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STUTTGART: Ballett FAHRENDE GESELLEN – Die Tragfähigkeit des Musikalischen

Stuttgarter Ballett: „FAHRENDE GESELLEN“ 9.5. 2014-  Die Tragfähigkeit des Musikalischen

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No Men’s Land:   auch im Abstrakten emotional: Evan McKie in Edward Clugs „No Men’s Land“

 Wie fast immer bei neuen Choreographien tragen weitere Begegnungen auch mit den beiden Novitäten dieses Programms fahrender Gesellen zur Erhellung bzw. Verdichtung ihres Ausdrucks und ihrer Gesamtwirkung bei. Ganz besonders deutlich wurde dabei bewusst, wie entscheidend die ausgewählte Musik den Gesamteindruck beeinflusst, ja dergestalt die halbe Miete ist, dass sie die Intention einer Kreation mitbefördert oder beziehungslos ins Leere driftet. So sorgt Milko Lazars fünfteilige Suite für Cello und Orchester mit ihrem immer wieder an Igor Strawinsky gemahnenden Aufeinanderprall gegenläufiger Takte, diverser Jazz-Anleihen und den immer wiederkehrenden Schleifen der Minimal Music für einen durchgehenden rhythmischen Impuls, der den Bewegungs-Mechanismen der 22 Männer in Edward Clugs „NO MEN’S LAND“ eine zusätzliche Motorik und Dringlichkeit, einen unablässigen, mal an-, dann wieder abschwellenden Sog verleiht. Die darin veranschaulichten Verhaltensweisen des männlichen Geschlechts vorherrschend im Militär und der Finanzwelt rüttelten dabei in ihrer Deutlichkeit auf, sind von teilweise beängstigender Härte, und faszinieren andererseits mit freien Oberkörpern durch ihre Demonstration geballter Männlichkeit. An der Spitze des auch wieder durch einige Eleven und Schüler der John Cranko-Schule neu gegliederten, und in beeindruckender Synchronität agierenden Ensembles stand diesmal Evan McKie. Er fügte  sich  mit seiner gewohnten Präzision in die Gruppen-Dynamik ein und machte doch den alle anderen an Reife, gestalterischer Einfühlsamkeit und Gesamtwirkung überlegenen Ersten Solisten spürbar, speziell auch in der Fähigkeit in diesem letztlich abstrakten Rahmen konkrete Betroffenheit zu zeigen.

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Lieder eines fahrenden Gesellen:  Voller Kontrast und doch Harmonie: Friedemann Vogel (vorne) und Oscar Chacon (hinten). Foto: Stuttgarter Ballett
 

Gegensätzlicher zur Premierenbesetzung hätten Maurice Béjarts nach langer Abwesenheit wieder ins Stuttgarter Repertoire aufgenommene „LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN“ an diesem Abend nicht ausfallen können. Alles was bei den erstmals mit diesem Stück konfrontierten Premierenkollegen noch an Wünschen offen geblieben war, gelang sowohl solistisch als auch in der Kombination gesehen zu höchster Erfüllung. Friedemann Vogel hatte die Choreographie bereits als Gast beim Béjart Ballet Lausanne mit dessen Solisten Oscar Chacon einstudiert und mehrfach aufgeführt. Auch unter der Ausblendung dieses Vorschusses darf dieses Gespann als Maßstab setzend bezeichnet werden. Vogel vermag mit seiner weichen eloquenten, unbegrenzt flexiblen Körpersprache Mahlers hoch sensibles musikalisches Gespinst in der kleinsten Verästelung auszuloten, da ein Bein noch länger ausschwingen, dort einen Arm noch schwebender ausbreiten zu lassen, als wollte er den transzendenten Schönheiten der Musik noch länger nachlauschen. Unmittelbare Gefühlswechsel von Seligkeit in Wehklagen finden in seiner Interpretation genau den duftenden Niederschlag von Mahlers Klangwelt. Oscar Chacon bildet durch seine eher zierliche, mit dunklem Teint und den das Gesicht einhüllenden schwarzen Locken Aufsehen erregende Gestalt einerseits einen spannenden Kontrast und findet in seinem ruhigen, ebenso unaffektierten und technisch sauberen Einsatz doch zur erforderlichen Deckung des wesenreichen Schattens. Vokal hinreichend ergänzt durch den diesmal ausgeglichener und sicherer wirkenden Bariton Julian Orlishausen lag stillschweigendes Nachklingen in der Luft, doch hatten sich alle die unzähligen Vorhänge und Ovationen verdient.

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Aftermath:   Unendlich elastisch: Alicia Amatriain und Ensemble. Foto: Stuttgarter Ballett

Die mit einer wahren Klang-Apokalypse einsetzende Komposition, die Michael Gordon für „AFTERMATH“ des Hauschoreographen Demis Volpi geschrieben hatte, setzt das ausschließlich für Tänzerinnen konzipierte Werk sofort unter Strom, lässt es in vielfachen Wellen auf- und abgleiten, langsam immer mehr in sich zusammenfallen, bis am Ende nur noch das in einem Staccato-Gewitter hinter der Bühne entladene Spitzen-Trippeln auf der leer gewordenen Bühne nachhallt. Auch hier ein magischer, von einem immerwährenden Rhythmus getragener Kosmos von science fiction-hafter Faszination, der die Vereinahmung und Einengung des einzelnen, ja einsamen Künstlers gegenüber einer stumpf diktierenden Masse selbst zu einem Kunstwerk mit immer wieder bestechenden Bildwirkungen überhöht. Eine Paraderolle für die jedes Mal unendlich erscheinende Elastizität von Alicia Amatriain, die die zunächst freizügige Spitzenklöppelei der Künstlerin, getrieben von der sich zu immer größeren Gruppen verdichtenden Masse der 25 Tänzerinnen, zusehends in vertrackte Schrägen und einknickende Formen kippt. Im Vergleich zur Premieren-Tänzerin  hebt sie sich indessen als Erscheinung nur wenig von der mausgrauen Einheit der Gruppe ab.

James Tuggle steuerte das Staatsorchester Stuttgart wieder mit Zielsicherheit durch die in allen drei Werken immens tragfähigen Klangwelten.                           

Udo Klebes

 

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