PESARO / ROSSINI OPERA FESTIVAL / TEATRO ROSSINI : L ‚ ITALIANA IN ALGERI am 19. 8. 2013
Die Italienerin und die Stewardessen. Foto: Rossini-Festival
Man war zwar vorgewarnt worden.“ Das ist ein spettacolo per bambini. “ gibt der Wirt der dem Teatro Rossini benachbarten Bar die bisherigen Reaktionen der Zuschauer wieder.
Und dennoch war man vom ersten Augenblick an ein Fan dieser Neuproduktion der “ Italiana in Algeri „.
Ein Zeichentrickfilm im Stil von Terry Gilliams “ Monty Python “ – Einschüben illustriert während der Ouvertüre die Vorgeschichte, Lindoros Ankunft in Algier. Mit dementsprechend – genrespezifisch – vielen Sprechblasen à la “ Zack “ “ Bumm “ “ Zawumm „.
Dennoch ist man unmittelbar restlos begeistert. Warum ? Weil alles exakt im Rhythmus von Maestro Rossinis frenetischer Musik geschnitten ist.
Finale 1. Akt. Foto: Rossini-Festival
Und in diesem Tonfall geht es weiter. Regisseur Davide Livermore und sein Team (Nicolas Bovey, Gianluca Falaschi und D-Wok für Bühnenbild, Kostüme und Video) haben eine Riesen – Hetz und machen sich einen Super – Carlo, aber dadurch nehmen sie den “ buffa “ – Charakter dieser Oper eben total ernst.
Die Handlung ist hier vage in einem neureichen Ölstaat der 70er Jahre angesiedelt, dessen Bewohner ihr Leben im Stile einer großen Hollywood – Party ablaufen lassen.
Und dem Leading Team ist – größtes Kompliment ! – sowie auch dem erklärten Vorbild Blake Edwards – kein Gag zu blöd.
Staubsaugende Discogirls, tuntige Eunuchen, die Stufen hinunterkollernde Ehegattinen, haifischbeckensäubernde Sklaven, von Staubsaugern verschluckte Papageien, zwei Stewardessen, die die Herzschmerzen der Protagonisten mit Sicherheitsbestimmungs – Gesten kommentieren, schwarz-weiss- Filmchen aus der Zeit des italienischen Wirtschaftswunders, Auszüge aus einem Handbuch für die ideale Ehegrau, etc.etc…
Manchmal – wie wenn Isabella während ihrer großen Arie (wenn auch in langen Hosen ) Sharon – Stone – mäßige Beinüberschläge vollführt, findet man das selbst plötzlich übertrieben provokativ.
Bis man dann einen genaueren Blick ins Libretto wirft und entdeckt, dass die (zu Rossinis Zeiten zensurierten) Zeilen “ tutti la chiedono, tutti la bramano, da vaga femmina felicità “ nun wirklich keine andere Assoziation offen lassen…
Dieselbe Erfahrung wiederholt sich bei dem von Livermore psychedelisch als eine Art LSD – Trip gestaltetem Finale des ersten Aktes. Hallo, was soll denn das ?
Aber wenn man sich dann den Text hernimmt : was können die unsterblichen prä-dadaistischen Verse wie “ din din bum bum crà crà tac tà “ denn anderes abbilden als eine völlige durchgeknallte psychische Erfahrung ?
Wichtiger als die sprachliche Kongruenz der Inszenierung ist aber noch – wie bereits gesagt – ihre musikalische.
Ein Kritiker hat diese Produktion als eine “ dance – version “ der “ italiana “ bezeichnet . Und er trifft damit das Wesen dieses beschwingenden Abends auf den Punkt.
Alle Darsteller/innen bewegen sich, schütteln sich, swingen, shaken, tanzen, gestikulieren ununterbrochen im Takt und im Geist der Musik.
Allen voran die unvergleichliche Anna Goryachova, der vielleicht noch einige Register im Vergleich mit berühmten Rollenvorgängerinnen fehlen mögen, die aber ein unheimlich angenehmes dunkles Timbre mitbringt und eine “ physique du role „, die sich gewaschen hat. Egal ob als Emma Peel – gleiche Karate – Emanze, orientalisierende Haremsdame im Palmenkostüm oder (dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigte) Bikini – Femme – Fatale – sie macht in jeder Hinsicht eine s e hr gute Figur.
Ihr in wenig nachstehend Alex Exposito als Mustafa – wahrscheinlich der einzige lebende Bass- Bariton der Welt, der ungestraft in einem Bermuda – Short auftreten kann.
Ebenso großartig Mariangela Sicilia als Elvira, Raffaella Lupinacci als Zulma, sowie Davide Luciano als Haly und Mario Cassi als Taddeo.
Das nicht berauschende Dirigat José Ramón Encinars störte in diesem berauschenden Zusammenhang aber auch nicht weiter.
Man selbst hätte diese vor Einfällen nur so überschäumende Inszenierung gern noch einige Male hintereinander gesehen. Das eher humorlose Publikum an diesem Abend schien hingegen nicht so einhellig begeistert gewesen zu sein…
Aber was solls. Man hat selten so gelacht, und man hat sich selten (auf höchstem Niveau) so amüsiert.
Und wenn das ein spettacolo per bambini gewesen sein soll, dann war es mit all seinen Tuttelwackel -, Beinespreiz – , Nacktdusch- und Lesbentrio – Szenen zumindest ein Spektakel für s e h r frühreife Kinder.
Robert Quitta, Pesaro