MÜNSTER: Die Piraten von Penzance oder Der Sklave der Pflicht (Gilbert/Sullivan)
Premiere am 29. März 2013
Piraterie als Abenteuerurlaub
Foto: Oliver Berg
Operetten gefallen dann am meisten, wenn sie Zustände oder Verhaltensweisen karikieren, die dem Publikum aus echter oder vermeintlicher Realität bekannt sind, oder die hergebrachte Standesordnung vorübergehend hinterfragen.. Auf der anderen Seite des „Kanals“ in England erregten ganz andere Verhaltensweisen Heiterkeit als etwa in Wien. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb die in angelsächsischen Ländern so erfolgreichen Operetten von Sir Arthur Sullivan auf Texte von Sir William Schwenck Gilbert bei uns so selten aufgeführt werden, parodieren sie doch häufig Gefühle zwischen „Britannia rules the waves“ und „God save the Queen“, so auch in der „comic opera“ „Die Piraten von Penzance oder der Sklave der Pflicht“ deren Inszenierung des Gärtnerplatz-Theaters München durch Holger Seitz von 2009 nach dem Theater Hof am vergangenen Samstag in Münster Premiere hatte. Hier soll lächerlich-übertriebenes Pflichtbewusstsein karikiert werden. Als „Sklaven der Pflicht“ fühlen sich alle, die männliche Hauptperson Frederic, als er nach Abschluss der Lehre bei den Piraten am 21. Geburtstag sofort zur bürgerlichen Ordnung wechseln will, um seine Piraten-Lehrherren zu verfolgen, dann aber, weil in einem Schaltjahr geboren, pflichtgemäß zu den Piraten bis zum 21. Geburtstag in ungefähr 60 Jahren zurückkehrt. Pflichtbewusst sind sogar die Piraten selbst, die vor einer erwünschten Massentrauung – tatsächlich Trauung vorher! – mit den schönen Töchtern und Mündeln des Generalmajors Stanley zurückschrecken, weil dieser vorgibt, er selbst sei Waisenkind, an dem sich die Piraten nicht vergreifen dürfen, die Piraten letztendlich von einer Überwältigung der schon besiegten Polizisten absehen, als letztere den Namen der „Queen Victoria“ anrufen – very british eben, so auch die Erziehung der jungen Mädchen: Als das Liebespaar sich diskret zurückzieht, singen sie verlegen über – natürlich über`s Wetter, worüber denn sonst??
Die Bühne von Herbert Buckmiller und die Kostüme von Götz Lanzelot Fischer bedienten alle Klischees etwa aus Piratenfilmen. Bühnenhintergrund im I. Akt bildete das Piratenschiff „Iron Lady“ wohl weniger auf Margret Thatcher gemünzt als auf die weibliche Hautperson Mabel, die mit ihrer Liebe auf den ersten Blick zu Frederic gesellschaftliche Konventionen missachtet und die die lahmen Polizisten in Bobbyuniform zum Kampf gegen die Piraten antreibt. Die Kapellenruine im II. Akt war Caspar David Friedrich kitschig nachempfunden.
Die Regie zeigte fast nur ironisch übertriebene tragische Opernposen und nettes Tänzeln von Solisten und Chor zum Rhythmus der Musik (Choreographie neben dem Regisseur Fiona Copley)
Foto: Oliver Berg
In Gang gesetzt wird die Handlung durch einen Hörfehler von Frederics Kindermädchen Ruth, die ihn statt in eine Lehre als „pilot“ (Lotse) in eine solche als „pirate“ gibt. Dieses Wortspiel kann in der deutschen Übersetzung mit „private Lehre“ und „Piratenlehre“ nur unzureichend wiedergegeben werden. In der Rolle der Ruth brillierte wieder einmal Suzanne McLeod. Nach „Herodias“ und „Azucena“ meisterte sie die musikalischen Anforderungen ihrer Partie mit Leichtigkeit, sowohl in ihrem Auftrittslied – wie fast alle Gesangsnummern ein Strophenlied – als auch in den späteren Ensembles. Durch ihre Bühnenausstrahlung und ihr rollengemässes Spiel als ältere Verliebte wirkte ihr vergebliches Werben um Frederic komisch. Aus Liebe zu Frederic zu den Piraten gekommen, erregte sie als einzige des Abends dann aber sogar Mitleid, als wegen ihres Alters keiner sie haben wollte.
Die sängerisch anspruchsvolle Partie der Mabel sang ganz brilliant Henrike Jakob besonders in der „Air“ im Walzerrhythmus im I. Akt mit blitzenden Koloraturen bis zu hohen Spitzentönen und einem langen Triller zum Abschluß. Dabei spielte sie – manchmal gekonnt übertrieben – die schmachtende Geliebte und Willensstärke darstellende „iron lady“ Philippe Clark Hall als ihr geliebter Frederic sang höhensicher und textverständlich, für die Rolle des besonders in Liebesdingen unerfahrenen Jünglings hätte man sich vielleicht ein helleres Stimmtimbre gewünscht.
Den Piratenkönig sang und spielte Gregor Dalal mit sicherer mächtiger Piratenstimme, besonders in seinem Auftrittslied über die Freude seinem Beruf in königlichem (?) Kostüm. Etwas mehr Bassfülle hätte man manchmal Lukas Schmid als Sergeanten der Polizei gewünscht, allerdings vermochte er sich gegen Ende eindrucksvoll zu steigern. John Pickering glänzte mit hellem Tenor vor allem spielerisch in der Rolle des Generalmajors Stanley. Bei seinem mit schnellem Parlando zu singenden Song im I. Akt, wo er mitteilt, dass er von allem etwas weiß, nur nicht von den Aufgaben eines Generalmajors, war das Zusammenspiel mit dem Orchester verbesserungswürdig.. Stimmungsvoll gelang dann aber sein Song mit Chor im II. Akt über den Vergleich zwischen Kraft des Windes und der Liebe. Mehr stimmliche Prägnanz hätte man sich von Plamen Hidjov als Piraten-Solist Samuel gewünscht. Gut gelangen fast alle Ensembles, als Höhepunkt sei das Opernpathos aber auch echte Liebesgefühle darstellende Duett zwischen Mabel und Frederic im II. Akt genannt
Wie die Personenmehrheit „Piraten“ im Titel schon andeutet, spielt die eigentliche Hauptrolle der Chor, es gibt nur ganz wenige Musiknummern, wo der Chor nicht mitwirkt Hier sind es eigentlich drei Chöre, der Herrenchor der Piraten, der Damenchor der Töchter und Mündel des Generalmajors Stanley angeführt von den drei solistischen Tochterstimmen Eva Bauchmüller als Edith, Lisa Wedekind als Kate und Christina Holzinger als Isabel und im II. Akt dann der Herrenchor der Polizisten, häufig „taran-tata“ singend ähnlich wie die Soldaten in Offenbachs „Banditen“, mit denen das Stück überhaupt manche Gemeinsamkeit aufweist. Während im ersten Akt Piraten und Töchter weitgehend getrennt singen, kommt es zum Ende des II. Aktes zum gemeinsamen Gesang aller drei Chöre. Chor und Mitglieder des Extrachores in der Einstudierung von Inna Batyuk meisterten diese Aufgaben famos, was besonders für die schnellen teils zwitschernd gesungenen Partien der Damen gegen Ende des I. Aktes und beim „Kampf“ zwischen Piraten und Polizei im II. Akt galt – trotz dieser Schwierigkeiten immer in guten Kontakt zum Orchester.
Die Musik von Arthur Sullivan ist melodisch eingängig, trifft verschiedene Stile zwischen Marsch, Tanz, einfachem Lied und Opernparodie, und ist der Handlung folgend farbig instrumentiert. Dies alles brachte das Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Stefan Veselka deutlich zu Gehör, etwas mehr Tempo und schärfere Akzentuierung bringen sicher die nächsten Vorstellungen.
Wenn zum Schluss nach Anrufung des Namens von Queen Victoria durch die unterlegenen Polizei jeglicher Streit beendet wird, die Piraten, wie schon bei der Ouvertüre angedeutet, durch Ruth als gelangweilter Hochadel geoutet werden, sie deshalb auch die Töchter des Generalmajors heiraten dürfen, hinterfragte die Inszenierung doch diese allgemeine Glückseligkeit.. Das geschah dadurch , dass der im Bühnenhintergrund herabsinkende „Union Jack“ von daraufsitzenden Möwen ein wenig vollgesch… war.
Das Publikum im gut besuchten Haus zeigte jedenfalls seine Begeisterung durch Szenenapplaus und langen Schlussbeifall.
Trotz der wenig aufregenden Inszenierung ist der Besuch empfehlenswert, um überhaupt einmal die meisterliche Musik Sullivans in einer Bühnenaufführung zu erleben.
Sigi Brockmann 31. März 2014
PS: Auf YouTube gibt es den Mitschnitt einer Aufführung der „Pirates of Penzance“ aus der Wichita Grand Opera unter der musikalischen Leitung von Ekhart Wycik, des ehemaligen Dortmunder 1. Kapellmeisters