München: Opera Incognita: „Die Opernprobe“ und „Die Abreise“, 28.08.2020, Allerheiligen-Hofkirche München – symptomatische Opernaufführung
Ein kleines Stück Normalität ist zurück: ein gedämpftes, leises Murmeln erfüllt die Allerheiligen-Hofkirche. Die Plätze werden paarweise verkauft, sodass man sich mit der Nebenperson unterhalten kann, bis die Aufführung beginnt. Auch im Corona-Jahr stellt das freie Opernensemble Opera Incognita wieder eine Aufführung auf die Bühne. Nur einen Monat hatte die Truppe um Andreas Wiedermann (Regie) und Ernst Bartmann (musikalische Leitung) für die Einstudierung der beiden Einakter „Die Opernprobe“ von Albert Lortzing und „Die Abreise“ von Eugéne d’Albert.
Wiedermann wählt für die Verknüpfung der beiden Opern die altbewährte Methode des „Spiels im Spiel“. Das Publikum wird also Zeuge, wie die lustige Truppe um Lortzings Grafen die Oper „Die Abreise“ einstudiert – und zwar unter Corona-Bedingungen. Wichtigstes Requisit ist demzufolge auch ein Meterstab, oder vielmehr gleich vier davon, mit deren Hilfe der Abstand zwischen den Sängern immer eingehalten werden soll. Opera Incognita thematisiert so die tatsächliche Probensituation eines Opernensembles zu Corona-Zeiten. Solcher kleinen und auch größeren Seitenhiebe auf die rigide Zuschauerobergrenzen-Politik des bayerischen Ministerpräsidenten gibt es mehr. Sie sind klug verteilt in die Handlung eingebunden und nehmen mit Hilfe der Übertitel auch schon auch mal Lortzings Libretto auf’s Korn, beispielsweise beim „sinn- und keimfreien Rezitativ, gesponsort vom Klinikum Schwabing“.
Auf Annäherungskurs: Kammerzofe (Carolin Ritter) und Diener des Barons (Manuel Kundinger) in „Die Opernprobe“ © Opera Incognita, Aylin Kaip
Der opernverrückte Graf gehört der Risikogruppe an und Kammerzofe und Diener deuten an, wie man Sex haben kann, ohne sich zu berühren. Das alles wird locker und leicht mit enormer Spielfreude von den jungen Sängern dargeboten. Man befindet sich also kurz vor der Hauptprobe, als der Tenor mit „milden Symptomen“ ausfällt, er habe sich beim Spargelstechen infiziert. Wie gut, dass Baron Reinthal, der vor einer arrangierten Ehe flieht, eine ganz ordentliche Tenorstimme hat und sich als Sänger ausgibt, um sich der Tochter des Hauses nähern zu können. Thomas Paul übertreibt es fast mit den ausgestellten Spitzentönen seiner kraftvollen Stimme und den Gesten aus der Mottenkiste des Tenorgesangs, auch Pavarottis Taschentuch kommt zum Einsatz. Für die Opernprobe passt das noch, in der Abreise hätte ich mir doch ab und an einen etwas differenzierteren Gesangsstil und weniger darstellerisches Chargieren gewünscht. Dass er es kann, blitzte immer mal wieder durch.
Die Abreise, ein wenig bekanntes Werk von Eugene d’Albert, hat deutlich mehr Facetten zu bieten als die kalauernde Situationskomik der Opernprobe. Hier wird im Grunde über eine in die Jahre gekommenen Ehe verhandelt. Eine vernachlässigte Frau wird vom Freund des Mannes umgarnt, liebt aber ihren Mann immer noch. Das Werk ist fast 50 Jahre nach Lortzings Opernprobe entstanden und man hört ihm an, dass d’Albert ein Wagnerfan war. Sogar in der reduzierten Musikfassung – Klavier, Geige und Kontrabass – kommt der spätromantische Farbenreichtum der Musik zum Vorschein, vor allem in den langen Dialogen des Ehepaars. Ines Bergk als Ehefrau, in der Opernprobe ist sie die Tochter des Grafen, kann hier alle Facetten ihres farbenreichen Soprans zum Leuchten bringen. Als Ehemann zeigt Daniel Weiler viele nachdenkliche Zwischentöne, setzt sein schönes Material sehr differenziert ein.
Psychogramm einer Ehe: Der Ehemann (Daniel Weiler) und die Ehefrau (Ines Bergk) in „Die Abreise) © Opera Incognita, Aylin Kaip
Dass ein dramatischer Mezzosopran auch die Rolle einer Soubrette übernehmen kann, beweist Carolin Ritter. Sie, die den Adriano in Rienzi und die Amneris in Aida gleichermaßen überzeugend gesungen hat, hat sich genügend stimmliche Beweglichkeit für die kapellmeisternde Kammerzofe in der Opernprobe bewahrt. Manuel Kundinger als Diener Johann ist ihr ein ebenbürtiger Partner.
Julia Knapp an der Violine, Alexander Weiskopf am Kontrabass und Ernst Bartmann, der vom Klavier aus leitet, sorgen dafür, dass man das Orchester nicht vermisst. Das spielerische in Lortzings Partitur gelingt ihnen ebenso, wie die teils impressionistisch flirrende, teils rhythmisch polternde Musik d’Alberts.
Insgesamt ein überaus unterhaltsamer Abend. Und eine großartige Leistung aller Beteiligten. Es gibt noch Karten für die Folgevorstellungen. Hingehen dringend empfohlen!
Susanne Kittel-May
Meine Merker-Berichte über vergangene Aufführungen von Opera Incognita:
„Aida“ im ägyptischen Museum 2019, „Rienzi“ in der Ludwig-Maximilians-Universität 2016