PARIS „IOLANTA“, Salle Pleyel, 11.11.2012
Engel des Lichts: Anna Netrebko in der Traumrolle der blinden Tochter des Königs René
Anna Netrebko. Foto: APA
Nach den Salzburger Festspielen nun also auch eine konzertante Aufführung von Tchaikovskys Operneinakter in zehn Szenen in der bis auf den letzten Platz besetzten Salle Pleyel. Nach kurzen eineinhalb Stunden Standing Ovations für die russische Diva und für ein außerordentliches Ensemble. Ein Opernnachmittag, den das Pariser Publikum nicht so schnell vergessen wird. Das Konzert fand im Rahmen einer Tournee statt, die von Laibach, Stuttgart, München, Amsterdam nach Paris und von da weiter nach Berlin, Frankfurt, Nürnberg, Prag, Essen und am 30.11. auch nach Wien führt.
Das letzte Meisterwerk des russischen Genies Tchaikovsky ist eine gar düstere bis romantisch visionäre Kammer-Symphonie mit Gesang, beinahe schon eine Vorläuferin des Pelleas et Mélisande, wenngleich das Happy End wieder in herkömmliche Opernbahnen zu lenken scheint. Das exzellente Libretto von Tchaikovskys Bruder Modest basiert auf dem Drama des dänischen Dichters Hendrik Hertz „König Renés Tochter“.
Iolanta ist das Befreiungsdrama einer Außenseiterin. Das körperliche Gebrechen und noch mehr das Verhalten ihres Vaters, der die Blindheit seiner Tochter verheimlicht, sorgen dafür, dass Iolanta nicht wirklich glücklich in einer Art kindlicher Naivität verharren muss. Nur die Liebe zum burgundischen Herzog Vaudémont kann sie am Ende mit religiöser Kraft von der Krankheit als auch dem Lügenkerker befreien und zum Licht der hohen Liebe führen. Was macht es da, dass der seit Kindestagen mit Iolanta verlobte Herzog von Burgund gerne auf die Hochzeit verzichtet, weil er ohnedies Mathilde von Lothringen für erotisch aufregender hält. Für das frz. Publikum ist die Oper auch deswegen eine schöne Entdeckung, spielt die Handlung doch in den Bergen des südlichen Frankreich im 15. Jahrhundert. Der Komponist liebte bekanntlich Frankreich als Inbegriff von Kultur und Lebensart…
Dabei ist die Musik eher von Richard Wagner als von frz. Komponisten inspiriert, in der Ouvertüre vernimmt man Tannhäuser Reminiszenzen, das Damentrio aus Iolantas Amme Martha (Monika Bohinec) und den zwei Freundinnen Brigitta (Theresa Plut) und Laura (Nuska Rojko) klingen so manches Mal den Rheintöchtern zum Verwechseln ähnlich. Das ist es aber schon. Der Rest der Oper ist russischer als es nicht sein kann. Der elegische Beginn der Oper, die Arien, Ensembles, Chöre bis zum gebetsartigen, dem Schöpfer huldigenden Schlusshymnus enthalten alles an Schönem und Erhabenem, was slawische Oper zu bieten vermag.
Vor allem, wenn das so leidenschaftlich und mit Hingabe gesungen und musiziert wird wie an diesem November-Sonntagnachmittag in der Salle Pleyel. Der Lorbeer gebührt Anna Netrebko, die in einer üppigen lachscremefarbenem laminierten Seidenrobe schon rein optisch überwältigt und aussieht. So wie sich ein kleiner Bub oder ein verträumtes Mädel eine Märchenprinzessin halt vorstellen mögen. Netrebkos immer mehr zum Spinto neigender Luxussopran verfügt über die schöne goldene Träne, samtig unterlegt von Farben dunklen Portweins. Rührend und faszinierend, wie es der Netrebko auf der kahlen Konzertbühne gelingt, die Geschichte von der blinden Königstochter lebendig werden zu lassen. Einzigartig und ein kostbarer Moment für alle, die dabei sein durften. (Anm.: Das letzte Mal war die Oper Iolanta im Dezember 1984 in der Salle Pleyel mit Galina Vichnievskaia und dem Orchester von Paris unter Mstislav Rostropovitch zu hören).
Unterstützt wird Netrebko von einem herausragenden Ensemble. An erster Stelle möchte ich den exzellenten Lucas Meachem als Robert, Herzog von Burgund, hervorheben. Mit höhensicherem Bariton, der ins Heldische geht, gestaltet er stimmlich glänzend seine Arie „Wer kann sich mit meiner Mathilde vergleichen?“ Robert preist als eine Art russischer Tannhäuser darin die leiblich-weiblichen Reize des weiblichen Adelssproß‘ Mathilde von Lothringen. Natürlich antwortet sein Freund, der Graf Vaudémont, ein burgundischer Ritter, in bester Wolfram-Manier mit einer Romanze, die der edlen hohen Liebe huldigt. Der junge russische Tenor Sergej Skorokhodov, Ensemblemitlied des Mariinski Theaters und schon oft an der Seite Netrebkos aufgetreten, hat mir mit seinem metallisch in allen Lagen ausgeglichenen Material à la Atlantow besonders gut gefallen. Zum großen Höhepunkt der Oper wird das zentrale rund zehnminütige Liebes-Duett, gekrönt von einem strahlenden hohen C der Diva.
Dabei kann die Geschichte ja noch immer schief laufen. Der König, dem Vitalij Kowaljow seinen sonoren, virilen Bass leiht, will ja den armen Ritter, der Iolante ihre Blindheit begreifen lässt, töten lassen, falls die Augen-Operation des maurischen Arztes Ibn-Hakia (gediegen Vassily Savenko) nicht von Erfolg gekrönt ist. Aber wie das halt in der Oper so läuft, die Titelheldin will jetzt erst recht sehend werden, um ihren Geliebten vom Tod zu retten. Und ich verrate nicht zuviel: die Übung gelingt. In das Schlussoktett mischen sich auch Alméric, Waffenträger des Königs (stimmgewaltig der Tenor von JunHo You), der Schlossverwalter Betrand (basstauglich Luka Debevec Mayer) sowie der homogene Slowenische Kammerchor (Einstudierung Martina Batic). Das Orchester der Slowenischen Philharmonie unter seinem fabelhaften Chefdirigenten Emmanuel Villaume ist nicht nur hervorragender Begleiter, sondern dramaturgischer Hauptakteur auf Augenhöhe in diesem wahrlich außergewöhnlichen Ensemble, das keine Wünsche offen lässt.
P.S.: Wer diese Oper auf CD anhören will, ist mir der Referenzaufnahme unter Valery Gergiev und dem Kirov Orchester St. Petersburg mit Galina Gorchakova, Dmitri Hvorostovsky, Gegam Grigoriam und Sergej Alexashin bestens bedient. Natürlich warten alle auf die definitive Aufnahme mit Anna Netrebko….
Dr. Ingobert Waltenberger