OLGA PERETYATKO im Gespräch
Das Interview führte Marc Rohde im Mai 2012
Olga Peretyatko. Foto: Larry Brownlee
Fast genau fünf Jahre ist es her, dass im Neuen Merker das erste Interview mit Olga Peretyatko erschienen ist. Ihre im letzten Jahr bei Sony veröffentlichte Solo-CD „La bellezza del canto“ hat auf Anhieb Platz 6 der deutschen Klassikcharts erreicht. Für Mai 2013 ist das Debüt an der Wiener Staatsoper geplant und auch die Salzburger Festspiele stehen für nächstes Jahr im Kalender der russischen Sopranistin. Grund genug, ein zweites Gespräch mit der gefragten Sängerin zu führen. Anlässlich eines „festlichen Opernabends“ am Nationaltheater Mannheim gab es ein Wiedersehen mit Merker-Mitarbeiter Marc Rohde.
Sie werden oft als „neuer Star der Oper“ bezeichnet. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Nun, ich habe mich ja nicht selbst so genannt. Wenn es den Medien gefällt, mich „Star“ zu nennen, dann bitte schön…. Ich arbeite genau so wie früher auch. Ich habe nur etwas mehr Verantwortung als damals und nicht mehr das Recht, Fehler zu machen.
Der Merker hat Sie bereits im Jahr 2007 entdeckt und ein erstes Interview mit Ihnen veröffentlicht. Wie hat sich Ihre Karriere seitdem entwickelt?
Seit unserem Treffen in Berlin ist sehr viel passiert. 2007 trat ich beim Rossini Festival in Pesaro in „Otello“ auf. Seitdem ist das Festival so etwas wie meine zweite musikalische Heimat geworden. 2009 führte mich „La Scala di Seta“ und 2010 „Sigismondo“ dorthin zurück. In diesem Sommer arbeite ich in „Matilde di Shabran“ nach fünf Jahren wieder mit Juan Diego Florez zusammen. Für mich ist es sehr wichtig, immer wieder dort aufzutreten, weil ich mich bei der Musik von Rossini am besten aufgehoben fühle.
An der Bayerischen Staatsoper war eine Belcanto-Rolle für mich im Gespräch und deshalb hatte ich zugesagt, 2008/09 auch Blondchen dort zu singen. Ich war 27 und es war toll in diesem Haus singen zu dürfen. Eigentlich hatte ich zu dem Zeitpunkt schon mit Konstanze begonnen und fühlte mich in dieser Partie viel komfortabler. Ich habe Blondchen aber wohl sehr gut gesungen, so dass Ivor Bolton mich nach Barcelona eingeladen hat. Es handelte sich um die Christoph Loy-Produktion aus Frankfurt mit Diana Damrau als Konstanze. Eine DVD dokumentiert die Arbeit in Katalonien.
Auch Gilda ist eine wichtige Rolle für mich. 2008 sang ich sie zum ersten Mal und habe seitdem über 50 Vorstellungen gesungen. Unter anderem in La Fenice in Venedig, im Teatro Comunale Bologna und vor 5.000 Zuschauern in der Arena in Avenches.
Strawinskys „Rossignol“ war ein weiteres Highlight der letzten Jahre. Wir hatten große Aufmerksamkeit der Medien und waren mit der Produktion in mehreren Städten zu Gast. Premiere war in Toronto, dann ging es nach Aix en Provence, gefolgt von New York, Lyon und Amsterdam. Eine der Vorstellungen in Aix wurde live auf ARTE übertragen, so dass jeder Interessierte am Bildschirm dabei sein konnte. Ich habe bisher immer das Glück gehabt, mit guten Regisseuren zusammenzuarbeiten. Robert Lepage ist genial, gemeinsam mit ihm habe ich die Interpretation der Titelrolle erarbeitet. Er war sehr offen, aber weiß trotzdem genau was er will und setzt seine Vorstellungen auf sehr sanfte Weise durch. Rossignol ist eine sehr dankbare Partie, in der ich mein Bestes zeigen kann. Meine Stärke ist ja die Höhe. Demnächst singe ich die Rolle, allerdings konzertant, in Boston.
Auch an die „Lucia di Lammermoor“ in Palermo erinnere ich mich sehr gerne zurück. Mit italienischen Opern debütiere ich möglichst immer in Italien. Lucia ist wie für mich geschrieben: beim Singen dieser Rolle fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser. In Palermo war es fantastisch. In der Wahnsinnsarie gab es erste Ovationen nach der Kadenz und am Ende der Arie noch mal drei Minuten. Das war ein sehr, sehr schönes Erlebnis. Diese Begeisterung und solche Emotionen findet man sonst nirgends.
Gerade habe ich eine Serie von „Il Turco in Italia“ in Amsterdam beendet. Die Partie ist superschwer, wahnsinnig lang, aber macht extrem viel Spaß.
Nun sind Gott sei dank die Zeiten vorbei, in denen ich bei der Rollenauswahl Kompromisse eingehen musste. Ich kann mir aussuchen, was ich singen möchte und trete nur in Stücken auf, die mir liegen und Spaß machen. Ich habe sehr viel dafür gearbeitet und nun ist dieses Ziel erreicht.
Momentan habe ich so viele Termine, dass ich gar nicht genau aufzählen kann, wann ich wo sein werde. Ich habe den kommenden Monat immer ganz gut im Blick, aber für 2015/16 weiß ich nur die Rollen und die Theater, kann allerdings nicht ohne Blick in den Kalender sagen, wann ich wo sein werde.
Olga Peretyatko bei einer Autogrammstunde in Mannheim. Foto: Marc Rohde
Bleibt bei so viel Karrieretrubel noch Platz fürs Privatleben?
Mein Freund stammt aus Pesaro, so fühle ich mich auch dort wie zu Hause und kann hier Privat- und Berufsleben gut verbinden. Ich glaube, es existieren keine Zufälle. Alles hat seinen Sinn. Dank ihm spreche ich inzwischen besser italienisch als deutsch, was mir bei der Rollengestaltung wiederum sehr hilft, da ich fast ausschließlich italienisches Repertoire singe. Ich verstehe jetzt viel mehr und der Wortwitz, den ich früher auswendig gelernt und formal übersetzt hatte, bekommt für mich ein ganz anderes Gewicht. Durch das Beherrschen der Sprache gelingt es mir, bei der Interpretation ganz neue Farben zu finden.
Die Rezensionen Ihrer Solo-CD waren fast ausnahmslos positiv. Es gab aber auch wenige kritische Stimmen. In einer Kritik wurden Sie sogar als Soubrette bezeichnet. Ärgern Sie sich über solche Kommentare?
Es gibt nichts, worüber man sich bei dieser Aussage ärgern könnte. Die Bezeichnung hat nichts mit der Stimme zu tun, sondern ist lediglich eine Rollenbezeichnung. Als Typ bin ich keine Soubrette. Jede junge Sopranistin singt diese Soubretten-Partien. Es sind immer junge, frische Charaktere wie zum Beispiel Dienstmädchen, Zofen, und dergleichen. Über die Qualität der Stimme sagt der Begriff überhaupt nichts aus.
Man muss mich live gehört haben, um die Stimme ernsthaft beurteilen zu können. Kein Mikro dieser Welt kann eine menschliche Stimme völlig naturgetreu einfangen. Besonders Soprane und Tenöre kommen auf den Aufnahmen häufig nicht so rüber, wie es ihnen vor Publikum gelingt. Oft kommen nach der Vorstellung Leute zu mir und sagen, wie viel wärmer die Stimme live doch klingt. Wenn Durch das Anhören einer CD jemand in die Oper kommt, ist der Zweck erfüllt. Wenn Leute nach einer Vorstellung glücklich und zufrieden aus dem Theater gehen, dürfen sie mich gerne auch Soubrette oder wie auch immer nennen. Unsere Aufgabe ist es, den Zuschauern Emotionen und Freude zu schenken und das Publikum ein wenig glücklicher zu machen. Wenn das erreicht ist, ist alles andere nebensächlich.
Heutzutage kommt es für den Erfolg eines Opernsängers stärker als früher auch auf ein gutes Aussehen an. Oper ist sexy geworden. Wann erscheint die erste Opernsängerin im Playboy?
Wir müssen auf der Bühne jederzeit glaubwürdig sein. Wenn es um ein hübsches Mädchen geht, muss man zu einem hübschen Mädchen werden. Vom dritten Rang aus sieht man überhaupt nicht ob eine Sängerin hübsch ist oder nicht. Es geht hierbei eher um Bühnenpräsenz. Make-Up und eine Perücke tun ein Übriges. Trotz allem muss man in erster Linie gut singen, denn das ist in der Oper immer noch das Einzige, was zählt. Für die schönen Fotos gibt es natürlich gute Fotografen und die Möglichkeit des Nachbearbeitens. Playboy? Nein. Das werde ich sicher nicht machen. Beim modernen Regietheater gibt es auf der Opernbühne immer wieder nackte Menschen auf der Bühne. Wenn es im Libretto steht und für die Glaubwürdigkeit notwendig ist, warum denn nicht?
Ich kann mich hübsch machen, aber wenn ich in den Spiegel schaue, ist das nicht der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt. Und natürlich geht es mir nicht, wie einem 500-Euro Schein. Ich kann nicht jedem gefallen. Singen ist etwas sehr subjektives. Der eine sagt, Du hast die schönste Stimme der Welt, der nächste findet sie schrecklich und als Sänger kann man nichts dagegen machen.
Sie sagten kürzlich, dass sie sich nicht vorstellen könnten, momentan schon Traviata zu singen. Wann könnte es so weit sein und was müsste sich an Ihrer Stimme bis dahin verändert haben?
Man muss stimmlich reif für die Rolle sein. Diesen Charakter kann keine junge, unerfahrene Sängerin glaubhaft auf der Bühne verkörpern. Ich sehe und höre schon, dass der Moment, an dem ich soweit bin, näher und näher kommt. Ich weiß nicht warum, aber jeder fragt mich, ob ich Traviata singen möchte. Es gibt auch bereits eine ganz konkrete Planung zu meinem Debüt. Violetta wird hoffentlich eine der besten Partien für mich sein.
Sie sind ununterbrochen unterwegs, singen sehr viel in Frankreich und Italien, aber auf deutschen und österreichischen Bühnen konnten wir sie nur relativ selten erleben. Wo kann das hiesige Publikum Sie live sehen?
Da wird es in nächster Zeit einige Möglichkeiten geben: Mitte Juni singe ich mit Joseph Calleja „Lucia di Lammermoor“ in an der Deutschen Oper Berlin, kurz danach „Carmina Burana“ beim Rheingau Musikfestival. Im Januar nächsten Jahres trete ich bei den Salzburger Mozartwochen in Mozarts „Lucia Silla“ auf, werde einige Konzerte im Grazer Musikverein geben, an der AIDS-Gala in Düsseldorf teilnehmen und habe dann im April als Gilda mein Debüt an der Wiener Staatsoper, bevor es als Adina an die Hamburgische Staatsoper geht. Im Juli folgen die Salzburger Festspiele. Für Oktober 2013 ist an der Berliner Staatsoper unter den Linden „Zarenbraut“ geplant, im November in Hamburg „Ariadne auf Naxos“, bevor ich das Jahr mit der Silvestergala im Festspielhaus in Baden-Baden abschließen werde. Zerbinetta werde ich übrigens auch auf einem Gastspiel der Wiener Staatsoper beim Richard-Strauss Festival in Garmisch-Partenkirchen singen.
Mittlerweile kennen Sie den Frankfurter Flughafen sicher wie Ihre Westentasche. In der Oper, die ja immerhin zu den besten Europas gehört, durften wir Sie noch nie sehen. Könnte sich das in absehbarer Zeit ändern?
Wenn ich eine Einladung von dort erhalten sollte, komme ich gerne!