
Der Mäusechor und die Mäusearmee Copyright: Monika Rittershaus
Salzburger Festspiele 2016 – Haus für Mozart
Charles Gounod FAUST
17.August 2016
In einer Inszenierung von Reinhard von der Thannen
Von Peter Skorepa – MerkerOnline
Ein Faust aufs Auge
Hat Richard Strauss eine Vision gehabt, was man einst bei den Salzburger Festspielen 2016 mit der Literaturoper anzufangen weiß, nämlich nichts? „Der „Faust“, von einem Franzosen komponiert, das war mit dem kulturellen Weltbild des Münchner Komponisten völlig unvereinbar. Noch 1945 schreibt Strauss in seinem „Vermächtnis“ an Karl Böhm, zu Opern verunstaltete literarische Klassiker, vor allem solche deutscher Provenienz, „gehören nicht auf die deutsche Bühne“. An diese Zeilen aus einer Wiener Tageszeitung dieser Woche erinnert man sich, wenn man das Ergebnis ansieht, das derzeit über die große Bühne der Festspielstadt geht. Es hätte besser unterbleiben sollen!
Was der bayreutherprobte Bühnenbildner Reinhard von der Thannen den Zuschauern vorsetzt, ist eine kunstgewerblich billig wirkende lächerliche Plastikszenerie, in welche er als Regisseur seine revuehaften Elemente mit einer Art von gelben Mäusen ausführen läßt. Die männlichen Exemplare mit Zylindern, die weiblichen mit Mickymaus-Mützen auf dem Kopf, vollführen tatsächlich völlig sinnentleerte Hüpfereien und Tänze, eine Musicalrevue auf einem Ozeandampfer kann nicht fürchterlicher aussehen. Die Ratten Bayreuths lassen grüßen, denn dort hat sich der Regisseur zusammen mit Hans Neuenfels in der Tierdarstellung auf der Bühne bereits erprobt. Was Gounod und seinem Team gelang, dem Inhalt des ersten Teil des Dramas von Goethe, seinem Weltendrama, an Geistigem durch Ablenkung mit süffigen französischen Melodien Schaden zuzufügen, das vollendete der Regisseur in Zusammenarbeit mit seiner konzeptionellen Mitarbeiterin und Gattin (!) Birgit von der Thannen. Das Team darf sich zugute halten, wenigstens die zentralen Gesangsstellen des Werkes einigermaßen störungsfrei auf die Bühne gestellt und damit die Stimmfetischisten im Publikum nicht ganz verärgert zu haben.
Zu lesen gibt es eine Menge im üppigen Programmheft über die Entstehung dieser Regie, wie immer sind die Überlegungen und die Konzeptionsgespräche mit dem Leading Team, die der Regieassistent Alexander Fahima geführt und aufgezeichnet hat, interessant zu lesende Sekundärliteratur. Aber das Ergebnis? Eine einzige, hilflos wirkende Szenerie. (Eine Tatsache ist leider diese ewige Diskrepanz im Wollen und ein Mangel im Ergebnis bei fast allen Opernproduktionen heutzutage, dagegen ist kein Intendant gefeit. Warum wohl? Weil er sich scheut einzuschreiten, da er sonst fürchten muss, eines inkompetenten Eingriffs in die künstlerische Freiheit bezichtigt zu werden. Am besten, man liest diese Programmheftliteratur erst gar nicht)

Piotr Beczala: Faust Copyright: Monika Rittershaus
Den musikalischen Bereich dominiert ein Tenor, der schön langsam den Gipfel seines Könnens erreicht hat: Piotr Beczala. Elegant mit Wallehaar steigt er aus dem Jungbad Mephistos, seine Wandlung vom uralten Gelehrten mit Glatze und altmodischer Halskrause gelingt ihm auch stimmlich hörbar zu machen. Und der so operettenhaft wirkende Schnurrbart musste durchaus zum Vorteil des Aussehens des Sängers diesmal weichen. Nicht nur das hohe C in seiner Arie – wohl ein Markenzeichen für diese Rolle – das gelang ansatzlos aus der Gesangslinie heraus, klar, kräftig und nicht gepresst, sondern von müheloser lyrischer Expressivität. Berühmte Vorbilder werden da aus der Erinnerung wach wie etwa Kraus oder Wunderlich, auch mit Björling kann er sich durchaus messen, zumindest im Fernduell. Nun, seine restliche Leistung traf alle die Erwartungen, sowohl in dem berühmten Duett mit Margerite als auch in den Ensembles.

Maria Agresta:Marguerite
Copyright: Monika Rittershaus
Maria Agresta traf den Nerv der Rolle mit ausdruckstarkem Gesang, die Stimme – in der Tiefe und Mittellage dunkelgetönt – wirkte in der Höhe jedoch etwas angeschlagen und sie brachte die Partie nur schwer über die dramatischen Szenen in der Kirche und im Gefängnis. Der Mephistophélè von Ildar Abdrazakov konnte dem Zynismus dieser Rolle mehr stimmliches Gewicht zumessen als in seinen großen Einzelnummern das durchdringende höllische Element, da fehlte dem Bassbariton einiges in den tiefen Lagen.
Alexey Markov treffen wir hier als Valentin, wahrscheinlich auf dem Weg zur Spitze, mit noch etwas unausgeglichener Tongebung aber guten Ansätzen im Ausdruck. Tara Erraught wird wohl immer das Opfer der Kostümbildner bleiben, leider auch als Siebel. Auch wenn sie nicht Modelmaße hat, so darf man sie nicht verschandeln mit der Latzhose und vor allem dem aufgeklebten Bart. Das Wort Gartenzwerg müssen sie überlesen, träfe aber das Ergebnis. Warum sie eine ihrer Arien rückwärts in einem Kreis gehend mühsam zu absolvieren hat, wird das Geheimnis der Regie sein, es grenzt diese Zumutung an eine Sängerin eigentlich an Mobbing.
Der französische Mezzo Marie-Ange Todorovitsch brachte als Marthe den richtigen Ton in das Quartett und im Umgang mit dem neuen Verehrer ein und war auch schauspielerisch sehenswert, als Nachbarin will man so eine nicht. Bleibt noch der in Wien zu spätem Ruhm gekommene Paolo Rumetz als trinkfreudiger Wagner.
Der Philharmonia Chor Wien unter der Einstudierung von Walter Zeh brachte in den Mauskostümen vorzüglichen Gesang zu Gehör, die Funktion eines Chores umriss einst Hubert Hrastnik in seinem kleinen Büchlein in den Fünfzigern so:
„Der Chor ist stets zur Unzeit da
Er wiederholt nur, was geschah“
Es war auch diesmal nicht anders. „Er wiederholt, was offensichtlich ist“ steht im Programmheft, wenigstens das hat sich nicht verändert.
So wie auf dem Publikum eine gewisse Müdigkeit lag, um den Künstlern zuliebe die Vorstellung mit Applaus zu unterbrechen – die große Arie des Tenors hatte auch nur kurz Handbewegungen im Publikum erzeugt – so war aus dem Orchestergraben nicht ganz jener Klang und jener Drive zu vernehmen, der sich nach so vielen Faustvorstellungen ins Gehör eingegraben hat. Alejo Pérez, der gebürtige Argentinier leitete grundsolide aber scheinbar ohne Gespür für das französische Kolorit und die federnde Eleganz der Partitur den Abend.

Nach einer Kinderzeichnung des Regisseurs nachgebaute Requisiten