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SCHWETZINGEN/ Festspiele: RE:IGEN von Bernhard Lang. Premiere

25.04.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen: „Re:igen“ von Bernhard Lang (Premiere: 25. 4. 2014)

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Die Uraufführung der Lang-Oper „Re:igen“ bot erotische Szenen en masse (Foto: Martina Pipprich)

 Die Schwetzinger Festspiele 2014, die vom deutschen Südwestrundfunk veranstaltet werden, wurden am 25. April mit der Uraufführung eines österreichischen Komponisten eröffnet: mit der Oper „Re:igen“ von Bernhard Lang, deren Libretto Michael Sturminger nach  Schnitzlers bissiger Komödie „Reigen“ verfasste, die 1921 zu einem veritablem Theaterskandal und sogar zu einem Prozess führte. Angewidert von den pseudomoralischen und bigotten Attacken auf seine Person ordnete Arthur Schnitzler an, dass sein Stück erst fünfzig Jahre nach seinem Tod wieder auf der Bühne gespielt werden dürfe.

Bernhard Lang  (geb. 1957), dessen unkonventionelle Kompositionen zwischen avantgardistischer Musik, Pop und Jazz angesiedelt sind, brachte in seiner Oper die Monotonie der sich wiederholenden erotischen „Schnitzler-Akte“ kongenial mit den ihm eigenen musikalischen Mitteln zum Ausdruck.

Der Schweizer Regisseur Georges Delnon – er war unter der Mitarbeit von Franziska Kronfoth auch für die Bühnengestaltung zuständig – inszenierte im schmucken Rokokotheater die zehn fast gleichwertig ablaufenden Szenen mit nur geringen Abweichungen und stellte ins Zentrum des Werks den stets getriebenen Menschen, wobei das Publikum auf einer extra eingebauten Zuschauertribüne auf der Bühne des Theaters saß. Das Sängerensemble agierte im früheren Zuschauerraum, das Orchester spielte in den Logen.

Da der Regisseur dem Publikum eine sehr realistische Szenenfolge bot – als Einstimmung zur Oper ließ er von zwei Statisten in einer Loge eine offenherzige Liebesszene zelebrieren –, wurden an das Sängerensemble außergewöhnliche Anforderungen gestellt. Alle erotischen Szenen gingen über bloße Andeutungen weit hinaus, ohne aber ins Lächerliche oder rein Pornographische abzugleiten. Man muss allen Sängerinnen und Sängern ein Kompliment machen, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihre Rollen bewältigten! Für die oft freizügigen Kostüme zeichnete Claudia Irro verantwortlich, für das Video, das auf etwa 25 Bildschirmen lief und Straßenszenen sowie Textpassagen zeigte, Yvonne Mohr.

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Eine attraktive Prostituierte gab die Mezzosopranistin Almerija Delic (Foto: Martina Pipprich)

 In einem Gespräch mit Bernhard Lang, das im informativ gestalteten Programmheft unter dem Titel „Ein großes Lügenmärchen“ abgedruckt ist, ging der Komponist ausführlich auf seine Musik, aber auch auf den Text ein. Daraus zwei Zitate: „Unser Augenmerk galt der Textverständlichkeit. Das ist ein ganz wichtiges Ideal, das Publikum verstehen zu lassen. Dafür habe ich in letzter Zeit neue Techniken entwickelt, eine Art Sprechgesang, ein rhythmisches Skandieren als Texttransport.“ … „Sturminger hat sprachlich aktualisiert, die  Austriazismen und Anachronismen gestrichen. Seine Intension war, ein Pastiche zu schaffen. Die Eingriffe sollten unmerklich sein, als käme der Text noch original von Schnitzler, jedoch aus unserer Zeit. Es ist ihm sehr gut gelungen, die Eigenart der Schnitzler’schen Sprache zu erhalten.“ Allerdings hatte ich das Gefühl, dass das sprachlich Poetische dabei doch oft auf der Strecke blieb. Während bei Schnitzler die Namensgebung oft nur versteckt ist, hat Michael Sturminger allen Personen des Stücks einen Namen gegeben.

Die Erklärung für die Schreibung „Re:igen“ des Titels liefert Georges Delnon in seinem Vorwort zum Programmheft: „Wie die Zahnräder des industriellen Zeitalters zu Schntzlers Zeit, wie die Schaltkreise in der Hardware der virtuellen Verbindungen im 21. Jahrhundert atmen diese zehn Liebesakte den Geist der Mechanik. Mit einer Musik, die in der Wiederholung die feinen Differenzen offenlegt, hat uns der Komponist Bernhard Lang beschenkt. Die Verhältnisse dieses Querschnitts durch die Gesellschaft werden auch gut ein Jahrhundert nach Schnitzlers Diagnose re-produziert: Reigen wird zu Re:igen.“ 

 Beeindruckend war die Leistung von Almerija Delic, die als Prostituierte Manuela stimmlich durch ihren wunderbar wandelbaren Mezzosopran wie darstellerisch durch große Freizügigkeit im Kostüm sehr überzeugend wirkte.  Ihr ebenbürtig der Schweizer Tenor Cornel Frey in der Rolle des Polizisten Franz, der auch dem weiblichem Publikum einiges zu bieten hatte.  In der Doppelrolle als Hausmädchen Marie und Schulmädchen Lilly konnte die schlanke Sopranistin Clara Meloni genauso gefallen wie der stattliche rumänische Countertenor Alin Deleanu in der Doppelrolle als Schauspielerin Pauline und junger Mann Alfred, wenngleich er manchmal zu stark outrierte.

Auch der routinierte  deutsche Bariton Kai-Uwe Fahnert hatte zwei Rollen zu spielen: den Privatier Johannes und den Ehemann Karl. Er wirkte durch seine starke Bühnenpersönlichkeit und punktete auch durch seine erstklassige Wortdeutlichkeit. Dass er vom Publikum am Schluss den stärksten Beifall erhielt, wunderte nicht. Die französische Mezzosopranistin Amélie Saadia gab auf entzückende Weise die junge Frau Emma, der finnische Tenor Lasse Penttinen den Autor Robert.

 Mit großem Einfühlungsvermögen ins Werk leitete der norwegische Dirigent Rolf Gupta das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und die Mitglieder der SWR Big Band. Mit ein Grund, dass das Sängerensemble erstaunlich wortdeutlich blieb (Übertitel gab es nicht).

 Das atemlos lauschende Publikum applaudierte am Schluss allen Mitwirkenden, auch dem Regieteam, minutenlang und feierte den Komponisten Bernhard Lang besonders lautstark. Mit dieser Uraufführung gelang den Schwetzinger Festspielen 2014 ein gelungener Start. 

 Udo Pacolt

 

 

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