MÜNCHEN/Residenztheater: TRILOGIE DER SOMMERFRISCHE von Carlo Goldoni
Premiere am 03. Juli 2014
Ensemble – Anfangsbild. Foto von Thomas Aurin
Italienisches „dolce far niente“ sieht anders aus: Den Urlaubern in Carlo Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“ bereiten die bevorstehenden Sommerwochen auf dem Landsitz nämlich nichts als puren Stress. Dies allerdings sehr zum Vergnügen der Zuschauer im Münchner Residenztheaters, die am Premierenabend in den Genuss einer ungemein temporeichen, knallbunten und saukomischen Inszenierung kamen – ein herrlich schräger Spaß, zu Recht mit stehenden Ovationen gefeiert.
Hinter einer mit farbigen Streifen beleuchteten Leinwand setzen sich die Akteure des Sommerabenteuers als imposante Schatten in Szene. Dann geht es hinaus in die Arena, in den offenen, leergefegten Bühnenraum – und gleich mal vor an die Rampe. Denn nicht nur in der Komödie selbst dreht sich alles darum, wer den anderen zu übertrumpfen vermag, auch die Schauspieler wetteifern vom ersten Augenblick an und unter Einsatz all ihrer virtuos-komödiantischen Talente um die Gunst des Publikums. Keine Muße für eine geordnete Informationsabgabe – der Textunkundige wird eine Weile brauchen, bis er den Figurenreigen für sich sortiert hat und erahnt, welche Konflikte der weiteren Verwicklung harren. Stattdessen mittenhinein in die Welt der Sonnenstudiogebräunten, der Luxusgetriebenen, der Eitlen und rokokohaft Aufgeplüschten mitsamt ihren Nöten und Sorgen: Trägt die Nachbarin womöglich das schickere Kleid? Hat der andere mehr auf dem Konto? Oder im Bett? Wer ist denn nun die bessre Heiratspartie? Und wer darf demnach mit wem in wessen Wagen in die Sommerfrische fahren? Bis diese weltbewegenden Probleme in einer Salve grotesker Minidramen geklärt, die Wagen mehrfach bestellt und wieder abbestellt wurden, ist der erste Teil der Trilogie auch schon vorbei. Nein, diese Figuren sind so schrill überzeichnet, man kann sie nicht ernst nehmen. Soll man ja auch gar nicht.
Dass die Inszenierung dennoch nicht ins rein Alberne oder Belanglose abgleitet, ist neben Goldonis zwischen Drastik und psychologischer Figurenzeichnung sicher ausgeloteten Dialogen (Übersetzung und Bearbeitung: Sabrina Zwach) vor allem der punktgenauen Regiearbeit Herbert Fritschs zu verdanken. Denn Psychologie und Handlung sind Fritsch erst einmal herzlich egal – umso mehr schafft er Räume für das, was ihn an diesem Stück Italien wirklich fasziniert: Die unmittelbar geäußerte große Emotion, die übertriebene Geste, den spontanen Affekt, wie sie klischeehaft unserem Bild der „Italianita“ entsprechen.
Sebastian Blomberg als Ferdinando. Foto: Thomas Aurin
Mit Verve schmeißt sich das Ensemble in eine Ästhetik aus Mafiosi-Gehabe, Laufsteg-Attitüde, abgerissenem Protz, Pizzabäcker-Italienisch und natürlich „Amore“ – spielt, karikiert und rührt zugleich an unsere Sehnsüchte. Da darf hemmungslos gekalauert werden („Ich kam in Dur und ging in Moll.Toll.“), da dürfen die Frauen endlich mal echte Zicken und die Männer waschechte Machos spielen. Und es ist gar nicht so wesentlich, ob es wirklich Liebe ist (oder nicht doch das Geld), die die Paare zusammenführt: Wenn sie im Chor oder Duett die wunderschönen Liebeslieder von Gino Paoli ins Mikrofon röhren, raunen und seufzen, dann begnügen wir uns gerne mit der puren Behauptung. „Senza Fina“ ist der Hit des Abends – es lebe der nicht enden wollende Moment.
Überhaupt die Musik: Sie durchdringt die ganze Inszenierung, was schon der Flügel als einziges Mobiliar auf der Bühne augenfällig macht. Carsten Meyer begleitet die Sänger, gliedert und unterstreicht aber auch das rhythmisierte Geschehen auf der Bühne. Denn ohne streng geführte Bewegungschoreographie würde Fritschs Feuerwerk aus Knall und Effekt bestimmt verpuffen. So aber entdeckt man schon in der typisierenden Zuweisung vogelähnlicher Gangarten, im Trippeln, Stolzieren oder geduckten Schreiten der Figuren eine Künstlichkeit im Stil der commedia dell’arte. Fritsch treibt sie weiter, lässt die Figuren im Takt hüpfen, tanzen oder fitnessartige Übungen vollführen, macht aus dem Liebesakt ein sportlich sich hochhechelndes Duett, aus dem Flirt mit der reichen Tante eine Comicnummer mit mickymousing-Effekten und stellt einzelne Figuren auch kurzzeitig wie leergelaufene Roboter in die Ecke. Für ruhigere Momente sorgt das Spiel der Schatten hinter der Leinwand. Dort darf man der Truppe zuschauen, wenn sie sich ihrer mentoskaubonbon-farbenen Kleider entledigen, um sich dann in nicht weniger quietschigen Badehöschen und -kostümchen wieder in voller Pracht dem Publikum zu präsentieren (Kostüme: Victoria Behr). Am Ende, wenn sie alle an ramponiert und ruiniert aus dem Urlaub zurückkommen, verwandeln sich ihre verbrannten Gesichter mit den sonnenbrillenverursachten weißen Augenringen unter den aufgelösten Frisuren endgültig in wahre Zombie-Fratzen.
Unter Fritschs Hand gelingt den Darstellern eine spielerische Glanzleistung, zusammengesetzt aus zahlreichen kleinen Perlen der großen Blödel- und Komödienkunst. Wer schon immer mal den Italiener etwa in Sebastian Blomberg, Gunther Eckes, in Markus Hering, Friederike Ott, Nora Buzalka, Sibylle Canonica oder Michele Cuciuffo entdecken wollte: nichts wie hin. Ein Muss für jeden, der es diesen Sommer nicht nach Italien schafft. Für alle anderen sowieso.
Christine Mannhardt
Nächste Aufführungen: 12., 17. und 18. Juli 2014