MÜNCHEN / Residenztheater: WAS IHR WOLLT von William Shakespeare
Premiere am 18. Januar 2014
Besucht wurde die zweite Vorstellung am 22. Januar
Wenn sich in Shakespeares Identitäts-Verwicklungs-Komödie „Was ihr wollt“ drei Stunden lang auf der Bühne alles um das Thema „Verliebt sein“ dreht, dann liegt es ja nicht fern, dass derlei Gefühle auch in den Zuschauerraum schwappen. Und in der Tat: Das Publikum des Münchner Residenztheaters schien sich an diesem Abend in die Neuinszenierung von Amélie Niermeyer verliebt zu haben. Das gaben die vielen Lacher, der Szenenapplaus und die begeisterten Bravorufe am Ende eindeutig zu verstehen.
In meinem persönlichen Fall könnte man sogar von „Liebe auf den ersten Blick“ sprechen. Denn gleich im Prolog fallen die beiden eigentlichen Protagonisten der Inszenierung ins Auge. Beim einen handelt es sich um das kongeniale Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau: Eine schwere, mit silbergrauen Stoffbahnen bespannte, die ganze Bühnenbreite einnehmende, Riesen-Walze. Bedrohlich rollt sie auf die Zuschauer zu, kommt erst kurz vor der Rampe zum Stillstand. Wie eine schicksalsgewaltige Woge spuckt sie Viola aus und wirft die Schiffbrüchige ans fremde Ufer. Später kriechen, springen, purzeln auch alle anderen Figuren aus den sich öffnenden und wieder verschließbaren Schlupf- und Gucklöchern im Stoff hervor. Ihrem wuchtigen Vor- und Zurückrollen entkommt niemand, sie ist Herrscherin über Zeit und Raum, lässt ihn mal winzig eng werden, mal weit und hallenartig. Und ist zugleich ein großartiges Spielelement für waghalsige Kletterpartien, Verfolgungsjagden, Lauschangriffe. Der zweite Protagonist und Grund zum Verlieben ist Ian Fisher, der Narr. Shakespeares Eröffnungssatz von der „Musik als der Liebe Nahrung“ hat Niermeyer beim Wort genommen und macht den Narren konsequent zum Musiker. Mit Gitarre und Gesang (lyrics by Shakespeare, zumeist aus den Sonetten) begleitet Fisher fortan das irre Bühnengeschehen – kommentiert, transzendiert die Gefühle, kreiert emotionale Räume. Und beobachtet teils mitleidsvoll, teils befremdet das merkwürdige Treiben der Liebestollen.
Die dürfen in diesem Stück alle möglichen Spielarten der Liebessehnsucht durchspielen, denn keinem von ihnen wird das Glück zuteil, auf Gegenliebe zu stoßen. Graf Orsino (Götz Schulte) etwa ist völlig fixiert auf die ihn verachtende Olivia, nimmt dies hier aber zugleich als Vorwand, besonders launisch und unbeherrscht agieren zu dürfen. Olivia (Barbara Melzl) wiederum hofft, durch Cesario alias Viola, aus ihrer ausgestellten Trauerpose erlöst zu werden. Ganz schlimm trifft es den Haushofmeister Malvolio: Er wird das Opfer einer bösen Intrige, weil er tatsächlich glaubt, an Olivias Seite zum künftigen Herr des Hauses aufsteigen zu können. All diese Geschichten erzählen davon, dass Liebe auch immer mit der Hoffnung auf Veränderung, Identitätswechsel einhergeht — sei es spielerisch, sei es mit bitterem Ernst und Ehrgeiz betrieben. Umso gefährlicher, je weiter man sich ohne Absicherung ins unsichere Terrain hinauswagt.
Damit aus diesen verwirrten Fäden aber ein echter Who-is-Who-Knäuel entsteht, setzt Shakespeare aber noch eins drauf. Denn erst mit ihrer Idee, sich als Mann maskiert am Hof Orsinos zu verdingen, bringt Viola den ganzen Schlamassel so richtig ins Rollen. Juliane Köhler spielt Viola-Cesario im gemusterten Arlecchino-Pullover wunderbar changierend zwischen abenteuerlustig und verzagt. Ihre Rolle als geschlechtsvertauschter Diener zweier Herren wächst ihr dann aber – wer sollte es ihr verdenken – bald über den Kopf. Um das Chaos perfekt zu machen, taucht zuletzt gar Violas eineiiger Zwillingsbruder Sebastian (Wolfram Rupperti) auf. Nun geraten wirklich alle ins Schlingern und Zweifeln. Wer ist der andre, wer ist man selbst?
Löst sich für die beiden Paare zuletzt alles in Wohlgefallen auf, so ist Malvolio am Ende bis auf die Knochen, oder vielmehr bis auf seine eingeschnürte Ganzkörper-Strumpfhose, blamiert. Markus Hering schafft es mit Bravour, die Verwandlung vom ergrauten, aber äußerst agilen Jüngling zum völlig überschnappenden Idioten und wieder zurück zu einem gefährlich existenziell Verwundeten plausibel zu machen. Er wird sich bitter an jenen rächen, die ihm dies angetan haben, daran besteht kein Zweifel. Entsprechend betreten schaut das Trio aus Dienerin Maria (Christiane Roßbach), Sir Toby Rülp (Norman Hacker) und Sir Bleichenwang (Shenja Lacher) am Ende in die Runde. Dabei hatte insbesondere Letzterer in seiner unglaublichen Treudoofheit zuverlässig für die vergnüglichsten Kalauer des Abends gesorgt.
Ganz homogen und bestens besetzt spielt das Ensemble diese Irrungen und Wirrungen mit einer wunderbaren Leichtigkeit, hält die Wage zwischen Drastik und feinem Witz, zwischen Psychologie und Puppentheater. Dazu steuert auch die pointierte Übersetzung von Angela Schanelec ein Gutteil bei.
Christine Mannhardt
Nächste Vorstellungen am 27. Januar sowie am 5., 13. und 24. Februar 2014.