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Salzburger Festspiele: Der Prozeß von Gottfried von Einem

EIN TRIUMPHALER OPERNERFOLG AM ORT DER URAUFFÜHRUNG 65 JAHRE DANACH

15.08.2018 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

HK Gruber mit der Partitur von Einems Oper (Foto SF/MarcoBorelli)

Salzburger Festspiele
Der Prozeß von Gottfried von Einem
Konzertant als Hommage an die Wiederkehr seines 100.Geburtstages

14.August 2018            
Von Manfred A. Schmid

EIN TRIUMPHALER OPERNERFOLG AM ORT DER URAUFFÜHRUNG
65 JAHRE DANACH

Gottfried von Einem und die Salzburger Festspiele – eine überaus bewegte Geschichte. Sie begann 1947 mit der spektakulären Uraufführung seines Opernerstlings Dantons Tod, die den 19-jährigen Componisten (auf das C in seiner Berufsbezeichnung legte er Wert!) über Nacht weltberühmt machen sollte. Bald darauf kam es bekanntlich zum Eklat: Einem wurde aus dem Kuratorium der Festspiele hinausgeworfen, weil er sich vehement dafür eingesetzt hatte, Bert Brecht, den er für Salzburg gewinnen wollte, die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Als eine Art Wiedergutmachung wurde dann 1953 beschlossen, seine zweite Oper, Der Prozeß, nach Franz Kafkas gleichnamigen Roman, im Rahmen der Festspiele zur Uraufführung zu bringen. In weiterer Folge gab es dann bis zu seinem Tod 1996 immer wieder Uraufführungen seiner Werke – Orchesterstücke, Kammermusik, Liederzyklen.

Heuer, zum 100. Geburtstag Gottfried von Einems, setzten die Salzburger Festspiele eine Aufführung seiner Oper Der Prozeß auf das Programm. Allerdings nur konzertant, was zu einiger Verwunderung und Verärgerung Anlass gab. Während an der Wiener Staatsoper und am Theater an der Wien umjubelte Neuinszenierungen der Opern Dantons Tod und Der Besuch der alten Dame herauskamen, reichte es in Salzburg also nur für eine konzertante Wiedergabe. Angeblich, so wird gemunkelt, weil Intendant Markus Hinterhäuser Einem für einen nicht so bedeutenden Musiker hält. Wie dem auch sei, diese konzertante Aufführung wurde zu einem triumphalen Erfolg, ist sicherlich einer der Höhepunkte im bunten Aufführungsreigen zu seinem 100. Geburtstag und legt die Latte hoch für noch folgende Aufführungen dieses Werks.

Das ist in erster Linie das Verdienst des musikalischen Leiters des Abends. Heinz Karl Gruber, einst selbst Schüler des Meisters, hat die überaus komplexe Struktur dieses Werks profund ausgelotet und mit geradezu kongenialen Partnern zum Klingen gebracht. Das RSO Wien entpuppt sich einmal mehr als Garant für eine gültige Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik. „Zeitgenössisch?“ -werden sich jetzt manche wohl irritiert fragen. Ja, genau! Gerade im Prozess erweist sich Gottfried von Einem nämlich als ein nach vorwärts orientierter, zukunftsweisender und innovativer Musikdramatiker. Weit davon entfernt, ein rückwärtsgewandter Komponist zu sein, eine Art Spätest-Romantiker, zeigt sich Einem hier vielmehr als ein früher Wegbereiter der musikalischen Postmoderne. Dass er zu Beginn seiner Arbeit an diesem Werk Zwölfton-Studien gemacht hat, diese dann bald verworfen hat, so dass schließlich nur eine Zwölftonreihe übrig geblieben ist, die das Fundament einer Passacaglia bildet, mehrmals erklingt, aber nicht im Sinne der Zwölftontechnik weiter entwickelt wird, ist geradezu beispielgebend für den heute üblichen, lockeren Umgang mit dem Vermächtnis der Schönbergschule. Diese hat die Vormachtstellung, die sie in den 50er und 60er Jahren in Deutschland und Österreich ausgeübt hat, längst eingebüßt.

Gottfried von Einem hat für jedes der neun Bilder der Oper eine eigene musikalische Gestalt geschaffen. Ihnen allen gemeinsam ist eine starke rhythmische Struktur, die einen unerbittlichen Sog ausübt – von der ersten Einvernahme des Herrn K. bis zu seinem Gang zum Schafott. Es fehlt aber auch nicht an lyrischen Passagen, vor allem in den Begegnungen des Josef K. mit den Frauen, die ihn retten wollen. Die Instrumentierung ist – wie bei Einem üblich – fein abgemischt. Zu hören sind Jazzanklänge, Big-Band-Sound, zarte Flöten- und Geigenstimmen, drohende Einwürfe des tiefen Blechs und Klavier-Glissandi, um nur ein paar herausragende Qualitäten namhaft zu machen.

Wie in allen Literaturopern Einems geht es auch im Prozeß um die Fragen nach Schuld, Verantwortung, Sühne. Hier allerdings in der kafkaesken Zuspitzung, dass bis zum Schluss unklar bleibt, was Josef K. vorgeworfen wird, was den einmal in Gang gesetzten Lauf der Untersuchung umso unheimlicher und beklemmender macht. Josef K. ist weniger von Angst getrieben, sondern er lehnt sich dagegen auf, „aus Prinzip“, wie er es nennt, und spart nicht mit beißender Kritik an der bürokratischen, weitverzweigten Maschinerie der Gerichtsbarkeit. Mit dem jungen Tenor Michael Laurenz ist diese Parte fabelhaft besetzt, hervorzuheben sind auch die exzellenten Frauenstimmen, Anke Vondung als Frau Grubach und Ilse Eerens, die – wie auch die meisten männlichen Kollegen – gleich mehrere Rollen zu verkörpern hat (Fräulein Bürstner, Die Frau des Gerichtsdieners, Leni, Buckliges Mädchen). Es verdienen aber alle Gesangssolisten eine explizite Erwähnung, denn alle Rollen sind exquisit besetzt und jeder trägt das Ihre zum grandiosen und stürmisch akklamierten Abend bei. Zu nennen und zu loben sind daher die Herren Jochen Schmeckenbecher, Matthäus Schmidlechner, Jörg Schneider, Lars Woldt, Johannes Kammler, Tilmann Rönnebeck, Alexander Hüttner, Martin Kliener und Daniel Gutmann.

Das erfreuliche Fazit: Eine durch und durch gelungene und fällige Hommage an Gottfried von Einem, die auch auf Ö1 übertragen wurde und die im Oktober auch im Wiener Konzerthaus – in nahezu identischer Besetzung – zu erleben sein wird. Und Gottfried von Einems Oper Der Prozeß wird man noch spielen, wenn sich keiner mehr an den Intendanten erinnern wird, der ihr nur eine konzertante Aufführung zubilligen wollte.

Manfred A.Schmid
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