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SAN FRANCISCO/ War Memorial Opera House: DOLORES CLAIBORNE von Tobias Picker – Welturaufführung

05.02.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

War Memorial Opera House San Francisco Tobias Picker DOLORES CLAIBORNE (28.9.2013 Welturaufführung)

Dolores Claiborne
Copyright: San Francisco Opera

– Da ich sehr am Opernschaffen des geborenen US-amerikanischen Komponisten Tobias Picker (18.7.1954*) interessiert bin, stellte mir seine Agentur den Mitschnitt der Uraufführung seiner letzten Oper dankenswerter Weise zur Verfügung.

Es ist bereits die fünfte Oper des Komponisten. Den bisher größten Erfolg, glaubt man den Rezensionen aus den USA, erzielte seine erste Oper „Emmeline“ (1996), die auf erschütternde Weise das Ödipusthema in Maine im 19. Jhd. abhandelt.

Hierauf folgte die Kinderoper „Fantastic Mr. Fox“ (1998) nach einer Erzählung von Rouald Dahl, „Thérèse Raquin“ (2001) nach Émile Zola und schließlich „An American Tragedy“ (2005) nach einer Novelle von Theodore Dreiser, die an der Metropolitan Opera New York uraufgeführt wurde.  

„Dolores Claiborne“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des US-amerikanischen Bestsellerautors Stephen Kind (21.9.1947*) aus dem Jahre 1993. Zwei Jahre später wurde der Roman mit Kathy Bates und Jennifer Jason Leigh in den Hauptrollen verfilmt. Stephen King, der an einer Vertonung seines Romanes wenig Interesse zeigte, verkaufte die Rechte an diesem symbolisch für einen Dollar an Picker und der US-amerikanische Schriftsteller, Hochschullehrer und Literaturkritiker J. D. McClatchy (1945*) gestaltete aus dem 300 Seiten langen Monolog das zweiaktige Libretto für die Oper. Die Handlung ereignet sich in Maine zwischen 1961 und 1963.

Dolores Claiborne3
Copyright: San Francisco Opera

Zum Inhalt: Zu Beginn der Oper wird Dolores Claiborne einem Polizeiverhör unterzogen, in dessen Verlauf sie erzählt, dass sie Vera Donovan, eine wohlhabende ältere Dame, die sie schon seit Jahren betreut hatte, nicht getötet habe. Diese sei die Treppen ihres Hauses hinabgestürzt. Sie gesteht allerdings, ihren Gatten, Joe St. George, vor fast 30 Jahren ermordet zu haben, weil sich dieser an ihrer gemeinsamen Tochter Selena vergangen habe. Dieses „Geständnis“ entwickelt sich im Roman wie der Oper zur aufwühlenden Geschichte ihres Lebens, ihrer belasteten Ehe und der ebenso belasteten Beziehung zu ihrer Arbeitgeberin Vera Donovan. Selena hegt seit langem den Verdacht, dass ihre Mutter ihren Vater ermordet hat. Sie will Gewissheit. Dolores kann ihre Tochter schließlich davon überzeugen, dass sie keinen anderen Ausweg gesehen hätte. Beide seien Opfer von Joe St. George. Vera Donovan, der sie sich anvertraut hatte, hätte ihr geraten, Joe zu töten und so hätte sie Joe während einer Sonnenfinsternis zu einer alten vermoderten Brunnenabdeckung gelockt, Joe sei hinabgefallen und verstorben und die Beamten wären seinerzeit von einem Unfall ausgegangen. Selena, inzwischen erfolgreiche Anwältin, erreicht die Freilassung ihrer Mutter, die das ihr zugedachte immense Erbe von Vera Donovan einem Waisenheim überträgt. Sie bleibt von ihrer Tochter verlassen und gebrochen auf der Insel Maine zurück und stammelt die Worte „I did the best I could.“

Dolores Claiborne2
Copyright: San Francisco Opera

Tobias Pickers postmoderne Musik ist fiebrig, zitternd, Atmosphäre aufheizend in der Tristesse der 60ger Jahre in Maine. Amerikanische Kritiker beschreiben seine Musik als „lingua franca“ der amerikanischen Oper ihrer Zeit, wie sie von  Gian-Carlo Menotti begründet worden war. Die Personen der Oper sind verzweifelt, hart, ob des rauen Klimas von Maine, der ihre Herzen kalt und verbittert gemacht hat. In diesem Milieu kämpft Dolores um das ihr Überleben und das ihrer Tochter, bereit, alles zu tun, alles zu opfern, sogar bis zum Mord zu gehen. 

In Patricia Racette, die bereits in zwei Opern von Tobias Picker, „Emmeline“ und „An American Tragedy“, aufgetreten war, stand am Premierenabend eine exzellente Sängerdarstellerin mit dramatisch aufloderndem Sopran zur Verfügung, die die schonungslose seelische Entblößung der tragischen Titelheldin idealtypisch verkörperte. Sie war nur drei Wochen vor der Premiere für die erkrankte Dolora Zajick eingesprungen. Für den Komponisten ist die Titelheldin eine Art „amerikanische Tosca“, die, in die Enge getrieben, schicksalshafte, unwiderbringliche  Entscheidungen treffen muss, nur um ihre geliebte Tochter zu retten. Die Rolle, ursprünglich für Mezzosopran geschrieben, musste daher in der Gesangslinie für Sopran Patricia Racette, vom Komponisten noch angeglichen werden.

Ihre herrische Arbeitgeberin Vera Donovan, die sie schließlich zum Mord an ihrem Gatten anstiftet, wird ebenso hinreißend von Mezzosopran Elizabeth Futral verkörpert. Sie gesteht Dolores mit den Worten „Men have accidents“, ihren eigenen Gatten umgebracht zu haben, indem sie die Schrauben an den Bremsen seines Autos gelockert hatte. Und schärft Dolores noch ein: „Something rare, something strange. You’ll think of something Dolores, something to bring it all to an end. Accidents can be an unhappy woman’s best friend“.

Susannah Biller gestaltete auf ebenso berührende Weise den Wandel der unschuldigen Tochter Selena St. George bis zur New Yorker Staranwältin in ihrem Penthouse, in der jegliche Gefühle und innige Mutterliebe erloschen scheinen.

Wayne Tigges kann sich als versoffener tyrannischer Ehemann Joe St. George neben dieser starken Frauenrige mit markigem Bass-Bariton  behaupten.

 Tenor Greg Fedderly als Detective Thibodeau und Joel Sorensen als Banker Mr. Pease, der Dolores Ehemann Joe alle Ersparnisse seiner Gattin ohne deren Zustimmung ausgehändigt hat, gefielen in den kleineren, aber ebenso wichtigen Rollen.  

 George Manahan gab sein Debüt am Pult des Orchesters der San Francisco Opera. Er wählte einfühlsame Tempi, die das Geschehen naturalistisch illustrierten, setzte an den dramaturgischen Höhepunkten expressive Akzente und unterlegte die Bergung der Leiche von Joe St.George aus dem Brunnen, die filmisch in einem sinfionischen Zwischenspiel (Video: Greg Emetaz)  gezeigt wird, elegisch getragen aus.

 Regisseur James Robinson rollte die Handlung in den rasch wechselnden naturalistischen Bühnenbildern von Allen Moyer und den Kostümen aus den 60ger Jahren von James Schuette, sowie der stimmgebenden Ausleuchtung von Christopher Akerlind, in Rückblenden filmisch auf. 

 Seit 2006 hat David Gockley, der Generaldirektor der San Francisco Opera sieben Welturaufführungen kommissioniert: „Appomattox“ von Philip Glass, „Bonesetter’s Daughter“ von Stewart Wallace, „Heart of a Soldier“ von Christopher Theofanidis, „The Secret Garden“ von Nolan Gasser und „The Gospel of Mary Magdalene“ von Mark Adamo, „Dolores Claiborne“ von Tobias Picker und schließlich „La Ciociara“ von Marco Tutino, die im Juni 2015 uraufgeführt werden soll.

 Ich würde diese Oper nicht unbedingt als konventionell bezeichnen, nur weil Picker es versteht, neben Parlandoszenen, prächtige Duette und Trios zu gestalten, und von den Hauptdarstellern gesangliche Höchstleistungen abverlangt. Er hat einen geeigneten Stoff gefunden und das klaustrophobe Ambiente, in dem sich die Handlung entwickelt, die Ängste und Abgründe menschlicher Seelenzustände, musikalisch prächtig umgesetzt.

Man kann gespannt sein, ob man nach dem endlosen Kanon von Philip Glass Opern auf dem Kontinent endlich einmal auch eine Oper von Tobias Picker hier zu Lande erleben darf.                                     

Harald Lacina

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Copyright: San Francisco Opera

 

 

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