Im Gespräch: Rolf ROMEI, Theater Basel
Copyright: Hans Jörg Michel Basel
„Als ich jung war, bewunderte und liebte ich das, was auf der Bühne vorging; Ich sah grosse Sänger, grosse Künstler, grosse Aufführungen. Heute werde ich oft enttäuscht!“ Ein Zitat Ihres Lehrers Nicolai Gedda . Wie würden Sie die heutige Operninszenierungen, das Musik-Theater beurteilen?
Als ich jung war, habe ich weder grosse Aufführungen gesehen noch grosse Sänger gehört. Ich stamme als Bauernsohn nicht aus einem künstlerischen Umfeld, daher kann ich das heutige Musiktheater nicht aus „historischer “ Sicht beurteilen. Ich arbeite in Basel am Basler Theater, hatte hier durch Maya Boog, die ich noch aus Studienzeiten kannte, auch schon einige Aufführungen gesehen, bevor ich selber hierher kam. Das Theater Basel war für mich immer mein Wunschtheater, da Basel bekannt ist für aktuelle, für mich spannende, zeitgerechte Umsetzungen der Opernliteratur. Ich bin kein Freund von nicht werkgerechten Inszenierungen, bei welchen ein Konzept einfach über den Stoff gelegt wird. Dies kann nur in Teilbereichen eines Werkes funktionieren, wird das dann aber aus Prinzip durch gezogen, und endet es in einer Aufführung, welche insgesamt nicht überzeugen kann. Aber: `Ich liebe es, mich mit dem Stoff, mit den Emotionen welche mit einem Werk geweckt werden können, auseinander zusetzen`. Es ist wichtig, dass mit den Inszenierungen Geschichten erzählt werden. Wenn dies nicht passiert, wird es für mich schwierig, zu arbeiten. Wenn das Publikum nicht nachvollziehen kann, was auf der Bühne vor sich geht, wenn die „Story“ unklar ist, dann ist die Arbeit auf der Bühne verfehlt. Ich durfte hier in Basel in vielen Produktionen, teils sehr spannenden Inszenierungen, mitarbeiten, bei welchen ich mich immer voll einbringen konnte.
Sie beherrschen ein grosses Repertoire, gehen jedoch anscheinend sehr vorsichtig mit Ihrer Stimme um. Stimmt dieser Eindruck?
Mein Repertoire hat sich organisch entwickelt. In Aufnahmen aus der Zeit während und nach meinem Studium in Winterthur und Karlsruhe hört man eine junge und leichte Tenorstimme. In dieser Zeit wurde ich hauptsächlich für Barockmusik angefragt. Meine Auftritte während und kurz nach dem Studium waren vorwiegend konzertant. Im Theater habe ich dann erst mal kleiner und mittlere Partien gesungen, z. B. auch Werke von Gioacchino Rossini. Bis noch vor wenigen Jahren hätte ich nie an „PARSIFAL“ oder „LOHENGRIN“ gedacht. Ich denke, dass ich mich wahrscheinlich nie zu einem schweren Heldentenor entwickle werde. Für meine Stimmentwicklung hilfreich finde ich, immer auch Oratorien zu singen. Dirigenten aus dem Konzertbereich, die ich nur als Barock- oder Klassiksänger erlebt haben, tun sich manchmal immer noch schwer mit dem Gedanken, dass ich schwere Partien wie zum Beispiel das „STABAT MATER„ von Antonin Dvorak singen „könnte“. Auf der anderen Seite fragen mich Leute, welche mich nur aus dem schweren italienischen Fach kennen, kaum je für ein Oratorium von Händel an. Diese Vielseitigkeit tut einerseits meiner Stimme gut und ist überdies auch ein Kompliment für mich: Offenbar mache ich das (Barockmusik und Klassik) immer noch richtig. Ich versuche immer wieder auch leichtere Werke zu singen und meine Stimme nicht dunkler, schwerer, grösser zu machen als sie wirklich ist.
Sie sind Ensemblemitglied im Basler Theater. Können Sie eine Rolle ablehnen, weil Sie den Eindruck haben, noch nicht reif für die Rolle zu sein?
Grundsätzlich Ja! Aber nicht einfach nur weil ich keine Lust habe. Die Absage muss schon sehr begründet sein. Dietmar Schwarz, unser damaliger Operndirektor, hat mich gefragt, ob hier in Basel den Parsifal übernehmen würde. Ich könne natürlich auch nein sagen. Mario Venzago sollte ja ursprünglich die Inszenierung dirigieren und wünschte sich einen Mozart-Tenor als Parsifal. Der Part ist zum Teil heldisch, braucht viel Kraft, aber eben nicht nur laut, zum Teil auch sehr lyrisch. Nach Proben mit unserem Studienleiter und Vorsingen auf der Bühne wurde dann gemeinsam entschieden: Wir wagen es!
Kurz nach dem Basler Parsifal, den dann Axel Kober anstelle von Venzago leitete wurde ich aus Kiel angefragt, ob ich Lohengrin singen würde. Ich habe mir dies überlegt- und abgesagt. Es wäre mir zu kurzfristig gewesen. So eine Partie braucht eine lange und gründliche Vorbereitung. Ein halbes Jahr später bot mir Basel den Lohengrin an- erneut unter Axel Kober.. Er traute mir diese Rolle zu und deshalb habe ich relativ schnell zugesagt. Axel hat grosse Erfahrung mit Sängern und kann uns KünstlerInnen auf der Bühne mit seinem Dirigat subtil unterstützen. So dirigierte er zum Beispiel eine Probe des Parsifal plötzlich etwas schneller, weil er vor mir (!) feststellte, dass ich müde wurde. Ähnliches war auch der Fall bei der Lohengrin-Premiere. Es war für mich eine ECHTE Premiere: Weil ich erkältet war, musste ich die letzte Bühnen Orchester-Probe absagen, habe in der Hauptprobe nur gespielt und jemand anderes hat für mich gesungen. In der Generalprobe konnte ich zum Teil nur markieren. Erst in der Premiere habe ich dann das wirklich erste Mal das ganze Werk am Stück mit Orchester und auf der Bühne gesungen. Kober half mir im schwierigen dritten Akt, dann indem er zum Teil etwas schneller dirigierte und speziell in der Gralserzählung das Orchester etwas zurück nahm. Lohengrin ist definitiv eine Grenzpartie für mich! Es gibt Partien, die ich nicht singen würde und ich glaube auch, dass nicht dazu gezwungen würde.
Junge SängerInnen werden heute oft gedrängt, Rollen zu übernehmen, welche sie zwar perfekt studiert haben, aber die Stimme ist für diese Rolle noch nicht gefestigt, reif. Woher kommt dieser Druck? Welchen Rat geben Sie Ihren jungen Kolleginnen und Kollegen?
Dies passiert wahrscheinlich vor allem jungen Sängerinnen und jungen Sängern, welch in einem kleineren Haus anfangen und die Intendanz möglichst viele Partien mit Ensemblemitgliedern besetzen will und aus finanziellen Gründen auch dazu gezwungen ist. Ich hatte bis heute das Glück an Häusern zu arbeiten und Verträge zu haben, welch mir die Freiheit gewährten, eine für meine Stimme ideale Mischung zu finden. Es gibt Künstler und Künstlerinnen, die robust genug sind solchen Zwängen nachzugeben. Einen Rat geben kann ich nicht. Wenn man/frau vor einem Part Angst hat, muss dies kommuniziert werden und zwar früh genug und nicht erst vor der Premiere!
Vor 20 Jahren waren die Dirigenten die Könige im Musiktheater. Ist es heute die Regie? Was halten Sie von der stark beherrschenden Stellung der heutigen Regisseure?
Ganz schwierig wird es wenn es zwei Könige gibt: Einen auf dem Regiestuhl und einen am Dirigentenpult. Gute Regisseure/ Regisseurinnen und gute DirigentInnen haben im Allgemeinen keine Schwierigkeiten miteinander. Ein sehr gutes Beispiel hier in Basel sind Calixto Bieito und Gabriel Feltz („WAR REQUIEM“,“ LULU“, „TOTENHAUS“). Feltz ist ein sehr rationaler Mensch, aber auch sehr engagiert und motivierend, Bieito sehr emotional, aber auch pragmatisch. Dabei hat Feltz ein ungeheures Vertrauen in Bieito, dass es gut werden wird, auch wenn es dauert. Er greift nur ein, wenn durch die Szene etwas nicht musikalisch gar nicht mehr geht. Dann lenkt Bieito ein, ändert das. So funktioniert es und nicht, wenn jemand nur der Alleinherrscher ist! Ich persönlich habe eigentlich kaum je solche Diktatoren am Pult oder in der Regie erlebt. Gute Dirigenten und Regisseure verstehen sich als Team mit dem Ziel, eine gute Inszenierung und gute Musik zu präsentieren.
Wie gehen Sie mit Ihnen nicht verständlichen oder nicht der Musik entsprechenden Inszenierungen um?
Wenn ich etwas nicht verstehe, wenn mich etwas nicht überzeugt, wenn mich der Regisseur, die Regisseurin nicht überzeugen kann, dann hat die Regie ein grosses Problem mit mir! Dann frage ich, bis ich von den Antworten zumindest einigermassen überzeugt bin. Als Beispiel: „DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“, Regie Christopher Alden 2007. Die Weise wie Alden an dieses Singspiel heran ging, war sehr spannend. Ich hatte Zweifel, aber für mich war die Arbeit unter Anleitung des Dramaturgen und des Regisseurs interessant und irgendwie auch in sich schlüssig. Also habe ich versucht es umzusetzen! Die Theaterbesucher aber konnten die Geschichte in dieser Inszenierung nicht nachvollziehen. Ich bin bei allen Inszenierung gnadenlos beim Nachfragen warum und weshalb und wieso? Ich singe nicht optimal, wenn von dem was ich auf der Bühne mache, nicht überzeugt bin, dann fehlt ein bisschen die Motivation für eine Arie, ein Werk!
Die Anforderungen an Sängerinnen und Sänger in Bezug auf schauspielerische Fähigkeiten sind enorm gestiegen. Auch Fitness ist gefragt. Auf die Frage nach schauspielerischen Fähigkeiten antwortete der eher übergewichtige und schlechte Schauspieler Luciano Pavarotti: „Ich muss doch kein Laurence Olivier sein, ich singe“.. Wie gehen Sie mit diesen heutigen Ansprüchen um?
(Hm) Ohne Motiv stillstehen und singen ist für mich ebenso schwierig, vielleicht noch schwieriger, als mich auf der Bühne beim Singen zu bewegen. In Konzerten steh ich natürlich nur da, arbeite aber neben dem musikalischen Ausdruck auch mit Körpersprache und Mimik. Ich bin bekannt dafür, dass ich mich auf der Bühne gern und viel bewege- auch mal auf Gerüste klettere. Musik ist Bewegung und daher gibt es für mich fast immer einen Grund mich zu bewegen. Allerdings dürfen diese Bewegungen mein Singen nicht beeinträchtigen, ich darf nicht ausser Atem kommen- dies ist die Grenze! Bewegung kann auch eine Geschichte unterstreichen, aufzeigen, verstärken! Ich liebe Geschichten und ich hasse es, wenn bei Operninszenierungen Geschichten nicht erzählt, nicht schlüssig entwickelt werden! Es geht um Emotionen, Entwicklungen. Und dies ist für mich auch persönlich ein Geschenk, eine Bereicherung. Wer kann schon im wirklichen Leben, wie zum Beispiel Wenzel in „DIE VERKAUFTE BRAUT„, meiner allerersten Opernproduktion, zwei Stunden ungehemmt schmachten und naiv sein. So kann ich auf der Bühne eifersüchtig sein, oder böse, fies, berechnend ….. Das alles steckt irgendwo in uns drinnen- und auf der Bühne kann ich dies jeweils für zwei Stunden ausleben.
Wie lange brauchen Sie, um einen Part zu studieren?
Das ist sehr unterschiedlich. Studienleiter sind mit mir oft glücklich, weil ich sehr viel selber erarbeite. Ich lerne relativ schnell- vergesse aber auch schnell wieder. Bei Parsifal zum Beispiel aber habe ich viel länger als für mich üblich gebraucht. Ich war erstaunt, wie dicht, wie kompliziert die Musik ist, bis man sie versteht. Irgendwann machte es Klick und dann ist es sehr organisch. Parsifal war für mich fast so schwierig zu lernen wie „LULU“ von Alban Berg. Dagegen lässt sich Lohengrin fast vom Blatt singen.. Lohengrin hatte ich zwar sehr schnell gelernt, brauchte aber dann einige Stunden Korrepetition, um diesen Part in die Stimme und in den Körper zu bekommen. Für eine schwerere Stimme liegt er zu hoch, für eine leichtere Stimme eigentlich zu laut.
Welches wären Ihre drei Wunschrollen für die Zukunft?
Das habe ich mir noch nie überlegt! Ich kenne einiges, höre aber nicht so viel. Ich freue mich jetzt auf Lenski in „EUGEN ONEGIN„- das ist eine wunderbare Musik, da gibt es eine der vielleicht schönsten Tenorarien überhaupt. Ich habe kein eigentliches Lieblingswerk, es gibt so viele unterschiedliche, wunderbare Partien. Es gibt aus jeder Stilepoche wunderbare Musik zum Singen!
Vielen Dank, Rolf Romei, dass Sie sich nach der gestrigen Lohengrinvorstellung, singen ist Schwerarbeit, für ein Interview Zeit nahmen!