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NÜRNBERG/PocketOpera Company: Richard Wagner MÄNNERLIST IST GRÖSSER ALS FRAUENLIST oder DIE GLÜCKLICHE BÄRENFAMILIE. Premiere

28.06.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Szenische Uraufführung einer Wagner-Oper in Nürnberg: „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“ (Premiere: 27. 6. 2013)


Die beiden Hauptrollen spielten Gertrud Demmler-Schwab und Johann Winzer mit großem Einsatz (Foto: Herbert Liedel)

  Mit einer Opernsensation wartete die „Pocket Opera Company“ am 27. Juni 2013 in Nürnberg mit der Aufführung eines eher unbekannten Werks von Richard Wagner auf: „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“. Die Aufführung dieser erst im Jahr 1994 wiederaufgefundenen Oper fand als Koproduktion mit dem Kulturreferat / Projektbüro der Stadt Nürnberg im Zirkuszelt inmitten des Stadtparks statt.  Der Ordnung halber sei festgehalten, dass das Stück seine komplette szenisch-musikalische Uraufführung – mit allen Noten, die Wagner zu diesem Projekt im originalen Klaviersatz hinterlassen hat, auch mit musikalischen Passagen, die vielleicht für dieses Projekt notiert wurden – bereits am 7. März 2013 in der Berliner Hauptstadtoper erlebte. Demnächst wird die abendfüllende Produktion dort wieder aufgenommen: http://www.hauptstadtoper.de/

Der Standort des Zeltes erinnert an einen historischen Ort, denn 1861 fand im Nürnberger Stadtpark das 1. Deutsche Sängerfest statt, zu dem 20 000 Menschen gekommen waren. Ein symbolträchtiger Ort also, um das Wagner-Jubiläum mit einer Besonderheit zu feiern.

Dass Richard Wagner eine Affinität zu artistisch-circensischen Faxen hatte, ist nicht zuletzt aus seiner Autobiographie „Mein Leben“ bekannt, in der er über seine Kindheit schreibt: „Wir wohnten am Markte, der mir oft eigentümliche Schauspiele gewährte, wie namentlich die Vorstellung einer Akrobaten-Gesellschaft, bei welchem auf einem von Turm zu Turm über den Platz gespannten Seile gegangen wurde, was in mir lange Zeit die Leidenschaft für ähnliche Kunststücke erweckte. Ich brachte es wirklich dazu, auf
zusammengedrehten Stricken, welche ich im Hof ausspannte, mit der Balancierstange mich ziemlich geschickt zu bewegen; noch bis jetzt ist mir eine Neigung, meinen akrobatischen Gelüsten Genüge zu tun, verblieben.“

 Diese im informativ gestalteten Programmheft der Pocket Opera Company abgedruckte Passage verleitete wohl den Regisseur, die Oper mit einem Seiltänzer beginnen zu lassen, der – als Richard Wagner verkleidet und mit sächsischem Akzent sprechend – seine Kunst zum Besten gab. Wagners Fragment gebliebene Jugendoper, die 1837 / 38 zwischen seinem „Liebesverbot“ (1836) und „Rienzi“
(1842) entstand, zeigt seine frühe Vorliebe für das Singspiel und hat offensichtlich starke autobiographische Züge, auch wenn die Grundlage des Sujets aus Tausendundeiner Nacht stammt. Wagner hatte dieses Werk offenbar für das Deutsche Theater Riga gedacht, an dem er damals als Musikdirektor engagiert war.   

 Die Handlung des Werks in Kurzfassung: Der Juwelier Julius Wander verliebt sich in seinem Laden in die schöne Leontine, die aber über den Wahlspruch „Männerlist größer als Frauenlist“ verärgert ist, der über seinem Geschäft prangt. Sie erzählt ihm, dass ihr Vater, der Baron von Abendthau, sie für hässlich hält und deshalb fürchtet, sie nicht verheiraten zu können. Julius macht sich sogleich auf den Weg zum Baron und will um die Hand seiner Tochter anhalten. Währenddessen sinniert der Baron in Gegenwart seines Dieners
Anastasius über die missliche Lage seines Adelsgeschlechts, dessen Fortbestand er ernsthaft bedroht sieht. Als Julius bei ihm vorstellig wird und auch noch beteuert, von altem Adel abzustammen, wird sofort ein Ehevertrag aufgesetzt und eine Hochzeit arrangiert. Doch als der Baron beim Fest seine Tochter präsentiert, muss Julius erkennen, dass ihm Leontine einen bösen Streich gespielt hat. – In
seinem Laden hadert Julius mit dem Schicksal. Leontine kommt und hält ihm vor, dass sein Wahlspruch sie in ihrem Stolz verletzt habe. Als er die Tafel entfernen will, wird er auf einen Wanderzirkus aufmerksam, der gerade in die Stadt einzieht. Er beauftragt den Bärenführer der Zirkustruppe, am Abend mit dem Tanzbären zur Hochzeitsfeier im Garten des Barons zu erscheinen und für Unterhaltung zu sorgen. Nachdem Anastasius mit einem Lakai das Fest vorbereitet hat, heißt der Baron alle Gäste, darunter seine adelige Verwandtschaft und Leontine, willkommen. Julius präsentiert den Bärenführer und den Tanzbären, der zum Entsetzen der Gäste Aurora, die Braut von Julius, zum Tanz entführt. Als sich herausstellt, dass der Bärenführer der Vater von Julius und dessen Bruder Richard der verkleidete Tanzbär ist, entsteht ein riesiger Tumult, der schließlich für Julius und Leontine zu einem Happyend führt.

 Interessant im Zusammenhang mit den Figuren der Oper ist, dass einer von Wagners Brüdern tatsächlich Julius hieß und Goldschmied war. Während Richard Wagner das Libretto vollständig ausarbeitete, brach er die Komposition inmitten der dritten Nummer ab. Dazu ein Zitat aus seiner Autobiographie: „Schon hatte ich zwei Nummern daraus komponiert, als ich mit Ekel inne ward, dass ich wieder auf dem Weg sei, Musik à la Auber zu machen. … Mit Abscheu ließ ich die Arbeit liegen.“

 Zum 200. Geburtstag des Bayreuther Meisters brachte nun die Pocket Opera Company das komisch-circensische Frühwerk erstmals in einer eigens komplettierten und orchestrierten Fassung im Rahmen des vom 27. Juni bis 9. Juli 2013 dauernden Festivals „Nürnberg spielt Wagner: Circus Wagner im Stadtpark“ in einem Zirkuszelt zur Welturaufführung. 

Der Regisseur Peter P. Pachl nützte die Manege für eine zirkushafte Inszenierung, die leider allzu oft in ein reines Schmierentheater verfiel. Schade, denn die Idee, diese komische Oper, in der eine Zirkustruppe zur tragenden Rolle wird, in einem Zirkuszelt aufzuführen, schien vielversprechend und hatte auch des Öfteren ihre Reize. Ein Großteil des Publikums unterhielt sich auch bei den Klamaukszenen blendend, ein kleinerer Teil verließ zur Pause das Zelt.  

Die Schlussszene, in der die adelige Hochzeitsgesellschaft hinter den Gittern der Manege eingesperrt ist und sich wie wilde Tiere im Käfig gebärdet, hatte durchaus einen komisch-skurrilen Effekt. Für die farbenfrohe Ausstattung, die sich dem Zirkusmilieu anpasste, sorgte Evelyn Straulino.

 Dem Tenor Johann Winzer gelang es, die Rolle des reichen Juweliers Julius Wander nicht nur überzeugend darzustellen, er traf auch in seinen Arien erstaunlich gut den „Wagner-Ton“.

Warum in dem kleinen Zelt, das maximal 700 Personen fasst, das Sängerensemble mit Wangen- und Stirnmikrophonen ausgestattet war und ihre Stimmen mit Hilfe der Technik verstärkt wurden, kann wohl nur der Veranstalter beantworten. Der Effekt war, wie meist in solchen Fällen, dass manche ins Schreien verfielen und der Ton viel zu laut war.

 Sehr charmant spielte die hübsche Sopranistin Gertrud Demmler-Schwab die Rolle der Leontine. Leider klang ihre dramatische Stimme manchmal in der Höhe zu schrill. Möglich, dass die technische Anlage daran Schuld trug. Der Bariton Jens Müller spielte den Baron von Abendthau komödiantisch, wobei er eine Karikatur eines Adeligen zeichnete. Der Bass Jakob Kreß als sein Diener Anastasius entpuppte sich als Akrobat. Wie er durch die Manege raste, ohne zu stürzen, war bewundernswert. Schade, dass er besonders outrierte und dadurch in Klamauk abdriftete, was vor allem in der Szene mit dem Lakai, gespielt von Klaus Meile, der seine Schauspielausbildung am Wiener Max-Reinhardt-Seminar hatte, peinlich wirkte. Der Bariton Robert Eller spielte sowohl den Notar wie auch den Bärenführer Gregor mit viel Humor, der Schauspieler Frank Strobelt seinen Sohn Richard, der – als Bär verkleidet – das Publikum zu begeistern wusste. Stark gefordert wurde der elfköpfige Chor, der nicht nur stimmkräftig sang, sondern auch in vielen Szenen darstellerisch überzeugend agierte.

 Das 15-köpfige Orchester wurde von Franz Killer geleitet, der auch die musikalische Bearbeitung vornahm. Mit großem Einsatz gelang es dem Dirigenten, die fröhlich-beschwingte Musik, die tatsächlich an die französische Opéra comique im Stil von Auber und Adam erinnert, im Zirkuszelt zum Klingen zu bringen, wenngleich die Akustik durch die Technik so manche Verzerrung mit sich brachte.

 Die Zuschauerinnen und Zuschauer, die von elegant gekleidetem Zirkuspersonal mit Zylinder zu ihren Plätzen geleitet und vor Beginn der Vorstellung von Prof. Dr. Julia Lehner, der Leiterin des Kulturreferats der Stadt Nürnberg, feierlich begrüßt wurden, waren von den circensischen Darbietungen so begeistert, dass sie zum Schluss allen Mitwirkenden minutenlang frenetisch applaudierten. Sie wurden danach im Rahmen der Premierenfeier mit Sekt bewirtet.

 Udo Pacolt, Wien

 

 

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