leichtigkeit und Spaß verströmt, darf natürlich ein solcher Beitrag in keinem der Programme fehlen. Diesmal hat ihm Stuttgarts Hauschoreograph Marco Goecke mit „I FOUND A FOX“ zu Musik von Kate Bush ein Solo auf den Leib geschneidert und dadurch entgegen seiner sonst meist schwermütig düsteren Handschrift zu einer dem Charakter Gauthiers entsprechenden Gelöstheit und Befreiung gefunden, in der allenfalls ein paar nervöse Bewegungsmuster seinen sonstigen Stil verraten. Es ist jedenfalls erleichternd festzustellen, dass Goecke, wo er nun selbst eine bedeutende Stellung als Choreograph errreicht hat, doch noch dazu inspiriert wurde, dem bislang als zu dominant empfundenen  Kollegen aus dessen Zeit beim Stuttgarter Ballett eine Kreation zu widmen.
Wenn bei Gauthier Dance auch nicht alles restlos zu überzeugen vermag, hinterlassen die Aufführungen stets eine wohltuende Stimmung, die einen leichten Herzens nach Hause gehen lässt. Die regelmäßige Publikumsbegeisterung mit anhaltenden Standing ovations tut noch ihr übriges dazu.          

Udo Klebes

 

 

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