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STUTTGART: ELEKTRA als Gewaltorgie

01.06.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Staatsoper Stuttgart: „ELEKTRA“ 31.5. 2012 (WA 25.5.) – Gewaltorgie


Erregender Schwestern-Zwist: Barbara Schneider-Hofstetter (Elektra) und Simone  Schneider (Chrysothemis). Foto: A.T.Schaefer

Einem Stoff, der ohnehin schon gewaltig ist, noch mehr an Gewalt hinzuzufügen und das in einer kaum mehr zu steigernden Ekstase beschworene finale Schicksal der beiden Schwestern Elektra und Chrysothemis in die politische Dimension eines (vom Fluch?) reinigenden Vernichtungskrieges
mit Panzergeballer und Kanonen auszuweiten, und dies auch noch mit einem projizierten Feuerwerk feierlich zu ironisieren, ist entschieden zu viel, passt allerdings ganz zur Handschrift Peter Konwitschnys.

Seine 2005 in Kooperation mit der Königlichen Oper Kopenhagen entstandene Inszenierung der Strauss/Hofmannsthal’schen Tragödie wurde nun zum zweiten Male mit einer fast komplett neuen Besetzung einstudiert. Die Verlegung der Handlung in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts (ein von seitlichen Spiegeltüren umfasstes Wohnzimmer mit weißer Leder-Garnitur) nimmt dem Stück wohl die antike Dimension, aber nicht die
Spannung, die Konwitschny mit seiner gewohnt handwerklich virtuosen Personenregie erzielt. Zutaten wie auf der Hintergrundwand wechselnd angzeigte Wetter-Stimmungen, die den Countdown bis zur Orests Rachetat anzeigenden großen roten Digital-Ziffern oder die trashige Einkleidung (Bühne und Kostüme: Hans Joachim Schlieker) stören weniger als die diversen Albernheiten, mit denen der Regisseur diese nun wirklich aller
Heiterkeit entbehrende Geschichte konterkarieren zu müssen glaubt.

Bereits der Fallbeil-artige Einstieg in die Partitur nach der vorangestellten Spielszene mit der von den Kindern mitangesehenen Ermordung Agamemnons in der Badewanne erweist sich als Omen für das gesamte Dirigat von Georg Fritzsch, der die komplette Serie von Ulf Schirmer übernommen hatte: mehr Lautstärke als Bedeutungskraft, mehr flüchtiges Voranschreiten als Ausformulieren.
Andererseits ist die Präzision und Sicherheit zu bewundern, mit der er das technisch bestens aufgestellte Staatsorchester Stuttgart durch die 100minütige Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne steuert und so eine klare Durchleuchtung der jedes Mal aufs Neue staunen machenden Komposition ermöglicht. Für die regiebedingte Lärm-Beeinträchtigung der Schluss-Szene konnten sie allesamt nichts, den Sängern gegenüber wäre jedoch eine dynamischere Behandlung und Ausbalancierung zu wünschen gewesen.

Wie gut, dass Barbara Schneider-Hofstetter für die Titelrolle über einen unerschütterlich tragfähigen Sopran gebietet, der auch bei den Extrem-Noten keinerlei Schärfung bekommt und bis zum Schluss einen unermüdlich frischen und klaren Glanz behält. Farben und Zwischentöne sind weniger ihre Sache, doch vermag sie das mit leidensfähig-kämpferischem Spiel aufzufangen. Simone Schneiders Wechsel vom Koloratur- ins Jugendlich-Dramatische Fach hat ohne Übergangsprobleme makellos funktioniert. Ihre Chrysothemis weist all die Höhenleuchtkraft und Atemweite für die grossen Strauss-Bögen und dazu noch eine sympathisch gewinnende Ausstrahlung und Spielfreude auf, die die lebenslustige Schwester Elektras mitten ins Herz des Publikums transportiert.
Die Klytämnestra ist hier weniger eine Furcht erregende Herrscher-Persönlichkeit, sondern eine unter der Last ihres Gewissens zur Trinkerin gewordene Mutter. Renée Morloc gelingt es, diese charakterliche Verharmlosung durch Bühnenpräsenz und einen noch schlackenlosen, rundum ausgeglichenen und dazuhin artikulationsscharfem Alt von kultiviertem Wohllaut auszugleichen.

Tuomas Pursio gibt Orest mit hellem und prägnant geführtem Bariton sowie differenzierter Darstellung zwischen Selbstbewusstheit und Angst
vor seinem Auftrag rollengemäße Kontur. Daniel Brenna vereint als Aegisth zynischen Ausdruck und tenorale Härte. Beim weiteren Personal erweisen sich von den fünf als Putzfrauen agierenden Mägden Diana Haller, Sylvia Rena Ziegler, Tina Hörhold und Rebecca von Lipinski ausser der etwas schwachbrüstigen Yuko Kakuta als gegenüber den Klangmassen resistente Stimmen. Sicher und von tenoraler Gewandtheit Daniel Kluge als Junger Diener, in den Kleinstrollen allesamt tadellose Leistungen. Der Staatsopernchor Stuttgart hat seinen Auftritt, wenn zum Ende hin das gesamte Personal getroffen auf die Bühne wankt und zusammenbricht. Die Reaktion auf dieses Schlachtfeld war verständlicherweise zunächst verstörend gebremst, ehe die Hauptrollen-Vertreter mit den verdienten Ovationen bedacht wurden.

Udo Klebes

 

 

 

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