PALERMO / Teatro Massimo : ŠVANDA DUDÁK von Jaromír Weinberger am 19.10.2014
Copyright: Teatro Massimo Palermo
Der endemischen italienischen Opernkrise zum Trotz hat das Teatro Massimo in Palermo jetzt schon zum zweiten Mal in dieser Saison erstaunlichen und bewunderungswürdigen Mut bewiesen: nach Richard Strauss‘ genialem Frühwerk FEUERSNOT (im Januar) setzte es jetzt Jaromír Weinbergers einstigen Welterfolg SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER auf den Spielplan (noch dazu in tschechischer Sprache und unter dem Originaltitel ŠVANDA DUDÁK, was, wenn man das palermitaner Opernpublikum kennt – dessen weibliche Mitglieder selbst im Sommer in Pelzmänteln antanzen – tollkühn und nahezu selbstmörderisch ist).
SCHWANDA war einst – dank der Übersetzung von Max Brod besonders auch im deutschsprachigen Raum – extrem populär, wie man liest sogar auf einer Ebene mit Zauberflöte, Fledermaus und Carmen !!!
Etwas, was man sich heutzutage durchaus vorstellen kann. Aber die Nazis haben diesem – wie in so vielen anderen Fällen – Erfolg aufgrund der „jüdischen Herkunft“ des Komponisten ein ebenso abruptes wie nachhaltiges Ende bereitet. Weinberger, zur Emigration nach Amerika gezwungen, brachte sich dann – Tragik innerhalb der Tragik – in St.Petersburg, Florida, um. Nach dem zweiten Weltkrieg konnte das Werk nie wieder in gebührender Form ins Repertoire zurückfinden.
Bei der Wiederbegegnung mit dieser “ genialen Eintagsfliege“ (Marcel Prawy) versteht man allerdings sofort, worauf dieser überwältigende Siegeszug einstens zurückzuführen war.
Weinbergers Musik verbindet nämlich in mitreißender Weise Zeitgenossenschaft (1927) à la Puccini oder Strauss mit transformierter böhmischer Folklore und amerikanisierenden Jazz-Rhythmen.
Hinzu kommt ein faszinierendes Libretto, das, fußend auf dem Theaterstück des tschechischen Nationaldichters Josef Kajetán Tyl, unter dem täuschenden Deckmäntelchen einer „Fabel“ ein hochmodernes Künstlerdrama – genau betrachtet sogar deren zwei – erzählt:
Der erfolgreiche „Räuber von Welt“ Babinsky (eine Art Robin Hood-Figur) gerät auf der Flucht in die einfache Hütte des bescheidenen Bauern Švanda und verliebt sich in dessen junge, ihm erst seit einer Woche angetraute Braut Dorotka. Da der gute Švanda auch noch ein begnadeter Dudelsackspieler ist (der allerdings nur auf lokalen Volksfesten auftritt) verspricht er ihm eine viel steilere Karriere und entführt ihn in „die große weite Welt“: als erstes an den Hof der „Königin mit dem vereisten Herzen“ . Dieses bringt Schwandalein mit seinem Dudelsäcklein natürlich sofort zum Schmelzen. Als er sich aber weigert, die nunmehr entbrannte Herrin zu heiraten, wird er dem Scharfrichter zugeführt. In letzter Sekunde ersetzt der geschickte Taschenspieler Babinsky das Hackebeilchen mit einem Besen.
Der Dudelsackspieler landet daraufhin in der Hölle, wo er sich allerdings erfolgreich weigert, den gelangweilten Beelzebub durch seine Kunst zu erheitern.
Auch hier gelingt es wieder dem „Gentleman-Gangster“ Babinsky, seinen Freund – dessen nunmehr ewige Abwesenheit von seiner Frau er eigentlich ja auch ausnützen könnte – aus den Fängen der Unterwelt zu befreien und ihn wieder der inzwischen ergrauten Dorotka zuzuführen, während er selbst – wahrscheinlich für immer – solo bleibt.
Dieses mit homoerotischen Motiven unterfütterte Dreiecksverhältnis mag den Dramaautor Tyl, der selbst in einem – umgekehrten – Dreiecksverhältnis lebte (er hatte von der Schwester seiner Frau sieben Kinder) besonders inspiriert haben, und in weiterer Folge offenbar auch Weinberger…
In Palermo war das Werk in einer Produktion der Semperoper Dresden zu erleben.
Der ehemalige Countertenor Alex Köhler sorgte für eine absolut spektakuläre, unterhaltsame und augenzwinkernde Inszenierung, aus der besonders die hervorragend choreographierten Szenen hervorstachen.
Mikhail Agrest brachte die Partitur liebevoll, aber exakt zum Glühen.
Einziger Wermutstropfen in dieser „Fabel“ über Macht und Ohnmacht der Musik: dass das Sängerensemble nicht mit dem von Bühne und Orchestergraben vorgegebenen Niveau mithalten konnte…bis auf die Eiskönigin (Anna Maria Chiuri) und ihren Hexer (Roberto Abbondanza). Der Rest (zumindest der Premierenbesetzung) „glänzte“ durch Unhörbarkeit, was doch ein wenig schade war.
Da ŠVANDA DUDÁK im Untertitel die Genrebezeichnung „Volksoper“ trägt, würde man sich sehr freuen, ihn z.B. in der VOLKSOPER wiederzusehen (gerne auch in deutscher Sprache).
Und auf die noch unbekannteren Werke des unglückseligen Herrn Weinberger wie „Die geliebte Stimme“, „Die Ausgestoßenen von Pokerflat“, „Frühlingsstürme“ (Operette) und „Wallenstein“ wäre man nach dieser positiven Erfahrung eigentlich auch gespannt…
Robert Quitta, Palermo