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MÜNCHEN/ Opera Incognita in der Uni: RIENZI – Oper als Sozialexperiment

08.09.2016 | Oper

München: Opera Incognita: „Rienzi“, 07.09.2016 – Oper als Sozialexperiment

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 Das Ensemble beim Applaus, vorne die Solisten: Inger Torill Narvesen (Friedensbote), Torsten Petsch (Orsini), Anton Klotzer (Rienzi), Tanja Christine Kuhn (Irene), Caroline Ritter (Adriano), Martin Summer (Colonna)
Foto: Susanne Kittel-May

Eine außergewöhnliche Aufführung gibt es dieser Tage in München zu bestaunen: die sowohl für ungewöhnlichen Spielorte als auch selten gespielte Opern bekannte Truppe „Opera Incognita“ hat in die ehrwürdige Ludwig-Maximilians-Universität geladen, um dort, wo der Geist der Geschwister Scholl weht, ein Experiment zum Thema Demagogie und Volksverführung zu zeigen. Der Hörsaal B101 wird zum Opernspielort, die ersten sechs Reihen stellen die Bühne dar, auf den restlichen Bänken können sich die ca. 300 Zuschauer niederlassen, das Orchester ist auf einem Podium hinter den ansteigenden Hörerreihen positioniert. Stifte und Stimmzettel liegen bereit, denn auch das Publikum wird zum Bestandteil der Inszenierung, darf mitabstimmen über Leben oder Tod von Orsini und Colonna im 2. Akt und später muss es dann einen Test schreiben, mit dem der Radikalisierungsgrad festgestellt werden soll.

Zur Ouvertüre befinden wir uns in einer Vorlesung zum Thema „Demokratie oder Demagogie – schlägt Europas Herz rechts?“ Der Professor regt zur Diskussion an, die pantomimisch abläuft, die Übertitel zeigen, was gesagt wird. Und während die Ouvertüre mit den Motiven der Schlachtenhymne (“Santo Spirito cavaliere“) und des Triumphmarschs (“Ertönet laut, ihr Freudenlieder“) immer martialischer wird, kochen die Gemüter der Studenten hoch, bis der Professor ein Experiment vorschlägt: Sie sollen anhand der Episode des Rienzi aus dem 14 Jahrhundert ihre eigene Widerstandskraft gegen Demagogie testen. In dieser Rahmenhandlung, die immer wieder ironische Brechungen erlaubt, spielt sich nun die Handlung ab. Der Professor, Torsten Petsch, übernimmt selbst die Rolle des Orsini, fällt aber immer wieder in sein Professoren-Ich zurück und unterstützt die aus den „Studenten“ rekrutierten Solisten mit Partitur und Laptop. Rienzi ein frecher Student, Irene, seine Schwester in der Oper, ist im wahren Leben der Rahmenhandlung seine Freundin, Adriano, der unglücklich in Irene verliebte Sohn Orsinis, ist in diesem Umfeld eine lesbische Studentin, sodass sowohl die inzestuösen Anklänge zwischen Rienzi und Irene als auch die Hosenrolle Adriano eine neue Deutung erfahren.

Anton Klotzer singt die als schwer verschriene Rolle des Rienzi mit robustem, schön timbriertem, höhensicherem Tenor, neigt allerdings zu Neudichtungen des Textes, sodass die sowieso schon verschwurbelten Verse Wagners teilweise völlig absurd werden. Als seine Schwester Irene steht ihm Tanja Christine Kuhn zur Seite: ebenfalls eine große, warme Stimme. Den größten Beifall erhält aber zu Recht Carolin Ritter als Adriano. Ihre große Arie (nr.9) entlässt das bewegte Publikum mit den Worten „Versöhnung sei mein heilig Amt!“ in die Pause und auch der Abschied vom toten Vater gelingt ihr sehr anrührend. Auch die beiden tiefen Männerstimmen, der schon genannte Torsten Petsch als Orsini und Martin Summer  haben schöne, warme Stimmen, die auch zum Ende der gut dreistündigen Aufführung keine Ermüdungserscheinungen zeigen.
Die kleineren Rollen werden chorisch ausgeführt, was allerdings in der Chorszene im 3. Akt zu einigen Wacklern führt. Kein Wunder, die einzelnen Chorgruppen müssen hier zwischen den Bänken hin- und herlaufen, um das aufgewühlte Volk darzustellen, da können sie nicht immer auf den Dirigenten schauen. Bei einer Oper die gefühlt zu 50 Prozent aus Chorszenen besteht, fällt das aber nicht wirklich ins Gewicht. Der aus 35 Sängern bestehende Chor liefert eine nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch beeindruckende Leistung. Zur Schlachtenhymne reiten sie auf den Bänken, nach der Schlacht ziehen die Frauen den verletzten Überlebenden die Hemden aus, diese posieren daraufhin in Posen á la Arno Breker. Eine wenigen Anspielungen auf „Hitlers Lieblingsoper“.

Ernst Bartmann, der zusammen mit dem Regisseur Andreas Wiedermann die Opera Incognita gegründet hat, hat den Rienzi für ein 13-köpfiges Orchester eingerichtet, in dem doch jedes Instrument vertreten war. Er hat außerdem die ausufernde Partitur klug zusammengestrichen, sodass aus Wagners längstem Werk gute zweieinhalb Stunden Musik übrigblieben.

Außergewöhnlich war es für das Publikum, quasi mitten im Klanggeschehen zu sitzen: Die Sänger von vorne und von der Seite, das Orchester von hinten, da konnten einem schon mal die Ohren klingeln. Zumal die Sänger alle auch einen wesentlich größeren Raum hätten beschallen können. Und viele leise Stellen hat Wagner in dieser Oper wohl auch nicht gefordert, er soll gesagt haben, der „Rienzi“ sei nichts weiter als sein „Schreihals“.

Das tat dem Vergnügen des Publikums jedenfalls keinen Abbruch: tosender Applaus am Ende für diese gelungene Umsetzung einer „Grand Opéra“ in ein kammermusikalisches Format.

Susanne Kittel-May

 

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