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OPER GRAZ: CAVALLERIA RUSTICANA & PAGLIACCI Premiere

Dunkel über Sizilien

30.09.2018 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Schwer lastet der katholische Himmel über Sizilien       Copyright: Werner Kmetitsch

Oper Graz

CAVALLERIA RUSTICANA von Pietro Mascagni
PAGLIACCI von Ruggero Leoncavallo

Premiere    29.September 2018

Dunkel über Sizilien

Am Anfang duften noch die Unmengen an Blumen bis auf die Höhe des Balkons herauf. Mamma Lucia versorgt den Chor, über der Bühne überwacht ein riesiger, michelangesker  Gottvater bildmächtig das Geschehen in Sizilien, um allerdings mit Sorge den sittlichen Verfall „seines“ Universums beobachten zu müssen, des Reiches der Bigotterie und des Neids und des Hasses und des Ehebruchs und statt der gottesfürchtigen Abhaltung der Osterbräuche die Anbetung elektronischer Verbreitung des Ostersegens. Dazu geißelt der Regisseur, der Schweizer Lorenzo Fioroni auch noch die Mitteilungssucht heutiger Menschen, in dem er, den „Verismo“ wörtlich nehmend, der Masse ein Mikrofon vorhält und jedem zu jener kurzen individuellen Berühmtheit verhilft, die ein Andy Warhol in den Sechzigern erträumt hat. Vom Unterbrechen des musikalischen Flusses der Cavalleria hat aber Warhol nichts angedeutet und doch, so etwas scheint einen Regisseur heute nicht mehr zu tangieren, die beiden Künste Poesie und Musik haben bereits eine Rangstufe im praktischen Operngeschehen eingebüßt, Umdichtungen und Unterbrechungen des musikalischen Flusses sowie Einbau anderer als musikalischer Nummern, aber auch die fremder Komponisten werden uns mehr und mehr beschäftigen. Die von vielen als Pseudokunstform bezeichnete Opernregie ist dabei, den obersten Rang im Opernalltag zu erobern und fix einzunehmen. Hatten dereinst die Komponisten selbst solche Manipulationen zum Besten des Stückes vorgenommen, so geht diese Täterschaft derzeit voll in Richtung außermusikalischen Gestaltungsdranges der Regisseure. Dass ein Clown zu dieser Maskerade mit den Interviewten ein Salonorchester für das berühmte Zwischenspiel auf der Bühne dirigierte, sagt ja schon alles. Zum Glück war darauf das Original vom großen Orchester doch auch noch zu vernehmen.

Der Thespiskarren Canios        Copyright: Werner Kmetitsch

Im „Pagliacci“, etwa eine gefühlte Generation später in der Handlung nach dem Mascagni-Stück, scheint die Welt moderner und hinsichtlich der Religion aufgeklärter. Die Schauspieltruppe fährt mit einem riesigen, wolkenverhangenen Thespiskarren auf die Bühne, eine, mit ihren phantasievollen Gestalten ungemein gelungene Freakshow des Himmels und der Hölle mit Canio als einer Mischung aus Gott, Bacchus und Clown und eine bunte Apokalypse an Figuren als Engel, Clowns, Untoten, Bischöfen und Jungfrauen bevölkern die Bühne. Hier konnte sich die Phantasie von Paul Zoller, Bühne, Annette Braun, Kostüme und Franck Evin Licht besonders bewähren und hat eine beachtenswerte Show geliefert.

Tonio und Nedda        Copyright: Werner Kmetitsch

Auch die Ausstattung der Küche und das tödliche Finale des letzten Bildes darin waren in ihrer Atmosphäre zusammen mit der Unentrinnbarkeit für die Ehebrecherin von einiger beklemmender Wirkung. Theater auf dem Theater gab es nicht, der Chor nahm in den Gängen und auf den Stiegen im Saal Aufstellung und „spielte“ von dort aus Publikum.

Nach dem Mord latscht Canio in einer ruinösen, wie brennend rot wirkenden und aus dem Fokus geratenen Stadtlandschaft einsam davon. In ein trostlos Ungewisses; und der Himmel ist leer.

Aldo Di Toro, der Australier, spielt in beiden Opern, seinem Turridu haftet die Sorglosigkeit an bis zum jähen Finale, sein Canio bewährte sich in der kruden Verkleidung auf dem Karren ebenso wie als brutaler Ehemann. Kraft für dramatische Attacke bringt er genügend mit. Seine Santuzza, die Türkin Ezli Kutlu gibt sich bereits äußerlich auf eine, auch hinsichtlich des Glaubens hysterische Person, der man das auch stimmlich abnehmen kann. Und als Mama Lucia gibt es ein Wiedersehen mit Cheryl Studer.

Der Norwegische Bariton Audun Iversen bringt die gute Figur aber auch die etwas zu kleine lyrische Baritonstimme mit. Zu hell, zu wenig baritonalen Druck für die überzeugende Ausformung der Phrasen der beiden großen Arien, sowohl des brutalen Alfio wie für die breit angelegten Bekenntnisse des Tonio zum Verismo. Aurelia Florian ersang sich als Nedda verdienten Erfolg, Mareike Jankowski war die Lola und Neven Crnic neben der Nedda erfolgreich im Duett.

Bernhard Schneider hatte gute Arbeit mit den Chören geleistet. Und sie wirkte nicht nur mit ihren Gesten unaufgeregt aber bestimmt, sie brachte zwei wunderschöne Partituren zum klingen mit den Grazer Philharmonikern: Oksana Lyniv.

Dafür gab es auch rund acht Minuten Schlussapplaus, wobei anzumerken ist, dass kein einziges Buh ertönte!

Trostloses Ende          Copyright: Werner Kmetitsch

Fazit: Auch ohne die altvertraute Atmosphäre von duftenden Orangen und Gauklern ist die Szenerie Siziliens äußerst sehenswert geworden. Große Empfehlung!

Peter Skorepa
OnlineMERKER

 

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