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STUTTGART: FAHRENDE GESELLEN – Ballettprogramm mit Geschlechtertrennung. Premiere

Stuttgarter Ballett: „FAHRENDE GESELLEN“ 17.4.  2014 (Premiere) – Programm mit Geschlechtertrennung

 Nicht nur der autobiographische Wesenszüge Gustav Mahlers tragende Protagonist in Maurice Béjarts gleichnamigem Klassiker, auch die beiden Choreographen, die diesen Ballettabend mit neuen Arbeiten umschlossen haben, sind fahrende Gesellen, immer auf der Suche nach neuen Eingebungen, verbunden mit Glück und vielleicht auch ein Stück weit nach sich selbst. Ballettintendant Reid Anderson hat dazu spezielle Aufträge erteilt. Der Rumäne Edward Clug, seit 2003 der Leiter des Slowenischen Nationalballetts in Maribor, sollte seine dritte Arbeit für das Stuttgarter Ballett ausschließlich für Männer konzipieren. Hauschoreograph Demis Volpi wiederum entschloss sich in seinem besonderen Interesse am Spitzenschuh und zudem in der thematischen Intention seines neuen Werkes nur mit Frauen zu arbeiten. Mit dem 1971 für Rudolf Nurejew und Paolo Bortoluzzi entworfenen und nun nach über 20 Jahren erstmals wieder ins Stuttgarter Repertoire zurück gekehrten Männer Pas de deux in der Mitte ergab das, einiger Einwände und Schwächen zum Trotz einen zum Teil spannenden, auf jeden Fall sehenswerten Abend.

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No Men’s Land:  Brent Paolin, Louis Stiens und das Männer-Corps in Clugs Auftragswerk. Copyright: Ulrich Beuttenmüller/Stuttgarter Ballett
 
NO MEN’S LAND“ nennt Clug sein Stück, als Assoziation zu jenem Streifen Land zwischen den Schützengräben, wie er während des sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährenden Ausbruch des Ersten Weltkriegs geprägt wurde. Der Mann als Kämpfer, als Auslöser unterschiedlichster Konflikte, aktuell weitergedacht bis in unsere heutige von einigen wenigen Riesen regierte Finanzwelt. Im Mittelpunkt der Choreographie sollte nicht konkret eine kriegerische Auseinandersetzung, sondern die solche Konflikte erst ermöglichenden Kräfte und die Triebhaftigkeit ihrer Potenziale stehen.

Anfangs werden in einem Lichtstreifen am Horizont nur die Unterbeine der 22 Tänzer sichtbar, die synchron mechanische Bewegungen beginnen. Solche Motionen ziehen sich durch das ganze Stück, mal im kompletten Ensemble, mal in sich gegenüber stehenden Paarungen. Angetrieben und musikalisch in Fahrt gehalten werden sie von einer Auftragskomposition von Milko Lazar, mit dem Clug schon wiederholt zusammen gearbeitet hatte, eine fünfteilige Suite mit Solo-Cello, an dem sich Francis Gouton mit großzügigen Strichen wie auch rhythmischem Feingefühl  dankbar verausgaben kann. Vom Jazz beeinflusst prescht die Musik im ersten Satz in kräftigen Stößen und Schüben voran, ehe sie in ausgedehnten verhaltenen Mittelteilen in teils minimalistischer Weise mäandert und erst zum Finale wieder zum kraftvollen Ausgangspunkt zurückkehrt. Soviel Männer-Power in schwarzen Hosen und freien Oberkörpern  (Kostüm: Thomas Mika) vereint auf der Bühne zu sehen, zumal von der gerühmten Stärke des Stuttgarter Herren-Corps macht gewaltig Eindruck, auch wenn die Konfrontations-Formen oft wiederkehren und sich außer den Bearbeitungen der auf Kleiderhaken vom Schnürboden herab fahrenden Anzüge nicht immer der Sinn der Choreographie erschließt. Solistisch kann sich neben dem in den Konturen klaren und sehr exakten Brent Parolin vor allem Louis Stiens mit seiner so ganz individuellen, vom Ausdruckstanz geprägten Körpersprache hervortun. Am Ende fällt er umgeben von der ganzen Mannschaft auf die Knie – ein Moment des Nachdenkens, bevor neue Kräfte wieder neue Konflikte verursachen.

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Lieder eines fahrenden Gesellen:   Jason Reilly und Evan McKie – Geselle und Schatten in schönster Übereinstimmung. Copyright: Ulrich Beuttenmüller
 
Maurice Béjarts „LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN“ hätten angesichts der persönlichkeits-starken männlichen Stuttgarter Solisten-Garde schon längst wieder auf die Bühne gehört, jetzt ist es endlich geglückt. Die Kunst das  im Prinzip abstrakte, aber doch so voller Inhalt steckende Stück mit einem Maximum an körperlicher Expression und einem Minimum an Mimik auszufüllen und in diesem Schwebezustand zu halten, lag denn bei Jason Reilly (der Geselle im blauen Trikot) und Evan McKie (im roten Trikot) genauso in besten Händen wie die akustische Wiedergabe bei Julian Orlishausen mit gefühlvoll dosiertem und nur beim Übergang in die verhalten hohe Lage geringfügig eng werdendem Bariton gut aufgehoben ist. Reillys noch eine weitere Stufe erklommene Reife ermöglicht ihm eine in sich ruhende, Glücksgefühle und Weltschmerz gleichermaßen vermittelnde Erfüllung des im klassischen Kodex gehaltenen Schrittmaterials. McKie wiederum gelingt es die Zwitterexistenz des zuerst beobachtenden und dann immer dringlicher eingreifenden Schattens, Alter Egos oder Schicksals, die nicht reale und doch gleichwertig eingesetzte Figur dank seines federnd leichten und geschmeidigen sowie ungemein präzisen Körpereinsatzes auf dem gefährlichen Grat zwischen schützendem Beistand und bedrohlichem Schicksal zu halten. Der transzendente Charakter der Mahler-Lieder wurde von beiden Tänzern anschaulich und kunstvoll, aber nicht künstlich, eingefangen.

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Aftermath:  bewundernd schräge Spitzenkunst – Hyo-Jung Kang in Demis Volpis „Aftermath“. Copyright: Ulrich Beuttenmüller/Stuttgarter Ballett

Nach seinem Riesenerfolg mit dem Handlungsballett „Krabat“ lastet ein enormer Erwartungsdruck auf Hauschoreograph Demis Volpi. Mit „AFTERMATH“ riskierte er nun das Wagnis des Experiments, eine Kreation gegen den Usus vom Höhepunkt an rückwärts zu steuern. Der Titel nimmt Bezug auf die Nachwirkungen der Einschränkungen künstlerischer Freiheit mittels des Nachklanges klappernder Spitzenschuhe. Am Beginn steht der individuelle freizügige Künstler in der Ausübung der Kunstfertigkeit sich in allen möglichen Schräghaltungen und Balancen auf Spitze zu behaupten. Hyo-Jung Kang gelingt dies nur kurze Zeit nach ihrer so anmutig hingetupften Giselle auf eine gleichfalls frappierend virtuos-konzentrierte Art, als ob es die selbstverständlichste Sache wäre, musikalisch getragen von der in Wellen auf- und abebbenden, durch eine außergewöhnlich große Bläserbesetzung farbenschillernd überflutenden Auftragskomposition von Michael Gordon. Zunehmend wird die Solistin von einer undurchdringbaren Menge von 24 Tänzerinnen in ihrer Ausübung bedrängt, vereinnahmt und schließlich ganz verschluckt, während die Musik immer mehr in sich zusammen sinkt und zuletzt nur noch die im staccato klappernden Spitzenschuhe der inzwischen abgegangnen Menge als bedrohlicher, aber auch beeindruckender Nachklang zu vernehmen ist.  Die schlichten in rosa (Individuum) und grau (Gruppe) gehaltenen locker über Strumpfhosen fallenden Kleidchen von Katharina Schlipf lassen die Konzentration auf den Tanz richten, dessen Ausrichtung wieder auf neue Varianten der von Volpi schon vielfach entwickelten Weiterführung des Spitzentanzes gerichtet ist und nur in mancher zu oft erfolgenden Wiederholung das Stück etwas auf der Stelle treten lässt. Die Idee sowie die Zusammenführung von Tanz und Musik zeigen insgesamt wiederum die Hand des nach ungewöhnlichen Konzepten suchenden, aber stets von einem sicheren Bühneninstinkt geleiteten argentinischen End-Zwanzigers, wofür er ebenso wie das Tänzerpersonal und das die unterschiedlichen musikalischen Stile flexibel beherrschende Staatsorchester Stuttgart unter der umsichtigen Leitung von James Tuggle jubelnd bedankt wurde.                                                                                                                                                         

Udo  Klebes     

 

 

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