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PARIS : Opéra de Paris LA DAMNATION DE FAUST — Ein „Sänger-Dream-Team“ bricht auf in Richtung Mars und landet in Schlamm und Matsch

10.12.2015 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
Szene mit Stephen Hawkins: Kaufmann - Koch - Mercy

Szene mit Stephen Hawkins: Kaufmann – Koch –  Terfel – Mercy

PARIS: Opéra de Paris
Hektor Berlioz „LA DAMNATION DE FAUST“
Première 8 XII 2015

 

Ein „Sänger-Dream-Team“ bricht auf in Richtung Mars und landet in Schlamm und Matsch

 

Mit Vorfreude liest man auf dem Theaterzettel: Jonas Kaufmann, Sophie Koch und Bryn Terfel in „La Damnation de Faust“. Ein „Sänger-Dream-Team“ in einem Werk, das oft und gerne an der Pariser Oper gespielt wird; zuletzt 2001, 2004 und 2006 in der bildgewaltigen Inszenierung von Robert Lepage, die danach an der Metropolitan Opera in New York gezeigt wurde und weltweit im Kino zu sehen war.

Auch anderswo in Frankreich wird die dramatische Legende in vier Teilen oft und gerne gespielt, vor zwei Monaten noch in Lyon, wofür schon im MerkerOnline eine ausführliche Rezension stand, in der auch die komplexe Entstehungsgeschichte des Werkes aufgerollt wurde (siehe Link https://onlinemerker.com/lyon-opera-de-lyon-la-damnation-de-faust). 

In einem Oratorium, das nie für eine szenische Aufführung gedacht gewesen ist, kann man sich alles erlauben. In Lyon verlegte der Regisseur die Handlung aus Ungarn und Deutschland (so wie es im Libretto steht) irgendwo in den Wilden Wetsen der USA. In Paris geht der Regisseur und Ausstatter Alvis Hermanis (Riga, 1965) noch weiter und siedelt die Handlung im Jahr 2025 auf dem Planeten Mars an. Auf riesigen Videobildern, die den ganzen Abend über weiterlaufen, sehen wir, wie 100 Personen ausgewählt werden, um als erste Menschen eine Siedlung auf Mars zu errichten. Der Spiritus Rector des Ganzen sitzt auf der Vorderbühne in einem Rollstuhl und liest ellenlange Texte vor, die teilweise auch noch projiziert werden.

Es ist der gelähmte Wissenschaftler Stephen Hawking (Oxford, 1942), auf der Bühne gespielt durch den Tänzer Dominique Mercy (der langjährige Mitarbeiter von Pina Bausch). Jonas Kaufmann eröffnet den Abend mit „Le vieil hiver a fait place au printemps“, doch man hört ihn schlecht und erkennt ihn kaum. Denn auf der Bühne sind neben dem vollzähligen, gut geführten Chor der Oper auch noch zwanzig Tänzer erschienen, die ein intensives Sport-Programm absolvieren. Das tun sie teilweise sehr gut in einer nicht uninteressanten Choreographie von Alla Sigalova – doch relativ schnell entsteht ein „Overkill“ an Bildern und Kommentaren, sodass schon bei der dritten Texteinlage böse Buhrufe aus dem Zuschauerraum erschallen. Jonas Kaufmann kommt noch einigermaßen glimpflich davon, aber Sophie Koch wird im Vorspiel ihrer berühmten Romanze „D’amour l’ardente flamme“ – der musikalische Höhepunkt des Abends – so stark durch die Buhrufer aus der Fassung gebracht, dass der Dirigent sich umdrehen musste, um das Publikum zu besänftigen. Die Lachsalven wurden hervorgerufen durch das Video, auf dem – nach Ratten, Ameisen und Walfischen – nun zwei Weinbergschnecken in Liebe zueinander entbrennen. Und während die Schnecken in einer bühnenfüllenden Blumenwiese über ihr schmusen, muss Sophie Koch einen querschnittsgelähmten Wissenschaftler im Rollstuhl promenieren und dazu auch noch singen.

Jonas Kaufmann und Sophie Koch waren 2010 auf dieser gleichen Bühne ein unvergessliches Paar als Werther und Charlotte in der erfolgreichen Inszenierung von Benoît Jacquot, die im Jänner wieder aufgenommen wird (mit Piotr Beczala und Elina Garança). Doch als Faust und Marguerite konnten sie im allgemeinen Trubel keinen bleibenden Eindruck machen. Jonas Kaufmann war anscheinend nicht bei Stimme (er hat vor kurzem in Paris einen Puccini-Abend abgesagt). Das was man von ihm hörte war schön – aber es ging eben unter. Sophie Koch sang eine tadellose „chanson gothique“ über den König von Thule und eine trotz allem berührende „Romanze“, aber sie konnte damit den Abend nicht retten. Bryn Terfel ist ein überzeugender Méphistolès – aber leider hat er in dieser Rolle bei Berlioz viel weniger zu singen als bei Gounod.

Edwin Crossley-Merker und Sophie Claisse sangen die kleinen Rollen des Brander und der Voix Céleste. Dass diese hervorragenden Sänger so blass wirkten, lag hauptsächlich an dem „Bühnengeschehen“, das man schon keine Opern-Inszenierung mehr nennen kann (wie vor einem Monat der „Moses und Aron“ von Romeo Castellucci). Leider hatte der Dirigent auch keinen Kontakt zur Bühne und verschlimmerte die Situation, indem er stur seine eigenen Wege ging. Philippe Jordan beging einen Konzeptionsfehler, indem er Berlioz wie Wagner spielte. Das haben andere Dirigenten schon vor ihm getan – wie zum Beispiel Sylvain Cambreling mit den „Troyens“ 2000 in Salzburg – und endet generell damit, dass der Abend musikalisch nicht „aufgeht“. Jordan drehte schon in der ersten Szene den Sound so stark auf, dass man Jonas Kaufmann in der 20. Reihe des Parketts nicht mehr hören konnte. Und auch Terfel ging unter, was bei diesem Sänger schon etwas heißen will. Wer das Werk gut kennt, glaubte manchmal seinen Ohren nicht. Für Merker-Ohren war alles zu dick aufgetragen, zu schwer, zu bombastisch. Und gewisse Tempi waren nach unserer Einschätzung viel zu langsam. Aus dem feinen, französischen Parfüm – das manchmal an die wunderbaren „Nuits d’été“ erinnert – wurde ein grober, einförmiger, tonloser Schlamm. Und gerade in den feinen, „leichten Stellen“ des Werkes wurde hemmungslos gestrichen. So fehlten drei Viertel der Musik im „Menuet des follets“.

An diese 425. Vorstellung des Werkes an der Pariser Oper und ersten in dieser neuen Inszenierung werden sich noch viele Menschen erinnern. Wegen einem Gala-Abend mit hochrangigem Besuch standen zwanzig Soldaten mit angeschlagenen Maschinengewehren im Opernhaus (!). Die Soldaten, Minister und Botschafter wurden sichtlich nervös über das, was während der Aufführung alles geschah. Nicht auf der Bühne, sondern im Saal: denn dort wurde so viel gegen die Regie protestiert, so wie wir es in dreißig Jahren selten an der Pariser Oper erlebt haben. Vielleicht ist unter diesen Umständen der Zeitpunkt gekommen, um zu der Form zurückzukehren, die Berlioz selbst für sein Werk wollte: zu einem Oratorium.

 

Waldemar Kamer
MerkerOnline – Paris

 

Am 17. Dezember wird die Aufführung in den Kinos gezeigt

 

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