SAMUEL YOUN im Gespräch mit DDr. Klaus-Ulrich Groth
Samuel Youn
Fast unbemerkt hat sich ein erstaunliches Phänomen manifestiert: Drei koreanische Bässe beherrschen zunehmend das Fach und es bedarf keiner besonderen Prognose, dass sie angesichts ihres durchweg relativ jungen Alters und ihrer außerordentlichen stimmlichen Qualitäten in Zukunft die großen Opernhäuser der Welt noch mehr dominieren werden als jetzt. Einer davon ist Samuel Youn (die anderen sind der Bayreuther und Wiener Hagen Atila Jun und der Bayreuther und Münchener Gurnemanz Kwanchul Youn). Wie das zu erklären ist, weiß Samuel Youn auch nicht recht. Er spricht schlicht und einfach von einem Gottesgeschenk. Das bezieht sich auch ganz besonders auf ihn selbst. Von den Eltern sind ihm Oper und Gesang nicht in die Wiege gelegt worden. Der Vater war Mathematiker. Auch die Mutter war keine Sängerin. Youn war allerdings schon in jungen Jahren von einer speziellen Art der koreanischen Oper fasziniert, deren Charakteristikum es ist, dass sie von einer Person gestaltet wird, die sämtliche Rollen übernimmt. Im privaten Kreis selbst zu singen machte ihm Spaß. Er nahm deshalb das Musikstudium in Seoul auf und wechselte sodann für fünf Jahre nach Italien, wo er seine Studien in Mailand fortsetzte und ihm eine Belcanto-Technik vermittelt wurde, die ihm auch heute noch ermöglicht, Rollen des italienischen Fachs zu übernehmen.
Sein Schwerpunkt liegt allerdings im deutschen Fach, welches er sich in seiner Zeit an der Kölner Oper, an die er 1999 verpflichtet wurde, erarbeitet hat. Daraus erklärt sich auch, dass man sich mit ihm ebenso in perfektem Italienisch wie Deutsch unterhalten kann. Aus seinem Repertoire ragen aber nicht nur Partien des deutschen Fachs heraus, sein Repertoire umfasst Escamillo, Scarpia, Pizarro, Don Carlo (Forza), Orest (Elektra), Barak, Jochanaan, Amfortas und Klingsor, Donner, Wotan und Wanderer, Gunther und Hagen und natürlich den Holländer. Mit diesen Rollen deckt Youn naturgemäß ein Mangelfach ab. Dabei hat er den Vorteil, dass er als Bass-Bariton mit guter Höhe durchaus in der Lage ist, auch noch eine relativ hoch gelegene Tessitura im Bariton-Bereich zu bewältigen (sein Jago-Debüt steht bevor).
Durch die geschickte Repertoire-Zusammenstellung ist es ihm in der Zeit seit 2010 gelungen, selbst bedeutendste Häuser wie die Opéra de Paris, die Scala di Milano die Deutsche Oper Berlin und erst recht (seit 2004!) die Bayreuther Bühne zu erobern. Von seinen zahlreichen weiteren Auftritten sind der Wanderer am Teatro Nacional dos Sao Carlos in Lissabon als Einstieg in den „Ring“ (schon im Juli 2008), der Kurwenal an der Deutschen Oper Berlin (schon im Juni 2009) besonders zu erwähnen. Neben den zahlreichen weiteren Engagements in Italien und Frankreich, in Tokio und Seoul fällt ein weißer Flecken auf: In Österreich war Youn noch nie zu hören. Das ist eigentlich unverständlich nach seinem sensationellen Holländer bei den Bayreuther Festspielen 2012, liegt aber möglicherweise an den Imponderabilien des Intendantenwechsels an der Wiener Staatsoper.
An der Covent Garden Opera in London wird er in der nächsten Spielzeit als Scarpia debütieren. In Berlin ist er als Wanderer zu hören. Die Begegnung mit dem Interviewer fand anläßlich zweier Vorstellungen von Verdis „Attila“ in Köln statt, in denen Samuel Youn die Titelrolle mit Bravour meisterte und damit seine große Kölner Fangemeinde begeisterte. Am Freitagabend sang Youn noch im Palladium. Am Sonnabend hatte er Proben in Bayreuth. Am Sonntagabend mußte er wieder als Attila auftreten. All das schien der Stimme in keiner Weise geschadet zu haben. Auch fällt auf, dass Youn in den Pausen völlig locker bleibt und selbst vor den Vor-stellungen nicht in Nervosität verfällt. Er erklärt das ganz simpel: „Als Sänger muß man darauf achten, daß man locker bleibt. Dafür muß ich Spaß haben.“ Und dazu gehört auch die fern jeder Starallüren betriebene lockere Kommunikation mit dem einfachen Orchestermitglied oder sonstigen Mitarbeitern des Opernhauses und natürlich seiner Fangemeinde.
Befragt, wie er die geschilderten Strapazen wegsteckt, lässt er durchblicken, dass ihn seine attraktive Ehefrau und seine kleine Tochter häufiger begleiten und die Ehefrau dabei gelegentlich auch die Chauffeur-Dienste übernimmt, um ihm eine gewisse Ruhe- und Entspannungsphase während der Reise zu ermöglichen. Nach Bayreuth fährt er gelegentlich auch mit der Bahn, so bereits schon wieder am nächsten Tag nach dem zweiten Attila-Auftritt. Dafür muß man in der Tat robust sein, auch wenn man noch so jung wie Samuel Youn ist.
Es gibt allerdings auch eine nachdenkliche Seite an ihm. Angesprochen auf das Leben eines erfolgreichen Opernsängers, räumt er ein, dass dieses eigentlich gar nicht so begehrenswert ist, wie es von außen aussieht. „Sänger müssen stets um ihre Gesundheit besorgt sein, müssen ihre Stimme pflegen und sind gezwungen, an jedem Abend, an dem sie auftreten, Höchstleistungen zu liefern.“ Insofern unterscheidet sich in der Tat das Dasein eines Karrieristen auf der Opernbühne wenig von dem eines Spitzensportlers.
Abschließend befragt zur Wahl des Repertoireschwerpunkts im deutschen Fach meint Youn, eigentlich sei ihm während seiner italienischen Studienzeit in erster Linie Belcanto-Technik vermittelt worden. Diese sei im hohen Maße anspruchsvoll und fordere noch mehr Genauigkeit als die Gestaltung einer Rolle des deutschen Fachs. Insofern empfindet er auch den Holländer nicht als Belcantopartie, obwohl das vielfach so gesehen wird. Allerdings weist er darauf hin, dass Wagner diese Partie sehr sängerfreundlich gestaltet habe. Man könne die Stimme gewissermaßen fließen lassen. Unangenehm sei es nur, wenn ein Fehler unterlaufe. Dann sei es schwer, wieder in den Fluß zurückzufinden. Strauss zu singen sei demgegenüber schon wieder etwas anderes und fordere einen anderen technischen Ansatz. Auch der Wotan sei sehr angenehm zu singen, und er freut sich darauf, demnächst einen vollen Ring gestalten zu können (Anmerkung des Rezensenten: Wer einen Holländer und Wotan als leicht zu singen empfindet, muss tatsächlich begnadetes Material und ein robustes Gemüt haben).
Klaus Ulrich Groth