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Stephan MÄRKI: Theater ist nicht dazu da, im kommerziellen Sinn zu wirtschaften

Stephan Märki, Intendant Konzert Theater Bern

 
Stephan Märki. © Bernd Uhlig

Stefan Märki, im letzten November konnten Sie, der Mehrheit der Politiker sei Dank, mit einem „Cüpli“ anstossen, die Schnapsflasche blieb zu. Nun war in den letzten Jahren die Finanzierung von Kulturaktivitäten immer wieder eine vorwiegend politische Angelegenheit, politischer Populismus einzelner Politiker um Profil zu gewinnen! Kultur in jeder Form ist eigentlich eine Pflicht, ein Muss der Öffentlichkeit. Können Sie sich erklären, wieso es immer wieder Vorstösse zur Nicht- oder Minder- Finanzierung z. B des Konzert Theaters Bern auf derartig grossen Widerstand stösst?

Als Intendant bin ich hier neu, auch wenn ich gebürtiger Berner bin. Ich habe aber diese Erfahrung in Bern nicht gemacht. Ich bin auf einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens gestossen, das neue Konstrukt Konzert Theater Bern, also den Zusammenschluss des Stadttheaters Bern mit dem Berner Symphonieorchester, zu einem Vierspartenhaus zu unterstützen. Das Stadttheater und das Symphonieorchester waren jahrzehntelang Konkurrenten im Kulturleben Berns. Die Stadt Bern ist ein komplexes Gebilde, neben der Funktion als Kantonshauptstadt ist Bern auch noch die politische Hauptstadt der Schweiz, Bundesstadt. Auch die Subventionierung aller kulturellen Institutionen ist komplex. Unsere Subventionen kommen zu 50% aus dem Kanton Bern, zu 39% aus der Stadt Bern und zu 11% aus den 80 Regionsgemeinden. Diese Unterstützung wird alle vier Jahre neu verhandelt, muss von den politischen Gremien abgesegnet und am Ende vom Souverän in einer Abstimmung gutgeheissen werden. Das ist gelebte Demokratie mit einer umfassenden Meinungsbildung. Wichtig dabei ist auch, dass nicht nur die klassischen Institutionen gefördert und finanziell unterstützt werden, sondern auch die sehr starke freie Szene Berns. Auf diese Weise kann breitgefächerte Kultur angeboten werden. Der Anspruch unser Haus ist einerseits, vor Ort mit einer eigenen Identität erkennbar und lebendig spürbar zu sein, andererseits aber auch gegenüber den Theatern in Basel und Zürich, welche finanziell wesentlich besser dotiert sind, bestehen zu können. Diese Ansprüche führen immer wieder zu vielfältigen, aber fruchtbaren Diskussionen und waren mit ein Grund, wieso ich gerne nach Bern gekommen bin. Ich kämpfe gerne, und das Theater als Institution soll kämpfen, muss für seine Daseinsberechtigung einstehen. Dies ist mir lieber als einfach ein Haus von meinem Vorgänger zu übernehmen und mehr oder weniger in der gleichen Art weiterzuführen.

 Eine der politischen Forderungen besteht darin, dass Theaterinstitutionen eine wesentlich höhere Eigenwirtschaftlichkeit aufweisen sollten. Wie soll ein Theater, eine Kulturinstitution, ohne massive Preiserhöhung die Eigenwirtschaftlichkeit steigern, d.h. doch im Endeffekt noch weniger Publikum. Sollte der politische Trend nicht eher umgekehrt liegen: Bei tieferen Preise mehr Zuschauer, was aber auch höhere Subvention bedeuten würde. Ist der Politik klar, wieso etablierte, feste Theater teurer sind als eine vergleichbare private Institution! (fest angestelltes Personal, usw.) Nehmen die entsprechenden Gremien in der Kulturpolitik dies nicht wahr?

Konzert und Theater sind nicht dazu da und sind auch nicht dazu geeignet, im kommerziellen Sinn zu wirtschaften. Kultur muss, wie Bildung und Strassen, für jedermann erschwinglich sein. Je mehr dies in Richtung Privatwirtschaft driftet, bedeutet das eine ökonomische Rentabilisierung im kommerziellen Sinne. Entsprechend kostspieliger wird dieser Kulturgenuss und wird schlussendlich nur noch für eine gutbetuchte Elite zugänglich sein. Ich spreche auch nicht gern von Subventionierung, sondern von öffentlicher Finanzierung. Diese Finanzierungsart ist dazu da, durch ein kontinuierliches, künstlerisches Angebot mit den Ensembles eine Identität vor Ort, mit dem Ort zu schaffen –. Das heisst: Das Konzert Theater Bern ist ein Repertoiretheater, welches, im Gegensatz zu einem Event, ein (Aus-)Bildungsbetrieb in allen Bereichen ist – mit der künstlerischen Perspektive unsere kulturelle Herkunft, unser gesellschaftliches Miteinander, unsere politische Kultur aus heutiger Sicht dauernd neu zu untersuchen. Um dies zu erreichen, muss man alles zur Diskussion, in Frage stellen und auch mal daran scheitern dürfen. Dies ist nur möglich dank öffentlicher Finanzierung, welche nur begrenzt ökonomische Komponenten im Sinne der Eigenrentabilität beinhaltet. Sonst könnte ein Theater beinahe nur noch wiederholen, was schon mal erfolgreich war. Genau das Gegenteil ist die Aufgabe künstlerischer Produktionen. Wir behalten aber unseren Eigenfinanzierungsgrad im Auge. Zum einen weil der wirtschaftlich verantwortungsvolle Umgang mit öffentlichen Geldern zu den edlen Pflichten eines Intendanten gehört und zum anderen ist der Eigenfinanzierungsgrad, der wesentlich über die Eintrittsgelder erwirtschaftet wird, auch ein wichtiger Gradmesser dafür, ob man mit dem künstlerischen Programm die Interessen des Publikums trifft.

 Es fällt mir auf, dass Aufführungen wie z.B. Aida in Pfäffikon, Classic Open Air Solothurn oder Opera Basel trotz stolzer Preise gut besucht sind, auch wenn die künstlerischen Leistungen nie das Niveau von Bern, Basel oder Freiburg erreicht. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Diese Veranstaltungen sind abhängig von einem sehr hohen Eigenfinanzierungsgrad und können sich daher keine Experimente erlauben. Das ist aber auch nicht ihre Aufgabe. Solche Festivals haben Eventcharakter und sind auf die besondere Einmaligkeit ihres Ereignisses angewiesen. Dadurch sind sie auch für grosse Sponsoren interessant.

 Viel ist die Rede vom Regietheater. Im Musiktheater war früher oft der Dirigent der vorherrschende, heute scheint es der Regisseur zu sein. Im Sprechtheater führt allem Anschein nach das Regietheater oft zur Verstümmelung von Text und Handlung. Halten solche Mechanismen nicht oft das Publikum vom Theaterbesuch ab?

In jeder Premiere versuchen wir, Neues auszuprobieren. Aber was ist denn Regietheater? Das heutige Theatersystem basiert in seinem Wesen auf Goethe und Schiller, die in Weimar den Begriff des Theaters als moralische Anstalt geprägt haben. Das bedeutet aber nicht, Moral von der Bühne herunter zu predigen. Goethe und Schiller haben gefragt: „Was ist der Mensch? Was kann der Mensch? Wo will er hin?“ So ist jenes Theater entstanden, wie es heute im deutschen und europäisch orientierten Sprachraum existiert. Das System hat sich seitdem nicht wesentlich verändert. Man könnte sagen, dass Schiller und Goethe die ersten Regietheaterautoren waren – Schiller und Goethe haben viele ihrer Werke selbst auf die Bühne gebracht. Regietheater ist Interpretation der dramatischen Vorlage. Es hat die Aufgabe, bestehende Texte aus heutiger Sicht zu untersuchen, ihren heutigen Gehalt zu finden und dies zur Diskussion zu stellen. Weder Goethe noch Schiller oder Shakespeare werden uns aus dem Grab die Hand reichen und uns mitteilen, wie es damals gemeint war. Selbst wenn dies möglich wäre, müssen wir heute anders, neu interpretieren, auf die Bühne bringen. Theater hat die Aufgabe, mit seinen ästhetischen Mitteln Interpretationen der Werke zur Diskussion zu stellen. Ein reines vom Blatt spielen würde nicht zu Diskussionen darüber führen, ob das Theater seine Aufgabe erfüllt hat, Texte auf ihre heutige Relevanz zu befragen. Je höher das Risiko bei einer neuen Interpretation, desto grösser die Fallhöhe. Das Theater und auch das Konzert müssen sich aber immer der Frage stellen, wie das Publikum erreicht wird. Zuschauen und Zuhören muss sich genauso weiterentwickeln wie das Produzieren. Diese Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum ist wesentlich für Theater. Theater von heute ist immer ein Spiegel der heutigen, facettenreichen Gesellschaft. Allerdings existiert das Publikum nicht, mit einer Produktion kann man nie das gesamte Publikum ansprechen. Verglichen mit den neuen Medien ist das Theater eine langsame Institution und hinkt hinterher, ist dafür aber nachhaltiger und beständiger, kann mehr in die Tiefe gehen. Die vornehmste Aufgabe für das Theater ist dadurch, die Vielfältigkeit des Publikums in den Blick zu nehmen. Dies gilt für Musiktheater, Tanz, Konzert und Schauspiel, für alle Kulturinstitutionen. Das Publikum muss in frühester Jugend abgeholt werden. Auch die Formen müssen sich ändern. In unserer von Migration geprägten Gesellschaft ist es wichtig, die Heterogenität der heutigen Welt zu spiegeln, unseren westeuropäischen Kulturbegriff zu weiten, Partizipationsprogramme anzubieten, etc., etc. Das darf sich nicht nur auf Erwachsene beschränken. Theater, Musik, Kunst überhaupt sind ein wichtiger, ja wesentlicher Bestandteil von Integrationsprozessen. Dieser Schulungsprozess müsste mindestens eine Generation voraus angedacht werden. Eigentlich sind wir damit gesellschaftlich weit hinterher.

 Oft entsteht im modernen Theater der Eindruck, speziell im Sprechtheater, dass der Regisseur, die Regisseurin die Schauspieler hindert, ihre Kunst, schauspielerische Kunst auszuleben, sodass nur der Intellekt durch den Text angesprochen und die Emotion, der Bauch vernachlässigt wird. Stimmt dieser Eindruck?

Es gibt natürlich grundlegende Unterschiede beim Regieführen zwischen Musik- und Sprechtheater. Im Musiktheater ist das Spielfeld durch den Rhythmus und die Emotionalität der Musik weitgehend vorgegeben. Daher kann viel bildhafter gearbeitet werden. Im Sprechtheater muss all dies neu geschaffen werden: Dazu gehört die Textfassung, die Arbeit mit den Schauspielern, den Schauspielerinnen, das Bühnenbild, die Kostüme, die Lichtgestaltung, die Toneffekte usw. Die Musikalität einer Produktion entsteht eigentlich erst in der letzte Woche vor der Premiere, wenn all dies zusammenkommt. Theaterkunst heisst: Eine Kunstform, eine Ästhetik, anzubieten und gleichzeitig die SchauspielerInnen in ihren Rollen glaubhaft zum Leben zu erwecken. Das heisst, die Kunst Stanislawskis und Brechts in der angestrebten Ästhetik zu integrieren. Dies ist ein hoher Anspruch an die Regie. Viele Regisseure/Regisseurinnen beherrschen entweder das Eine oder das Andere. In den im modernen Theaterbetrieb üblichen kurzen Produktionszeiten ist es eine enorme Herausforderung, die beiden unterschiedlichen Ansätze auf einen Punkt zu bringen.

Sprechtheater zu inszenieren, ist heute eine der schwierigsten Arbeiten im Theater. Es ist eine grosse Aufgabe, den zeitgenössischen Zugriff zu finden, welcher mit seiner Poesie, seiner Verführung, aber auch mit seiner Störkraft in die Nähe der gesellschaftlichen Prozesse, der gesellschaftlichen Veränderungen kommt. Sprechtheater sollte auch über das politische Tagesgeschehen hinaus fragen, was die Gesellschaft bewegt, umtreibt, was ihr wichtig ist. Dieses Vorausdenken und Suchen bedeutet für mich politisches Theater.

In einer Oper können Sie auch mal die Augen schliessen, wenn etwas visuell nicht gefällt. Beim Sprechtheater funktioniert das nicht. Im Musiktheater ist mit das Wichtigste, dass Regie und DirigentIn als Team zusammen erarbeiten, was auf der Bühne im Rahmen der Partitur, der Handlung ablaufen soll/muss. Nur dann wird es eine Produktion, die sowohl RegisseurIn als auch DirigentIn befriedigt. Diese Zusammenarbeit muss auch mit den Sängern, den Sängerinnen gesucht werden. Es ist ein Riesenunterschied, ob die Protagonisten auf der Bühne nur singen oder auch denken, was sie singen. Wenn ein Sänger/eine Sängerin auf der Bühne weiss, warum er/sie was, wann, wie, warum singt, singen muss, erzeugt das eine ganz andere Intensität, als wenn er/sie „nur“ singt. Allerdings funktioniert eine Oper auch bei „Nur-Sängern/Sängerinnen“ irgendwie, beim Schauspiel geht das schlicht nicht. So ist auch zu erklären, dass z.B. „TOSCA“ in derselben Inszenierung, mit dem identischen Bühnenbild und denselben Kostümen, aber mit immer wieder anderen SängerInnen/ über Jahre aufgeführt werden kann. Das aber ist nicht meine Vorstellung von Repertoiretheater. Ich strebe an, eine Repertoireinszenierung immer wieder zu überprüfen, in Frage zu stellen. Dazu muss die Arbeit mit den Ensemblemitgliedern weitergehen, die Künstlerlnnen müssen sich innerhalb des Teams entwickeln können.

 Im Bundinterview letztes Jahr wurde Ihnen die Frage gestellt: Haben Sie Angst um Ihr Theater? Ich möchte diese Frage generalisieren: Haben Sie Angst um die Institution Theater in der heutigen Form?

Naja, Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Eine so alte Institution wie das Theater muss sich aber immer wieder neu in Frage stellen, um lebendig und aktuell zu sein. Es ist eine grosse Herausforderung aus den vorhandenen Geldern eine künstlerische Quintessenz zu schaffen. Ich bin der Auffassung, dass ein gewisser Reibungsdruck, sprich Sparzwang, manchmal das künstlerische Resultat durchaus fördern kann. Das Wichtigste an einem Haus wie Konzert Theater Bern ist, zum gesellschaftlichen Diskurs für das Stadtklima beizutragen. Wenn dies gelingt, muss man um die Institution nicht fürchten, Ob die Struktur Repertoirethea-ter überlebt, weiss ich nicht. Ich kämpfe dafür. Das Fördern und der Ausdruck der Kreativprozesse im Menschen, in welcher Form und Struktur auch immer, wird sicher überleben. Diese Frage wird und wurde immer schon gestellt. Theater ist immer „Krise“, das ist sein Element, sein Lebenselixier. Wenn alles als selbstverständlich angenommen wird, dann erst müsste man sich Gedanken über die Existenz des Theaters machen.

 Vielen Dank Stephan Märki , dass Sie sich an einem arbeitsintensiven Premierentag für den neuen Merker Zeit genommen haben.

 Das Gespräch führte Peter Heuberger Basel

 

 

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