Staatsoper Stuttgart: „DIE FLEDERMAUS“ 22.6.2012 – Stimmungszugewinn
Der aus den Fugen geratene Salon Eisensteins. Foto: A.T.Schaefer
Es war klug, die Operette aller Operetten (die genau genommen eine Komische Oper ist) nach dem Weggang von GMD Manfred Honeck wiederum in die Hände eines Österreichers zu legen, mit Thomas Rösner sogar in diejenigen eines Wieners. Von der Ouvertüre an wurde unter seiner animierenden Leitung das Uhrwerk unaufhaltsam in Gang gehalten und dabei stets den so mannigfachen Details in den Streichern und Bläsern Raum zur pointierten Auskostung unterstreichender wie auch konterkarierend entlarvender Begleitfiguren gewährt. Das Im Fluss Halten situationsentsprechender Zeitmasse war ebenso gewährleistet wie der alles zusammen spannende Faden und sorgte so für eine Balance, die die unwiderstehlich jung gebliebene Musik in der Schwebe zwischen genussvoller melodischer Oberfläche und darunter liegender menschlicher Enthüllung hielt.
Das Staatsorchester Stuttgart setzte diese Strategie gleichsam mit technischem Feinschliff als auch der gewissen Nonchalance um. Und dies alles in bemerkenswert reibungsloser Übereinstimmung mit dem Bühnengeschehen, das in Philipp Stölzls Inszenierung keineswegs in traditioneller Selbstläufer-Manier abläuft. Der leider nur die mittlere Hälfte der Bühne einnehmende, mit einem Salon ausgekleidete Container, der für Orlofskys Fest buchstäblich auf den Kopf gestellt wird, sich immer wieder nach beiden Seiten neigt oder während des Uhrenduetts gar einmal im Kreis dreht, und nach dem Katzenjammer in Schieflage mit chaotisch übereinander gestürztem Inventar noch das Gefängnis des dritten Aktes bildet, ist ein technisch bestens gesteuerter Hingucker, aber positionsbedingt leider nur von mittleren Plätzen voll einsehbar. Umhüllt ist diese zentrale Spielfläche von einem recht abgestorbenen Sommernachtstraum-Wald, in dem sich die Gesellschaft in ihren unterschwelligen erotischen Trieben verlustiert, angeführt und mit der Reitgerte befohlen von Orlofsky, der hier keine Frau im Hosenkostüm, sondern eine Prinzessin in steifem Glitzer-Tutu ist – einer wahrlich unglücklichen Figur in ihrer aus Reichtum und Überdruss geborenen Langeweile. Alle anderen Figuren sind gemäß der Konvention der damaligen Zeit entsprechend sittsam gekleidet (Kostüme: Ursula Kudrna), und das tut ihrer Glaubwürdigkeit auch gut und erhöht zudem den Reiz der Zündung ihrer Eskapaden. Nur dort, wo die Ironie zu Übertreibungen neigt und die Schnellpolka als Podium für den Pseudo-Tanz barbußiger Frauen herhalten muss, schlägt die ansonsten köstlich an der Oberfläche kratzende Inszenierung über die Strenge und kippt ins Vulgär-Billige.
Es fällt schwer, einen der Protagonisten hervorzuheben. Einen vokalen Glanzpunkt setzte Simone Schneider als damenhafte Rosalinde mit breit fülligem Sopran, der in allen Lagen wohlgeformt und rund bleibt und damit den Csardas zum mühelos ausgekosteten Hymnus auf ihre Heimat erhob. Neu dazu gekommen ist auch Yuko Kakuta als quicke Adele mit einer Stimme, die sich in den höchsten Regionen geradezu wohlfühlt, mit Koloraturen spielerisch umgeht und das Ensemble überstrahlt. Die jüngst aus dem Opernstudio ins Ensemble gekommene Diana Haller füllt mit ihrem kernig saftigen Mezzo die Partie des Orlofsky schon jetzt mit dem gewissen Etwas und der erforderlichen Tragik aus. Mit Atalla Ayan ist nun auch der Alfred goldrichtig besetzt – ein Charmeur, dessen schmelzreicher dunkel grundierter Tenor sowohl schmeicheln als auch klangvoll parodieren kann. Andreas Wolf mimt passend korrekt und galant Dr. Falke und verströmt sowohl eine feine als auch eine deftige baritonale Note. Karl Friedrich Dürr steuert als Gefängnisdirektor Frank perfekt platzierten Humor und ausreichende Stimmfülle bei. Georg Reiter beweist als Frosch, dass das Philosophieren des ewig dem Slibowitz frönenden Gerichtsdieners nur mit angeborenem österreichischem Dialekt so richtig stimmungsfördernd funktioniert, auch wenn er hier einen teilweise völlig neuen Text hat. Der stotternde Dr. Blind ist bei Daniel Kluges kraftvollem Charaktertenor genauso trefflich aufgehoben wie Eisenstein bei dem als einzigem von der Premiere übrig gebliebenen Paul Armin Edelmann. Dessen großzügig eingesetzter, in der Höhe besonders expansiv entfalteter Bariton verschmilzt mit seiner attraktiven Erscheinung zu hinreißender Wirkung. Dass auch die tenorale Variante bei entsprechendem Material eine vollgültige Alternative ist, bewies Matthias Klink in der gut zwei Wochen davor liegenden Vorstellung vom 5. Juni. In dieser debutierte auch Catriona Smith als noch nicht ganz locker gespielte, aber mit hinreichend subtilem, flexiblem und eigene Akzente setzendem Sopran lebendig gehaltene Rosalinde. Ebenso erspielte und ersang sich Helene Schneiderman wiederum viel Mitgefühl für ihren sehr viel Menschlichkeit durchschimmern lassenden Orlofsky. Elinor Sohn als Ida und der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Michael Alber) ergänzten mit reichem vokalem und gestalterischem Engagement.
Wenn auch der Champagner als Verursacher des bösen Spiels hier nur musikalische Behauptung bleibt und Rosalinde ihrem Gabriel letztendlich nicht verzeiht und ihn in seine Zelle zurück stößt – der allgemein gelösten Stimmung des trotz zeitgleichem Deutschland-Fussball-Spiels zahlreich erschienenen Publikums konnte dies schließlich keinen Abbruch tun.
Udo Klebes