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PARIS / Opéra Comique: LE PRÈ AUX CLERCS von Ferdinand Hérold

06.04.2015 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
Die Pariser OPÉRA COMIQUE schwelgt in historischer Ausstattung (c)

Die Pariser OPÉRA COMIQUE schwelgt in historischer Ausstattung (c) Pierre Grosbois

PARIS: Opéra Comique   2.April 2015
Ferdinand Hérold „LE PRÉ AUX CLERCS“ 

 

Wiederentdeckung eines „Meisterwerks“

 

Es ist kaum zu glauben: „Le Pré aux clercs“ ist die nach „Carmen“, „Manon“, „Mignon“ und „La Dame Blanche“ das meist gespielte Werk an der Opéra Comique: 1.615 Vorstellungen! 1.609 Vorstellungen von 1832 bis 1949 – und seitdem gerade mal sechs. Jérôme Deschamps, der scheidende Direktor der Opéra Comique, brachte in seiner ersten Spielzeit 2008 schon „Zampa“ von Hérold in seinem lobenswerten Bestreben, einige Werke für die dieses Haus einmal weltberühmt war, wieder auf der gleichen Bühne zu zeigen. Denn „Le Pré aux clercs“ war 1832 wirklich ein Welterfolg, was – wie für „I Puritani“ von Bellini – auch mit dem frühen Tod des Komponisten kurz nach der Première zu tun hatte. Richard Wagner und Friedrich Smetana – um nur zwei Vorbilder zu nennen – zitierten Motive aus dem „Le Pré aux clercs“ in ihren Opern „Das Liebesverbot“ (1836) und „Die verkaufte Braut“ (1866). Das einzige Werk Hérolds, das sich seit dem zweiten Weltkrieg auf den internationalen Spielplänen halten konnte, ist sein Ballett „La fille mal gardée“.

 Wir können die Opern Hérolds heute nicht mehr so gut verstehen, weil inzwischen der räumliche und künstlerische Kontext verloren gegangen ist, für den sie damals geschrieben wurden. Denn im neunzehnten Jahrhundert lag die Opéra Comique nur einen Steinwurf entfernt von der inzwischen abgebrannten Opéra Le Peletier und deswegen bestand ihr Repertoire aus „leichten Parodien“ der „großen Opern“, die zur gleichen Zeit im großen Haus um die Ecke gespielt wurden. „Zampa“ von Hérold war eine Parodie von Meyerbeers „Robert le Diable“ und „Le Pré aux clercs“ war eine Verulkung von Meyerbeers „Huguenots“. Beide Libretti fußen auf dem historischen Roman von Prosper Mérimée „Chronique du règne de Charles IX“ und in beiden Werken geht es um die unmögliche Liebe zwischen einer Protestantin und einem Katholiken während der Bartholomäusnacht am Hof der unglücklichen „Reine Margot“ und ihrer intriganten Rabenmutter Catherine de Medicis.

Beide Opern spielen im Louvre und in dem Garten davor, „Le Pré aux clercs“ („Die Wiese der Geistlichen“). Diese damals real existierende Wiese, in der man tagsüber lustwandelte, abends mordete und morgens duellierte, spielt auch eine zentrale Rolle in den „Drei Musketieren“ von Alexandre Dumas. Doch wenn auch in beiden Opern die gleichen Personen über das gleiche Gras laufen und sich hinter den gleichen Bäumen verstecken, tun sie dies in den beiden Werken aus total verschiedenen Gründen. In „Les Huguenots“ geht es um Glauben, Theologie, Politik und alle Dinge, für die wir bereit sind zu sterben; in „Le Pré aux clercs“ geht es um privates Glück, Liebe und Leben, die manchmal stärker sind als alle politische Intrigen. Bei Meyerbeer endet die tragische „große Oper“ mit einem Blutbad, in dem fast alle Hauptpersonen auf der Bühne beim Singen erstochen werden; bei Hérold duellieren nur ein Katholik und ein Protestant auf der Nebenbühne und kann das Liebespaar in die Freiheit entfliehen, mit Hilfe der großherzigen Königin und ihres intelligenten Narren. Der Hofnarr kommt bei Meyerbeer (und auch im Roman von Mérimée) nicht vor, denn Hérold musste alle seine Opern immer genau für das Personal der Opéra Comique komponieren. Und dort ging die Hauptrolle immer an eine „première soprano à roulades“, gefolgt durch eine „première amoureuse“ etc. Und nach dem „ténor romantique“ folgte eben ein „ténor comique“ (1832 ein Herr Féréol), für den Hérold die Rolle des Hofnarren Cantarelli komponierte: ein italienischer Sänger, dem er schlechten Rossini in die Kehle legen konnte. (Denn Hérold und Rossini waren gleich alt und standen sich von Neapel bis Paris dauernd immer irgendwo gegenüber.)

Wenn man diesen Kontext versteht, wird der Abend geistreich und manchmal sehr amüsant. Und wenn man ihn nicht versteht, dann bleibt es eine gut geschriebene „komische Oper“ mit allen Formen und Farben, die für dieses „genre moyen“ erforderlich sind. Im Gegensatz zum „grand genre“ sind das hauptsächlich fröhliche Trink- und Tanzszenen und ein Happy End. Der Schauspieler Eric Ruf, inzwischen auch der neue Direktor der Comédie Française, weiß dies alles mit Witz und Stilgefühl hervorragend zu inszenieren. Er erspart uns in seinem selbst entworfenen Bühnenbild jede Aktualisierung und Politisierung, die gerade bei diesem Werk völlig fehl am Platze gewesen wäre. Er bietet uns dafür eine sehr genaue Personenführung: Bravo für die vielen gesprochenen Dialoge und die für heutige Sänger unüblich langen Spielszenen! Bravo auch für die wunderbaren Kostüme von Renato Bianchi und die stilistisch perfekte Choreographie von Glysein Lefever. Paul Mc Creesh dirigierte mit Können das seit Jahren durch ihn geleitete Gulbenkian-Orchester, denn nach Paris wird die Produktion weiterreisen nach Lissabon und an das irische Wexford Festival.

Der Accentus-Chor war gut, aber wir haben ihn schon besser gehört. Auch die Besetzung war stilistisch nicht einwandfrei – was schon erstaunlich ist, wenn das Palazetto Bru Zane als Koproduzent auftritt. Marie Lenormand, vor vier Jahren eine unvergessliche Mignon auf dieser gleichen Bühne, war wieder eine wunderbare Königin Marguerite de Valois. Doch ihre Höhepunkte waren dieses Mal ihre gesprochenen Szenen, nicht ihr Gesang. Marie-Eve Munger war eine deutliche Fehlbesetzung. Als guter Koloratur-Sopran fehlte ihr verständlicher Weise die Mittellage der Hofdame Isabelle Montal. Auch Michael Spyres war mit starkem Akzent kein idealer Baron de Mergy und Emiliano Gonzales Toro mehr ein Spanischer Grande als ein Comte de Comminge.

Die beiden Publikumslieblinge waren Christian Helmer als überaus sympathischer und gut singender „Liebhaber“ Girot und Eric Huchet, der schon zweihundert Mal die „Périchole“ gesungen hat, als urkomischer Hofnarr Cantarelli. Bei ihren Szenen geriet der ganze Saal in Aufregung und verstand man mühelos, warum „Le Pré aux clercs“ früher einer der absoluten Lieblingsopern der Pariser gewesen ist.

 

Waldemar Kamer
MERKEROnline – Paris

 

 

 

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