Opernausgrabung bei den Schwetzinger Festspielen: „Rosamunde“ von Anton Schweitzer (Premiere: 20. 5. 2012)
Eleonore Marguerre als Rosamunde in ihrem „Kleinmädchenzimmer“ im Turm (Foto: Monika Rittershaus)
Die 60. Schwetzinger Festspiele, die in den letzten Jahren des Öfteren mit Uraufführungen und selten gespielten Werken aufwarteten, brachten heuer eine besondere Opernrarität auf die Bühne des reizenden Rokokotheaters des Schlosses Schwetzingen: „Rosamunde“ von Anton Schweitzer. Der deutsche Komponist (1735 in Coburg getauft, 1787 in Gotha gestorben) war erst Geiger in der Kapelle des Herzogs von Hildburghausen, deren Kapellmeister er nach Studien in Italien wurde. 1784 ließ er sich in Gotha nieder, wo er als Nachfolger von Benda Hofkapellmeister wurde. In Zusammenarbeit mit Christoph Martin Wieland versuchte er, eine deutsche Nationaloper zu etablieren. Nach Alceste 1773 schufen die beiden die vieraktige Oper Rosamunde, die 1780 in Mannheim uraufgeführt wurde.
Die traurige Geschichte von Rosamunde findet sich in einer mittelalterlichen englischen Chronik, die schildert, dass sie „wie einige sagen, vergiftet von der Königin Elinor, im Jahre 1177 zu Woodstock starb, wo König Heinrich ein Haus von wunderbarer Bauart für sie hatte bauen lassen“. Die Handlung der Oper: Die englische Königin Elinor von Aquitanien verdächtigt ihren Mann König Heinrich II. von Plantagenet der Untreue. Als sie von Belmont erfährt, dass ihr Gemahl in Woodstock eine junge Geliebte namens Rosamunde versteckt hält, beschließt sie, die Mätresse zu beseitigen. Rosamunde sehnt sich nach dem König, der seit einem Jahr auf dem Kontinent in Feldzüge verstrickt ist. – Belmont verschafft der Königin Zutritt zum bewachten Aufenthaltsort Rosamundes. Die wütende Königin stellt das Mädchen vor die Wahl, durch Gift oder Dolch zu sterben und lässt sich weder durch Belmonts Warnungen noch durch Rosamundes Beteuerung ihrer physischen Unschuld vom Mord abhalten. – Als der König siegreich zurückkehrt, trifft er Rosamundes Wärterinnen bei den Begräbnisvorbereitungen. Belmont berichtet ihm, dass er das Gift gegen ein Betäubungsmittel ausgetauscht habe und Rosamunde bereits auf dem Weg der Besserung sei. – Als Rosamunde erwacht, findet sie König Heinrich an ihrem Bett. Da stürzt die Königin herein und erinnert ihren Mann an seine Verpflichtungen als Herrscher. Er jedoch will ihren Mordanschlag dazu nutzen, um sie zu verstoßen und Rosamunde als Königin auf den Thron zu heben. Die Ländereien, die Elinor mit in die Ehe gebracht hatte, gibt er ihr zurück. Rosamunde erkennt, dass des Königs Regierungsverantwortung ihre Liebe unmöglich macht, und will sich von ihm trennen. Doch der König befiehlt die Hochzeit. Während der Zeremonie dringt Königin Elinor ein und ersticht Rosamunde.
Jens-Daniel Herzog verlegte, wie er es häufig in seinen Inszenierungen macht, die Handlung in die heutige Zeit und wollte scheinbar eine Parodie auf die Bühne stellen. Es gelang ihm auch einige Male, wie beispielsweise die köstlich-komische Begrüßung und Ehrung des Königs nach seinem erfolgreichen Feldzug oder in einigen Szenen mit der eifersüchtigen Königin, die während der Ouvertüre die Bühne betritt, aus ihrem Dekolleté Zigaretten und Feuerzeug hervorzaubert und ihre Nervosität mit Rauchen bekämpft.
Leider verfiel der Regisseur bei der Titelfigur, die er als Baby-Doll-Verschnitt zeigt, die vom König in einem – bildlich gesehen – „gläsernen Turm“ gehalten wird, in eine Kitsch-Orgie. Als die Türen zum Turm geöffnet werden, sieht man das Mädchen in einem Riesenbett mit unzähligen Teddybären liegen. Rosamunde träumt vom König, blättert in einem Kalender mit Tierfotos und beschmiert ihr Gesicht mit Schokolade. Die Wände des Raums sind Tapeten mit „hunderten“ Eisbären, ihre Wärterinnen bringen noch ein paar als Bären verkleidete „Spielgefährten“ mit, die sie mit kleinen Teddybären bewerfen.
Die Gestaltung der Bühne durch Frank Hänig war – abgesehen vom Interieur des Turms – stilvoll und praktisch. Sie bestand aus zwei Wänden, an denen Tür an Tür gereiht war, die sich für einige witzige Szenen situationsgerecht drehen ließen und für überraschende Effekte sorgten. Die modern gestalteten Kostüme entwarf Sibylle Gädeke.
In der Titelrolle brillierte die Sopranistin Eleonore Marguerre stimmlich und darstellerisch. Es gelang ihr, die Sehnsüchte eines jungen Mädchens mit ihrer lyrischen Stimme wunderbar auszudrücken und auch schauspielerisch trotz ihres kitschigen Umfelds eindrucksvoll zu gestalten. Ihre Gegenspielerin, die Königin Elinor, wurde von der Sopranistin Sarah Wegener als eifersüchtige und mordlüsterne Furie dargestellt. Dazu passten wohl auch die extreme Lautstärke, mit der sie ihre Rolle sang, und ihr exaltiertes Spiel, das sie sogar durch den Zuschauerraum trieb. Als König Heinrich II. gefiel Christoph Genz durch seine warme, gefühlvoll timbrierte Tenorstimme, während Morgan Moody als Belmont mit kräftiger Baritonstimme und einer starken Bühnenpräsenz auftrumpfte.
Eine treffliche komödiantische Leistung bot der österreichische Bassbariton Johann Werner Prein in der Rolle des Ritters vom Turm, der sich bei der Verteidigung von Rosamundes Domizil ein witziges Duell mit Belmont lieferte, ehe er sich geschlagen geben musste. Die beiden Vertrauten Rosamundes wurden von den Sopranistinnen Julia Amos und Anke Briegel dargestellt, die – wie auch die Sängerin der Königin – mit hässlichen Wangenmikrophonen ausgestattet waren. Warum dies in einem so kleinen Haus wie dem schmucken Rokokotheater Schwetzingen vonnöten ist, blieb ein Rätsel.
Die Herren des stimmkräftigen Philharmonischen Chors Klausenburg (Cluj) waren im dritten Akt für die köstlich komische Begrüßung und Ehrung des Königs mit verantwortlich, die Damen für die kitschige Unterhaltung Rosamundes in deren Turm. Sehr ambitioniert spielte das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung des erfahrenen niederländischen Dirigenten Jan Willem de Vriend, das die barocke Partitur des Komponisten, die Wehmut, Liebe und Angst ebenso musikalisch ausdrückt wie Leidenschaft und tödliche Eifersucht, in allen Klangfarben wiedergab.
Das Premierenpublikum war von der musikalischen Darbietung angetan und spendete am Schluss der dreistündigen Vorstellung den Sängerinnen und Sängern sowie dem Orchester und seinem Dirigenten minutenlang Beifall, das Leadingteam erntete einen laut schallenden Buhruf, der wohl und das nicht ganz unverdient dem Regisseur galt.
Udo Pacolt, Wien – München