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MÜNCHEN/ Prinzregententheater: ADELASIA ED ALERAMO von Simon Mayr

23.02.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

München, Prinzregententheater: „ADELASIA ED ALERAMO“ von Simon Mayr – Premiere 22.02.2013 (Werner Häußner)

 Das Völkchen, bei dem Adelasia und Aleramo Zuflucht gefunden haben, liebt die Sauberkeit. In gemeinschaftlicher Arbeit sind die Reste einer durchzechten Nacht schnell in blauen Müllsäcken verschwunden. Dann kann der Alltag beginnen: Adelasia, die Kaisertochter, unterrichtet die Kinder über „Libertá“, Aleramo, der nicht standesgemäße Ehemann – historisch war er wohl „nur“ Mundschenk von Kaiser Otto II. – verteilt im grauen Hausmeisterkittel erst mal italienisches Bier an die Männer. Ein Knall beendet die Idylle: Der Kaiser trifft ein, macht Station auf einem Feldzug, und trifft seine einst verstoßene Tochter wieder. Das Unglück kann beginnen …

Die Bayerische Theaterakademie August Everding hat mit der szenischen Wiederaufführung von „Adelasia ed Aleramo“ im Münchner Prinzregententheater das Jubeljahr zu Ehren Simon Mayrs eröffnet: Der 250. Geburtstag dieses bedeutenden bayerisch-italienischen Komponisten, der lange nur als Randfigur der Musikgeschichte, nämlich als Lehrer Gaetano Donizettis, wahrgenommen wurde, wird in Bayern und in Mayrs wichtigstem italienischen Wirkungsort Bergamo gebührend gefeiert.

Wesentlich vorgearbeitet für das Jubiläum, das ungünstig mitten in den jubilierenden Wagner- und Verdi-Taumel fällt, haben die Simon-Mayr-Gesellschaft Ingolstadt und die Simon-Mayr-Forschungsstelle an der Katholischen Universität Eichstätt, die sich seit Jahren mit Erfolg um eine Revitalisierung von Mayrs Werk bemühen. Auch dank des konsequenten Engagements des Autokonzerns Audi als Sponsor gab es in den letzten Jahren in Ingolstadt wichtige Wiederaufführungen, die heuer von der Oper „Ginevra di Scozia“ gekrönt werden. Auch „Adelasia ed Aleramo“ wird im März als Gastspiel in Ingolstadt gezeigt. Nur die Bayerische Staatsoper führt ausgerechnet im Mayr-Jahr in bezeichnender Instinktlosigkeit ihre Inszenierung von Mayrs berühmtestem Werk, „Medea in Corinto“, nicht im Spielplan.

Für „Adelasia ed Aleramo“ hat die Theaterakademie – die das Werk in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater und der „Hofkapelle München“ auf die Bühne bringt – den Regisseur Tilman Knabe verpflichtet. Knabe liefert der Opernszene gestylte Produkte: Wer ihn verpflichtet, weiß, was er einkauft. Seine Themen sind Politik und Macht, Blut und Brutalität, er garantiert dafür, jede Oper keinesfalls so zu beenden, wie es das Libretto vorsieht.

So wundert es nicht, dass Simon Mayrs erstaunliche musikalische Brückenschläge von Salieri und Haydn zu Rossini und Meyerbeer eine Szene überspannen, die in Palästina oder Syrien der Jetztzeit angesiedelt sein könnte: Eine verkommene, krude Beton-Konstruktion mit kitschig zierlichen Metallgittern dominiert die Bühne von Wilfried Buchholz; die Menschen, die sie bevölkern, tragen billige Alltagsklamotten, etwas zu teure Anzüge und coole Sonnenbrillen, superrealistischen Tarnfleck: Gisa Kuhn hat sich alle Mühe gegeben, die Schurken und Opfer des 21. Jahrhunderts treffend einzukleiden.

In dieser armseligen Welt pflegt Knabe seinen hyperrealistischen Blick auf die eiskalte Brutalität unseres Jahrhunderts. Ottone kommt aus der High Society der Schwellenländer: Auftritt mit Bodyguards und Aktenordner, politisch mit Machtinstinkt, privat ohne emotionale Selbstkontrolle. Seine Frau Teofania: ein Luxusgeschöpf, stets begleitet von Hostessen. Sie weiß, wann sie das unterwürfige Weibchen spielen muss, aber auch, wann ihre Stunde gekommen ist, die eigene strategische Überlegenheit auszunutzen. Die Entourage der Herrschenden besteht aus Kampf-Vieh in Flecktarn, das hingetrieben wird, wo man es braucht, und zwei Intriganten – der eine, Rambaldo, handelt aus den niederen Motiven Ehrgeiz und Machtlust, der andere, Roberto, aus solidarischer Bruderliebe. Adelasia und Aleramo sind zwei Menschen, die wohl einfach nur ihre Ruhe haben wollen, um als Familie ungestört zu leben.

Ein Wunsch, der unter den gegebenen politisch-privaten Verhältnissen unerfüllbar bleibt: Aleramo wird misshandelt und gefoltert; das dritte Studienjahr „Maske“ der Hochschule liefert mit seinem blutig geschundenen Gesicht ein Meisterstück. Adelasia wird zurückgezwungen in die noble Couture ihrer Herkunft, die desto eleganter wird, je weiter die psychischen Pressionen fortschreiten. Im Finale gibt keine Versöhnung. Die besungene Wendung ist bei Knabe die Machtübernahme der Teofania, die schon in einer peinlichen Kopulationsszene ihre Dominanz über den nur im Libretto edlen Roberto demonstriert hat. Ihrem Mann Ottone lässt sie ungerührt die Kehle durchschneiden.

Knabe kann faszinierende Blicke auf das erbarmungslose Gefüge der Macht werfen, wie er es in seiner sensationell gelungenen Mainzer „Elektra“ bis zum Exzess durchgezogen hat. Nur: Bei Richard Strauss‘ ebenso exzessiver Musik bürgt dieser Ansatz bis zum Ende für die Faszination des Grauens. Bei Simon Mayr funktioniert das nicht, weil die Musik sich zu distanziert verhält. Und weil Knabe den Personen ihre Mehrdimensionalität raubt. Wenn die humanen Anwandlungen des Ottone nur als Show für die Kameras inszeniert sind, verliert der innere Konflikt seine Brisanz: Die Spannung zwischen dem gekränkten Patriarchen, seinem brüskierten Allmachtsanspruch, dem Funken der Vaterliebe und den sich regenden Familieninstinkten weicht zugunsten eines platten Pseudo-Psychogramms eines Gewaltneurotikers.

Bei Knabe gibt es keine positiven Kräfte und damit keine innere Spannung in den Figuren: Er macht sie in verbissener Konsequenz zu einschichtigen Psychopathen der Macht. Und das führt im Publikum nicht zu Betroffenheit, sondern zu Gekicher, nicht zu Einsicht in psychische Zustände und Konflikte, sondern zur Rezeption der Geschichte auf der Ebene eines Brutalo-Movies der Klasse B. Filme wie Black Hawk Down oder Zero Dark Thirty holen den Schrecken einfach unmittelbarer ein als Knabes Bühnenblut mit Mayrs Filmmusik.

Wobei diese Musik eine adäquatere Inszenierung verdient hätte, die ihre Impulse nicht auf eine fixe Idee reduziert. Denn Mayr versteht es, die Vorgaben der Wiener Klassik und die spätbarocke vokale Lust seiner Wahlheimat zu versöhnen und über ihre Ansätze hinauszuführen. Mayr findet nicht nur charakteristische musikalische Figuren, er baut nicht nur formsprengende komplexe Strukturen auf. Er behandelt das Orchester auch ungewöhnlich neu: selbständige Bläser, charakteristische Farben, spannende Chromatik.

Andreas Spering legt allerdings weniger die Novität von Mayrs Musik frei, sondern eher ihre Wurzeln, denn die „Hofkapelle München“ spielt sie, als hätte sie gerade zu viel Händel geprobt. Auch der belcantistische Aspekt kommt zu kurz: Legato-Linien sind klanglich nicht sonderlich erfüllt, bauen keine innere Spannung auf. Was Spering hervorlockt, sind die liebevoll ausgeformten Details der Instrumentation, sorgfältige Artikulation und die reizvollen Farben alter Instrumente. Das ist nicht wenig, aber noch nicht genug. Die Studierenden der Hochschule bereichern das Orchester und ergänzen es nicht nur: eine gelungene Kooperation.

Auch bei den Sängern sind die Eindrücke günstig: Knabe fordert sie als Darsteller kompromisslos, und das tut allen gut. Dass ein Sopran wie Jaewon Yun als Adelasia darüber nicht vergisst, ihre wohllautende Stimme schön zu runden und stets abgesichert zu stützen, spricht für die Bühnenreife dieser Sängerin. Günstige Prognosen darf man auch der energischen, sicheren Teofania von Anna-Maria Thoma stellen, die als Dame wie als Tier gleichermaßen überzeugt. Frauke Burg hat als geschundener Aleramo die komplexeste Bühnenaufgabe übernommen: Sie muss sich von einem eigentlich unbeschwerten Menschen zu einem körperlichen und psychischen Wrack an der Grenze des Todes wandeln. Burg meistert diese Herausforderung stimmlich glänzend und darstellerisch glaubwürdig.

Marios Sarantidis trägt beim Finsterling Rambaldo nicht zu dick auf, was der durch und durch negativen Intrigantenfigur bekommt; Bonko Karadjov gibt als Roberto den wackeren Soldaten, der in seine neue Rolle an der Seite der kaiserlichen Domina eher hineinschlittert. Bei dem Ottone von Keith B. Stonum, Gast aus Frankfurt, müssen allerdings erhebliche Vorbehalte geltend gemacht werden: So grandios er als Darsteller agiert, so schwer tut er sich als Sänger: Das Zentrum seines Tenors ist klangvoll gebildet, aber die Höhe technisch nicht bewältigt und daher dünn, zittrig und gefährlich ungestützt. Überzeugend auch kleine Rollen wie der Osmano von Jan Nash und die drei Soldaten, die Ottone genüsslich hinrichten lässt.

 Werner Häußner

 

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