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RUDI STEPHAN: Lieder, Kammermusik

25.07.2017 | Allgemein, cd, CD/DVD/BUCH/Apps

 

RUDI STEPHAN: Lieder, Kammermusik – SONY 2 CDs

Umfassende Rehabilitierung des Schöpfers der Oper „DIE ERSTEN MENSCHEN“0889853634422

Geschmeidig und wild wie ein junger Panther, so hast Du von mir Besitz ergriffen.“ Gerda von Robertus

In Paris hat mich der musikbegeisterte Schriftsteller Stéphane Héaume auf Rudi Stephan und seine wilde, auf Otto Borngräbers erotisch-mystisches Libretto basierende Oper „Die Ersten Menschen“ aufmerksam gemacht. Der 1887 in Worms geborene und in Frankfurt bei Bernhard Sekles ausgebildete introvertierte Komponist ist in Frankreich besonders beliebt, nicht zuletzt weil er die Charakteristika der damals aufkeimenden impressionistischen französischen Musik schätzte und in sein Werk einfließen ließ.

Hört man seine Oper und die jetzt dank des unermüdlichen passionierten Einsatzes und Forschens des Pianisten Hinrich Alpers vorgelegte Gesamteinspielung aller erhaltenen Lieder, seine „Groteske für Geige und Klavier“ sowie die „Musik für sieben Saiteninstrumente“, so ist bei Rudi Stephan ein ganz eigener persönlicher Stil zu konstatieren. Dieser changiert zwischen einem kühn erwachenden urwüchsigen Expressionismus auf freitonaler Grundierung mit spätromantischer Würze und trotz aller Abneigung hergebrachten Genres gegenüber einer sachlich-formalen Meisterschaft sondergleichen. Von Sujets und auch in den Liedern mit den teils ungemein schwülstigen Texten her klar den Strömungen des Jugendstils verpflichtet, suchte der junge Komponist ein neues Verhältnis von Text und Musik. Weniger das bis ins Letzte ausgedeutete Wort und sein Drama, sondern der kühl leuchtende musikalische Kommentar sind sein Markenzeichen. Es ist nur wenig, was vom originären Werk Rudi Stephans zu entdecken bleibt, denn der ohnedies düsteren Todesgedanken und einer Welt des fin-de-siècle nachhängende sensible Schwärmer kam mit 28 Jahren 1915 im Schützengraben beim heute ukrainischen Tarnopol ums Leben. Zudem wurde sein musikalisches Erbe bei einem Bombenangriff auf Worms im Februar 1945 vernichtet.

Die auf der Doppel-CD präsentierten Lieder und Kammermusikwerke wurden 2014 in Berlin als Beitrag zum Gedenken an den 100. Todestag Rudi Stephans aufgenommen und lassen einen meisterlichen schöpferischen Geist in all seiner künstlerischen Vielfalt erstehen. Schon bei der acht Minuten kurzen „Groteske für Geige und Klavier“ (1911) führen Hinrich Alpers (Klavier) und Agata Szymczewska (Violine) eindrücklich das sprunghaft-verspielte, vertrackte Auf und Ab eines experimentellen Klangmalers vor. Von den rund 20 zwischen Todessehnsucht und sinnlichen Liebesphantasien wechselnden Liedern gefallen dank der überragenden Gestaltung durch die glockenrein mit gedeckten Farben und perfekt in der Kuppel sitzenden Höhen singenden Sopranistin Tehila Nini Goldstein besonders der Zyklus „Ich will Dir singen ein Hohelied…“ und die „Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern“.

Beim „Liebeszauber“ für Bariton und Orchester wurde wegen der nötigen opulenten Orchesterbesetzung auf ein kammermusikalisches Arrangement zurückgegriffen, um der eigenwillig instrumentierten „Musik für sieben Saiteninstrumente“ (Streichquartett, Kontrabass, Harfe und Klavier) ein „Schwesterwerk“ zur Seite stellen zu können. Hanno Müller-Brachmann ist der Baritonsolist, er interpretiert „Zwei ernste Gesänge“ sowie die Lieder „Waldnachmittag“, „Auf den Tod einer jungen Frau“ und das in Plattdeutsch vertonte „Up de eensome Hallig“. Aufgrund der hohen Tessitura mancher Lieder klingen einige Höhen seines an sich runden und saftigen Baritons allerdings rau und angestrengt.

Fazit: Ein wichtiges editorisches Unterfangen, das sowohl für Freunde des Liedgesangs als auch der Kammermusik veritable und unerwartete Überraschungen bereithält.

Tipp: Rudi Stephan „Die ersten Menschen“ Operngesamtaufnahmen: 1) Gustavson, Hawlata, Ray Albert, Orchestre Nationale de France; Dirigent Mikko Franck (Naive) 2) Erna Schlüter, Franz Fehringer, Ferdinand Frantz, Otto von Rohr, Frankfurter Rundfunks 1952; Dirigent Winfried Zillig (Line).

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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