Münster: DER BARBIER VON SEVILLA. Premiere am 08.09.2012 – besuchte Vorstellung 14.09.2012
Lustig ist das Barbiersleben in Sevilla, zumindest in der Inszenierung von Aron Stiehl, mit der in Münster die erste Spielzeit des neuen Intendanten Dr. Ulrich Peters eröffnet wurde. Ist es heute leider fast schon üblich, die Ouvertüre zu bebildern, so fing man hier schon vor der Ouvertüre an, Eisbonbons ins Publikum zu werfen. Während der Ouvertüre wurde die Aufmerksamkeit des Publikums zumindest in den vorderen Reihen dann durch Fiorillo (Fritz Steinbacher mit Geige als Rieu-Kopie) abgelenkt, der sich unter den Musikern im Orchestergraben die Mitwirkenden für das Ständchens im I. Akt aussuchte – an sich keine schlechte Idee! Nachdem diese gefunden waren, konnte man im zweiten Teil des Allegros der Ouvertüre sich an der sorgfältigen Phrasierung und dem brillanten Spiel des Orchesters unter GMD Fabrizio Ventura aus dem hochgefahrenen Graben heraus erfreuen.
Von Beginn an folgte in der Aufführung ungefähr ein Gag auf den anderen, was damit begann, daß für Figaros Auftrittscavatine ein ganzer Friseursalon samt Statisten als Personal auf die Bühne geschoben wurde, in dem auch einmal eine Trockenhaube explodierte und der vorher in den Zeitungen groß angekündigte aber überflüssige Auftritt des lebenden Hündchens stattfand.
Dr. Bartolo betrieb als Arzt eine Schönheitsklinik, deren einzelne Räume durch dauernden Einsatz der Drehbühne schnell wechselten. Der Hauptraum wurde beleuchtet durch Lampen ähnlich denen an der Decke des Theaters (Bühne Friedrich Eggert, der auch die komödienhaft schrillen Kostüme – Hauptfarbe pink – gestaltete). Die Maschine, in der den darin stehenden Patienten Fett abgesaugt werden konnte, bewirkte auch schon einmal das Gegenteil, dies wirkte nur beim ersten Mal erheiternd. Ebenso hätte genügt, in dem durch das Fenster sichtbaren kitschigen blauen Meer einmal ein Passagierschiff sinken zu lassen und nicht immer wieder! Gar nicht lustig, eher geschmacklos, war die Idee, Dr. Bartolo bei seiner langen Arie mit einem Hammer Narkosen verpassen, dann mit einer langen Säge Arme und Beine amputieren und wieder ansetzen zu lassen, wobei Rosina in den Abfallsack kotzen durfte. Lustig war dagegen, wie im II. Akt der doch nur durch Überredung erkrankte Basilio mit einem Defibrillator wiederbelebt wurde. Großartig war die genau auf die Musik abgestimmte Choreographie von Largo und Stretta des I. Finales mit den sich marionettenhaft bewegenden Sängern und Chor bei gleichzeitiger geisterhafter Beleuchtung.
Meisterhaft geriet auch die Gestaltung der Gewitterszene im II. Akt als Alptraum Rosinas bedrängt durch viele grausame Männer.
Musikalisch war gegenüber der Premiere ein Fachaustausch der beiden Sängerinnen erfolgt. Sang dort ein Sopran die Haushälterin Berta und ein Mezzo (wie von Rossini gewollt) die Rosina, so wurde jetzt Berta vom Mezzo der Suzanne McLeod gesungen und Henrike Jacob sang die für Sopran transponierte Rosina, und das mit perlenden Koloraturen, treffsicheren Spitzentönen und dabei in ihrer Auftrittscavatine als Gehilfin von Bartolo im Rhythmus der Musik auch noch jede Menge Spritzen (wohl Botox) verpassend.
Der Figaro von Juan Fernando Gutiérrez sang seine Auftrittscavatine als Faktotum der schönen Welt männlich elegant und mit dem passenden schnellen parlando, aber stimmlich etwas zurückhaltend, was später so nicht mehr der Fall war. Auch Youn-Seong Shim beeindruckte in der Cavatine des I. Aktes durch saubere Koloraturen, in der folgenden Canzone durch schöne lyrische Bögen (live begleitet auf der Gitarre von Figaro). Ein ganz köstlicher Einfall war , daß er als ostasiatischer Sänger wenn er im II. Akt als Musiklehrer verkleidet in Bartolos Haus eindringt, alle R als L sang, also nicht etwa „per mill’anni“ sondern „pel mill’anni“ Da dies auch in den deutschen Übertiteln so geändert wurde, konnte auch das gesamte Publikum daran seinen Spaß haben. Das galt auch für die Begleitung der koloraturreichen Arie der Rosina von der unnützen Vorsicht und der Ariette des Bartolo im II. Akt durch ihn am Keyboard, worauf er dann als ebenso falscher Student Lindoro seine angebetete Rosina auf dem Klo im ebenfalls pinkfarben gekachelten Badezimmer traf.
Für Plamen Hidjov kann man sich nur freuen, wie gut ihm die Partie des Dr. Bartolo gelang. Er verfügte über die nötige Stimmkraft für das Maestoso seiner langen Arie und brillierte im Parlando des Vivace. Auch im Spiel überzeugte er. Daß er geschminkt sein sollte wie Berlusconi erfuhr man allerdings vor allem aus dem Programmheft und einmal aus den Worten „Bunga Bunga“. Lukas Schmid sang mit mächtiger Gestalt und mächtigem Baß den Don Basilio, das „colpo di canone“ seiner grossen Arie über die Verleumdung hätte man sich vielleicht noch mächtiger gewünscht. Frank Göbel machte stimmlich und darstellerisch als Offizier „bella figura“ und sang, nachdem beim Vivace im Finale des I. Aktes alle durcheinander erzählen (hier auch sangen), mit „Ich hab verstanden“ die einzigen deutschen Worte.
Der Haushälterin Berta hatte man die einzige Arie gestrichen, so konnte Suzanne McLeod nur dadurch punkten, daß sie beim Finale komödiantisch spielend versuchte, sich alkoholisch angeheitert nacheinander an alle Männer heranzumachen – das aber vergeblich.
Chor und Extrachor der Herren sangen zuverlässig vorbereitet noch durch den früheren Chordirektor Kasten Sprenger und jetzt einstudiert durch seine Nachfolgerin Inna Batyuk.
Fabrizio Ventura hatte trotz des turbulenten Bühnengeschehens alles im Griff, auch in den insgesamt prächtig gelungenen Ensembles, und leitete besonders brillant das grosse I. Finale. Lob gebührt auch Elda Laro am Hammerklavier (nicht Cembalo gut so!) zur Begleitung der Rezitative.
Nach dieser spritzigen und witzigen Aufführung hätte man vom Publikum im nicht vollbesetzten Haus durchaus noch etwas längeren Beifall erwarten können, aber er war dafür besonders herzlich mit Bravo für die Rosina!
Der neue Intendant hat endlich dafür gesorgt, daß zu den Programmheften Besetzungszettel mit der jeweiligen Abendbesetzung gelegt wurden, zwei Intendanten vor ihm haben das nicht geschafft!
Sigi Brockmann – für das Duettino zu Beginn des II. Aktes Sigi Blockmann
Alle Bilder Jochen Quast Klavierhauptprobe am 29.08.2012