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RIGA / DER RING DES NIBELUNGEN: SIEGFRIED

09.06.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Riga SIEGFRIED (Zīgfrīds) – 7.6. 2013 :


Cornelius Meister. Foto: Lettische Nationaloper Riga

Den zweiten Abend der Tetralogie gestaltete Regisseur Viesturs Kairišs gemeinsam mit der lettischen Ausstatterin Ieve Jurjāne. Siegfried fungiert als Bindeglied zwischen der Walküre und der Götterdämmerung ähnlich wie das Satyrspiel in der antiken attischen Tetralogie. Und obwohl auch im Siegfried gemordet wird, überwiegen doch die komischen Elemente bei weitem. Es ist jene gesunde Mischung an menschlicher wie göttlicher Komödie, die sich – bei aller Tragik – vor den Augen und Ohren des Betrachters entfaltet.

Mime, der weltweise kleinbürgerliche Intellektuelle hat sich mit seinen Schellacks und Büchern in das Souterrain einer wohnzimmerartigen Schmiede zurück gezogen. Dort zieht er einen leibhaftigen Satansbraten namens Siegfried zu dem einzigen Zweck auf, durch ihn an Fafners Ring zu gelangen, um selbst „Master of the universe“ zu werden. Und der ungestüme Range Siegfried springt gleich mit einem übergezogenen Bärenfell von der Estrade auf das Bett hinab. So was nervt schon und Mime überlegt krampfhaft, wie man sich des unliebsamen Störenfrieds und Maulhelden bestimmt und endgültig entledigen kann…


Johnny van Hal (Siegfried) und Bengt-Ola Morgny (Mime). Foto: Lettische Nationaloper Riga

In seiner beschaulichen Ruhe wird er aber erneut gestört. Diesmal durch Gottvater Wotan, der als Wanderer, sozusagen inkognito, die Welt durchschreitet. Natürlich hat dieser Mimes Ränke als einäugiger und somit folglich „wissender“, aber nicht „allwissender“, Gott durchschaut. Wotan ist wieder einmal nach einem Spiel zu Mute und so setzt er sein Haupt in der Wissenswette zum Pfand. Nur widerwillig lässt sich Mime auf dieses Spiel ein. Längst schon hat er den Wanderer als Wotan erkannt und will ihn möglichst rasch los werden. Durch Nachschlagen in einem Lexikon überzeugt sich der Zwerg gewissenhaft, ob Wotans Antworten auch zutreffen. Der Ausgang ist bekannt. Mime verliert 2:3.

Jetzt gilt es aber dem furchtlosen Balg Siegfried den Teufel einmal so richtig durch Beelzebub, sprich Fafner in Gestalt eines Drachen, auszutreiben. Auch das misslingt und so zieht Mime mit seinem Zögling aus, damit dieser das Fürchten noch lernt…

Ähnlich der Stadt Riga, die im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder von fremden Mächten überrollt und vereinnahmt wurde, und auch heute noch Spuren der Zerstörung aufweist, liegt Fafners Höhle in einem solchen endzeitlichen Ambiente, in dem sich Leichen stapeln und Bomben geschlichtet in Regalen befinden. Der getötete Mime wird gleich zu diesen Toten im Keller dazu gelegt. Genial ist dann die Idee des Regisseurs, die reglosen Leichen plötzlich zu einem sich bewegenden Drachenleib mit einer Vielzahl von Köpfen auf der breiten Stiege in der Bühnenmitte zusammen zu schließen. Und wenn Siegfried diesen mehrköpfigen Drachen tötet, dann ist es eigentlich ein Massenmord…

Und nachdem unser tölpelhafter Siegfried durch den Genuss von Fafners Blut ein wenig klüger geworden ist, packt er noch rasch den Tarnhelm zu seinem Kopfpolster in den Reiserucksack, steckt Alberichs Ring an den Finger und stürmt dem Waldvogel nach, um endlich das Fürchten zu lernen…

Sein Großvater Wotan hat in der Zwischenzeit Erda in einem mit Restmüll und moderndem Laub angehäuften und schon vor langer Zeit still gelegten Schwimmbecken bemüht, seinen geistigen Horizont zu erweitern. Er tritt in der Uniform eines Söldners, der überall daheim ist, aber nirgends sein zu Hause finden kann, auf. Aber die allwissende Urwala kann und will ihm nicht helfen, verweist ihn nur an Brünnhilde, und verschwindet durch eine Öffnung im Gemäuer. So fläzt er sich beleidigt, das Ende der Götter herbei sehnend, in einen ausgedienten Fauteuil, um seinen Enkel zu erwarten. Der von pubertären Kräften nur so strotzende Enkel schubst jedoch Opa Wotan von seiner Sitzgelegenheit, zerspellt dessen durch zahllosen Verrat an Verträgen bereits morsch gewordenen Speer und findet endlich die von Laub bedeckte Tante Brünnhilde.

Siegfrieds Erkenntnis: „Das ist kein Mann“ sagt eigentlich alles über sein geistiges Niveau aus! Was man nicht kennt, so erinnert er sich dunkel aus seinen Kindheitstagen, muss man erst einmal richtig betasten und beschnuppern. Eine ehemals gestandene Anführerin lärmender Walküren aber lässt sich so etwas nicht gleich gefallen. Schließlich muss sie ja nach ihrem Dornröschenschlaf erst einmal für Ordnung sorgen und das herum liegende Laub zusammen rächen.

Irgendwann ist aber auch Brünnhildes Widerstand gebrochen. Zwar hält sie ihrem Neffen noch das Schwert entgegen, keinen Zweifel offen lassend, wer hier in Zukunft das Sagen haben wird, aber schließlich lässt sie ihn mit den Worten „leuchtende Liebe, lachender Tod“ doch noch über sich und seinen „kleinen“ Tod in ihr erleben. Der Vorhang aber schließt sich schnell und diskret…

Selten gewinnt man bei einer Aufführung einer Wagneroper den Eindruck eines bestens auf sich abgespielten und vor allem miteinander agierenden und musizierenden Ensembles und noch viel seltener gab es so eine Unmenge an komischen Szenen, über die man herzlich lachen konnte und durfte!

Als Schöngeist Mime mit Nickelbrille bot der schwedische Tenor Bengt-Ola Morgny ein Kabinettstück an Wortwitz, tänzelnden grazilen Bewegungen und vieldeutigen zärtlichen Gesten mit seinen Händen, ja mit seinem gesamten ausdrucksstarken Körper.

Zunächst noch grobschlächtig trat der niederländisch-schwedische Tenor Johnny van Hal als Kraftlackel Siegfried auf, bewies aber auch immer wieder sein komödiantisches Talent bei der Begegnung mit seinem Großvater Wotan und später seiner Tante Brünnhilde. Dass er in den hohen Lage hörbar an seine Grenzen stieß, sollte den positiven Gesamteindruck aber nicht wesentlich schmälern.

Opa Wotan als vagierender Wanderer war wiederum der lettische Bass-Bariton Egils Siliņš mit Heimvorteil. Mir gefiel er an diesem Abend stimmlich besser als in der Walküre. Weltweise geworden liegt ihm der alternde Gott besser als der in Zank und Hader verstrickte Lichtalbe der Walküre.

Der schwedische Bariton Marcus Jupither gefiel stimmlich wie darstellerisch als Alberich zunächst in der Auseinandersetzung mit Wotan, später dann mit seinem Bruder Mime. Nachdem er vor Neidhöhle nichts erreichen konnte, eilt er schnurstracks der Götterdämmerung und seinem Sohn Hagen entgegen.

Der lettische Bass Krišjānis Norvelis konnte nach seiner gesanglich eher kurzen Partie im Rheingold endlich sein stimmgewaltiges Material als Fafner vorführen.

Mit hübscher heller Sopranstimme warnte Waldvogel Kristīne Gailīte Flegel Siegfried vor Mime und riet ihm schließlich, Tarnhelm und Ring aus dem Hort zu raffen und sich das schönste Weib in einer Mülldeponie in Agonie liegend zu erwecken.

Die aus Essen stammende deutsche Sopranistin Sabine Paßow hat bereits am Staatstheater Cottbus alle drei Brünnhilden, nach verlässlicher Quelle, mit sensationellem Erfolg gesungen. Der Rezensent war daher gespannt und wurde nicht enttäuscht. Das war eine Brünnhilde ohne jegliche Höhenprobleme, die schön phrasiert, äußerst textverständlich singt und mit der Rolle verschmilzt. Da stimmte jede Bewegung, jede Regung, ja Reaktion, da gab es geradezu schwebende piani, gefolgt von feurig ekstatischen Ausbrüchen, wie sie ja beim Entfachen und Auflodern noch ungekannter erster Liebeslust eigentlich sein sollten. Brava!


Johnny van Hal (Siegfried) und Egils Silins (Wanderer). Foto: Lettische Nationaloper Riga

Und Maestro Cornelius Meister war seinen Sängern an diesem Abend ein vollendeter Begleiter, dessen Anweisungen das gesamte Ensemble und das Orchester der Lettischen Nationaloper hörbar bereitwillig folgten. Die Tempovorgaben waren richtig gewählt und so manch eine Passage erklang unter seine Ägide geradezu kammermusikalisch.

Manchmal kann eine Siegfried-Vorstellung langatmig geraten. An diesem Abend war davon aber nichts zu bemerken. Eine durchwegs prächtige musikalische Leistung des gesamten Ensembles in einer klugen und kurzweiligen Deutung des Regisseurs wurde von starken Beifallskundgebungen des Publikums am Schluss bedankt.

Harald Lacina

 

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