Stefan von der Lahr:
HOCHAMT IN NEAPEL
Kriminalroman
368 Seiten, Beck Verlag, 2019
In Rom wird ein Fußgänger brutal und absichtlich überfahren. Bevor die Polizei den flüchtenden Chauffeur eines Kleinlasters stellen kann, stirbt dieser bei einem Unfall. Es stellt sich heraus: Der Tote war Zollbeamter – und zwar ein bestechlicher (seine unendlich teure Modelleisenbahn unter dem Dach erregt nicht nur das Entzücken aller, sondern ist auch der Ort, wo belastende Papiere versteckt wurden). Der Mörder war von der Mafia aus Neapel geschickt worden. Auf der Spur dieses Verbrechens gerät Commissario Bariello immer tiefer ins kriminelle „Verschwindenlassen“ von Giftmüll…
In Neapel hingegen spielt sich gleichzeitig eine wahre Räuberpistole ab, als die amerikanische Wissenschaftlerin Dr. Jacky Napoletano über den sperrigen Padre Luis hinweg den Weg zu Weihbischof Montebello findet und von da zu absichtlich verborgenen Briefwechseln aus der Vergangenheit: Da findet sich sogar ein Schreiben von Johann Joachim Winckelmann, verfasst am Tag seines Todes, wo er über einen aufsehenerregenden Fund berichtet. Ja, es soll tatsächlich der Sarkophag von Alexander dem Großen sein, der irgendwo in Neapel, in Kirchentiefen verborgen, ruht…
Nun weiß man, welches Faszinosum die Geschichte des Alexander-Grabes und der verschwundenen Alexander-Leiche für Forscher, Fans und Krimi-Autoren darstellt, folglich kann man Stefan von der Lahr nachfühlen, dass er diesen schönen Mythos in seinen Neapel / Rom-Krimi einfügt. Zumal er auch einen deutschen Wissenschaftler auftreten lässt, der genau begründet, wie die Reste Alexanders (nur noch Kopf, ein paar Knochen und ein paar Beigaben) von Alexandria nach Neapel gekommen sein könnten.
Wenn man sich dann auf die Suche nach diesen Relikten begibt (die endgültige Lösung, wo sie sind, ist trickreich, hat mit Neapels Hauptheiligen San Gennaro zu tun und wird natürlich nicht verraten), dann laufen die verschiedenen Handlungsstränge zusammen – denn in den vielen Katakomben, die Neapel aus antiker Zeit unterhöhlen, kann man nicht nur Knochen suchen, sondern auch Giftmüll verstecken…
In dem ganzen schmutzigen, aber lustvoll zu lesenden Spiel der Unwahrscheinlichkeiten wirkt noch ein pädophiler russischer Oligarch mit, der sich im idyllischen Posillipo (am Rande von Neapel) niedergelassen hat und dort der geheimen Vereinigung der „Diadochen“ angehört. Wo die noblen italienischen Herren noch vor ultimativen Schritten zurückschrecken, kennt der Russe kein Zögern… aber er will ja nicht nur die Reste Alexanders und verdient viel Geld mit dem Herumschieben von Giftmüll, er möchte auch noch den russischen Präsidenten ermorden. Der Phantasie von Krimi-Autoren sind keine Grenzen gesetzt, wenn man sich auch manchmal fragt, wie viele von diesen geschilderten Dingen eigentlich gut möglich sein könnten.
Zur Ermordung Putins kommt es am Ende nicht, unser knurriger Padre Luis widersteht der Folter durch die Mafia und rettet seine Mitstreiter, an manchem Kirchen-Oberen wird kein gutes Haar gelassen (schamlose Bereicherung, üble Geschäfte), scheinbar karitative Firmen (die noch dazu EU-Subventionen erhalten) wickeln unter dem Mäntelchen der Menschenliebe die mörderischsten Geschäfte ab – und schließlich kann man sich im alphabetischen Personenverzeichnis noch überzeugen, wie viele historische Figuren (und mit ihnen historisches Wissen) der Autor neben seinen erfundenen Protagonisten hier eingebracht hat.
Renate Wagner