Tim Theo Tinn Einlassungen: Hoffmanns Erzählungen, Gärtnerplatztheater, Premiere 27.01.2022
Musik Jacques Offenbach, Libretto Jules Barbier nach Jules Barbier u. Michel Carré
Münchner Fassung nach der quellenkritischen Neuausgabe von Fritz Oeser, Deutsch von Gerhard Schwalbe
Nebulös prätentiös, limitiert emotional für Kopfarbeiter
Intellekt statt Gemüt? Bilder dreier Ausstellungen!
© Marie-Laure Briane
Auch so eine grundsätzliche Frage: sollen Musiktheaterinszenierungen Bildungsbeflissenheit unterstützen oder aus optisch akustischen Impressionen, Phantasmen möglicher enthusiastischer Emotionen anstreben, in z. B. werkimmanenten Parallelwelten über der Realität (surreal) oder phantastischem Realismus? Verballhornender Regie-Theater-Trash ist Minderheiten-Programm, für Viele uninteressant.
Nach der außerordentlichen Tosca 2019 (s. Tosca – großartig, beeindruckend, klischeefrei https://onlinemerker.com/muenchen-gaertnerplatztheater-tosca-neuinszenierung/ ) vom Regisseur Stefano Poda wird man nun artifiziell (exaltiert, aufgesetzt, eher künstlich als künstlerisch) bedient. Qualifiziert bleibt das Ergebnis ganz gut, aber …
Optisch pittoreske Effekte überlagern „bewegende“, handlungstransportierende Affekte dramaturgisch aufgearbeiteter Menschenbilder (s. auch Eisenstein „Theater der Affekte und Assoziationen“). Mental wird eher im Intellekt als in Emotionen, unserem Seelenleben gezündet. Allerdings wird dadurch dann ablenkende, beschwerende Verständnissuche gefordert.
Inhalt – Gärtnerplatztheater
Schon seit langem ist der Dichter Hoffmann auf der Suche nach der wahren Liebe. In der Primadonna Stella glaubt er sie endlich gefunden zu haben. Doch die kapriziöse Dame ist kein Kind von Traurigkeit. Während sie sich also in der Oper feiern lässt, ertränkt Hoffmann seinen Kummer in Alkohol. Je mehr die Becher kreisen, desto mehr steigert er sich in die Erinnerungen an seine letzten drei Liebesabenteuer hinein, und er erzählt uns die Geschichten von der Puppe Olympia, der Sängerin Antonia und der Kurtisane Giulietta …
Texte der Volksoper Wien ergänzen noch am ehesten ….
https://www.volksoper.at/volksoper_wien/repertoire/Hoffmanns_Erzaehlungen_Inhaltsangabe.de.php
Es finden sich Ausstattungsvarianten, die Deutungsdichte beanspruchen aber eher eindimensional „nüchtern“ Optisches liefern, das befragt werden muss, letztlich nur kognitive Verzerrung bieten, keine strukturierte Dramaturgie. Im Gegensatz zum Regietheater finden assoziative Anküpfungen an tatsächliche Handlung statt.
Prosperierende Deutungsintensivierung , „Wurzeltreiben neuer Blüten“, ausbalancierte finessereiche extreme Dichte, neue Kraft, Substanz und Potential fanden nicht statt (ich zitiere mich).
Unsere Welt: eigentlich haben wir die Nase voll, alles könnte besser sein. Gab es je Besseres incl. Umgang mit der Pandemie (bei allem unsäglich Unbekannten)? Dabei ist heute morgen schon gestern. Gewiss haben auch Theater, unsere Musentempel, über die großrahmigen Zeitenwenden nachhaltigere Qualität entwickelt. Es stelle sich nur die heutige Synthese aus Bauern – und höfischem Theater (s. z. B. Mozart, Schikaneder: Zauberflöte) dem Vergleich ihrer holprigen Ursprünge (s. auch Reformen Gluck, Gottsched-Lessing, Mannheimer Schule, usw.).
Einlassungen wie diese sind Luxusgeplänkel, da gegenwärtiges Theater nur noch Minderheiten anzieht (Regietheater = Minderheiten der Minderheiten!) In Deutschland. (rd. 1 % der Weltbevölkerung) sind es statistisch 2,78 Millionen also nur ca. 3,5 % (2019, derzeit rückläufig), s. TTT – Theater-Relevanz von fast 7,9 Milliarden, 11/2021 https://onlinemerker.com/tim-theo-tinn-kommentar-zur-theater-relevanz-von-fast-79-milliarden-menschen-auf-der-erde/
Damit wird auch behauptete „Systemrelevanz“ beantwortet. Das sollte nicht dazu verleiten sinngebende Stachel in maroder Gesellschaft, psychosozialen Menschenbildern weiterhin zu vernachlässigen. Nötige maximierende Akzeptanz adäquaten szenischen Tuns findet sich in den alten Theatertugenden der Konzentration auf psychosoziale Menschenbilder. Derzeit erlebt man nicht nur im Regietheater häufig szenisches Gerumpel. Das Thema findet sich dann in den TTT-Fragen nach geeigneten Leitungsstrukturen wieder.
Warum sehen/hören bei Aufführungen Alle das Gleiche, erleben aber nicht Dasselbe? Was sind Wirkmächte einer Musiktheaterinszenieurung? Welche Kräfte erweckt eine Synthese aus instrumentalisierten Noten zur Musik und Buchstaben zu damatischer Textur? Warum sollten divergente Erlebniswelten Extrakte bieten, die nur bei Manchen Lebensnerven berühren?
Es hängt vom Potenzial des Einfühlungs-/Empfindungsvermögens der Individuen ab und ist ungleich verteilt. Je stärker kongnitive, rationale Aufnahme durch dringt, desto mehr wird Rationales über andere Wirkmächte (wesentlich wäre dazu Einfühlung) gestellt. Es gibt Menschen, die über solche Einfühlung nicht verfügen (durch Sozialisation bis ca. zum 6. Lebensjahr zu erwerben, nicht angeboren, somit unterbewußt, nicht unbewußt). (s. „So lernt das Kind Empathie“ https://www.familie.de/kleinkind/so-lernt-das-kind-empathie/ )
Exkurs: Das ist übrigens auch Problematik in vielfälltig Gesellschaftlichem und findet offensichtlich in internationaler Politik ein Sammelbecken. Das Erbe der letzten BRD–Kanzlerin (Physikerin, strukturiert funktional) wird noch deutliche Blessuren offenlegen. Ketzerisch: 2 Chaffeure, 2 Büroleiter, 9 Stellen, Gehälter bis 10.000 Euro für ihr Alt-Kanzlerin-Büro bis zum Lebensende vom Steuerzahler. Die Intellekt-Minderbegabte Ursula von der Leyen (Präsidentin EU-Kommission, monatl. 34.000 €) (nutzt Imageberater von Schlagersängern,monatl. 20.000 €) geht auch auf dieses Erbe zurück und macht gerade mit dem „Gesundbeten“ der Atomenergie Furore!
Zurück zu Musen: man sucht überwiegend durch Intellekt, Gedankenzeug Zugang, während potenziertes Einfühlungsvermögen, also emphatischen Empfinden, übergeordnetes Wohlgefühl, Begeisterung, Seelentiefe determinieren kann. „Hoffmanns“ vermag „Schweben im bitteren Sehnen, Melancholie überschreitende Grenzen zu Traum, Trauma bis zum Phantasma schwermütiger Sinnlichkeit und Glut – im Rausch von Klang und Bild“ als werkimmanenten Emotionsrahmen, der psychosoziale Folgerungen intendiert, auslösen.
Aber: Focus der Einen liegt im Fühlen, Empfinden, die Anderen überlegen, sind funktional orientiert.
Daher können auch Diskussionen auf Grundlagen „kognitiven rationalen Verständnises“ versus „Begeisterung diverser Sinne“ nie zielführend werden.
Den Wenigsten sind die unterschiedlichen, besonders die eigenen sensitiven Empfindungsvermögen bewußt. Aus der unterbewußten mentalen Würdigung gem. psychosozialer Ausstattung folgert Jeder individuelle Schwerpunkte im Erleben z. B. einer Musiktheateraufführung.
- m. E. fördert die Inszenierung die kognitiv strukturiert intellekt–orientierte Aufnahme, das Schwelgen in assoziativem Empfinden gelingt nur bedingt, da man ständig Orientierung im Optischen sucht.
Der „Gärtnerplatz-Hoffmann“ bietet Einstieg in diese Themen, durch unterschiedlichen Ansätze in Tosca und Hoffmann eines Regisseurs. Entschieden hat man sich zu 3 Bildern von Ausstellungen mit beherrschenden Glasvitrinen und Anfang/Ende im Keller s. Foto oben.
Ausstellungen sind „öffentliche Präsentation, bei der Ausstellungsobjekte (Exponate)“ gezeigt werden, Wissen vermitteln, i. d. R. ohne künstlerische Ambitionen wie ggf. in Museen. Also Funktionales zeigen – Inhalte den handfesten Verstand.
Ob das nun doch Kunst in historischen Reflektionen in Museen oder zukunftsweisende Ausstellungen im Poda-Hoffman sein sollen? Klischeegerecht wabberen durch alle Bilder massive Nebelschwaden als unheilvolles Traumata– Derivat oder nebulöse Unklarheiten, unentschieden Undurchsichtiges? Allegorien (bildliche Darstellung eines abstrakten Begriffs) sind es auch nicht. Auflösung bleibt auch als Methaper im Dunst nebulös.
Zweites Bild (Olympia) eingerichtet als Androiden- (menschenähnliche Roboter) Ausstellung mit 8 multiplen Persönlichkeiten der Olympia, oder?
Vom Schein und Sein, 8 Ebenbilder oder Doubles als Maschinen-Imitat, Automaten © Marie-Laure Briane
Da stehen 8 auf Humanoiden getrimmte Puppen mit Minimalbewegungen/-Zuckungen in Schaukästen in roten Stricken unvollständig gekleidet bzw. gefesselt. Technische Ausstellung oder Peep-Show mit erotischen Fesselungen? Hoffmann fällt darauf rein, will amorös werden, tanzt mit einer, stürzt, nur eine Puppe wird zerstört. Bedeutung? Aussichtlosigkeit der Sexpuppen im Erotikgewerbe, Unbedarftheit der Apparate-Onanie, Unverwüstlichkeit der Prostitution, wenn nur eine von acht dran glauben muss oder „ Hoffmann, lass die perversen Fesselspiele (Bondage)? Aber warum?
Drittes („Antonia“) Bild assoziiert Besuch im Zombie–Mausoleum toter Musiktheater – Primadonnen
Entseelte, ehemals bedeutende feminine Jahrhundertstimmen in Zombieanmutung © Marie-Laure Briane
Angesichts der weiblichen, verblichenen Jahrhundertstimmen in Schaukästen, die immer noch minimalistisch in dämoischer Optik als Untote agieren, (Mödl, Tebaldi, Callas, Sutherland , Caballé, Gruberová , Schwarzkopf, u.a.) wird Antonia zum todbringenden Singen verleitet. Wird so
Todessehnsucht durch Virtuosität, todbringende Dämonen dieser Kunst, Aussichtslosigkeit im Bestreben zu Vollkommenheit im Gesang angesichts der todbringend übermannenden Heroinen klassischen Gesangs ausgedrückt? Oder simpel: Mädel wir zucken noch, wir sind nicht unterzukriegen. Lass das Singen sein, sonst holen wir dich! Wird so die unerreichbare Unvergänglichkeit klassischen vollkommenen Gesangs beschworen? Aber warum?
Viertes (Guilietta) Bild ist futuristisch angelegt:
Mord, Kurtisanen, Diebstahl von Schatten und Spiegelbild, Prozession, © Marie-Laure Briane
Auch hier gem. 2. Bild multiplie Persönlichkeiten, hier der Giulietta? Im Edelpuff kreisen Glaskästen vor Netz-Bekleideten mit aufgebrezelten grotesken Motorradhelmen (Spiegelscherben und Edelsteine als Reminiszens an die in diesem Bild fehlende Spiegelarie? „ Leuchte heller Spiegel mir …, oder „ Funkelnder Diamant …“ )
Das ist der Akt mit den Kriminellen: Dapertutto, Guilietta, Hoffmann als Mörder! Könnte das als Sinnbild futurristischer Unterwelt, Beschwörung des Fatal-Bösen in fernen Zeiten gelten? Aber warum?
Hier nochmals erste Eindrücke nach der Premiere:
Nachhaltiges nach der Premiere
Entrückte Menschenbilder, finstere Melancholie – traumhaft traumatisch!
Allfällige Allgewalt Aller in Allem! Schweben im bitteren Sehnen, Melancholie überschreitende Grenzen zu Traum, Trauma bis zum Phantasma schwermütiger Sinnlichkeit und Glut – im Rausch von Klang und Bild (werkimmanenter Emotionsrahmen, der psychosoziale Folgerungen intendiert, in denen man Hoffmanns Erzählungen inszenieren müsste/sollte, nach TTT)!
Die außerordentliche Tosca – Inszenierung des Regisseurs Stefano Poda (11/2019) verführte zu diesen Wortmalereien.
Es war Musiktheater „mostly correct and properly“ ohne lästige Regietheater – Aufbrezelung, ordentlich bis gute Szene und musikalischer Rahmen, gute bis ausgezeichnet und darüber hinaus Singende, Olymia leider ungünstig besetzt. Nur die Hoffnungen ….
Musik war distinguiert und „understatement“. Glut zum Sturm und Drang …? Szene mehr arrangiert als inszeniert. Vieles bleibt unverständlich – da tanzen laufend durch alle Bilder Glaskästen (s. Szenenbild) mit wechselndem Personenbesatz rundumadum auf der Drehbühne im auf und ab der Podien, wie auf dem Jahrmarkt.
Bühne wirkt nahezu durchgehend klinisch antiseptisch, bedrückend, nicht berauschend, erreicht Zombie-Nähe durch Tote in den Glaskästen, die immer mal agieren.
Einzige tatsächliche Enttäuschung bleibt die Arie der Olympia. Auch wenn durch fragmentarische Hinterlassenschaft (Offenbach starb während der Komposition) Varianten zulässig sind, kennt man die Arie nur als Kabinettstückchen in exponiertester Lage im höchsten Register für singuläre Koloratursoprane. Die gab es wohl nicht. Da hat man die Musik in eine gefällige Mittelage transponiert, einen eher lyrisch determinierten Sopran eingespannt. Und dann hat sie in der Arie gequietscht, als das oberste Register unerreichbar blieb. Solche Besetzung ist unfair.
Ungünstig erscheint auch die „Spielgelarie“ des Dapertutto aus dem Guilietta Bild, die hier ins Olympia Bild rutscht, vom Coppelius gesungen. Es gibt weder Spiegel noch Diamant, gesungen wird: „ Ganz neu siehtst du die Welt, trallala …“. Überkommene griffige Dramaturgie wird kastriert („Leuchte heller Spiegel mir und blende ihn mit deinem Schein, dass sein Herz gehöre dir und sein Leben mir allein“, original „Scintille, diamant, …“ ).
Übrig bleibt ein repertoiretauglicher Musiktheater-Abend, der leider keinen repräsentativen Referenzcharakter hat.
Tim Theo Tinn, 5. Febr. 2022
TTT ‘s Musiktheaterverständnis will keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände von Ort, Zeit und Handlung. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind. Menschenbilder müssen im psychsozialen Sein belassen werden. Musikalisch determinierte Charaktere sind irreversibel. Neues soll geschaffen werden, aber expliziert Neues in allen Dimensionen, visuell, auditiv, dramatisch. Regietheater entstellt, wenn damit Genial-Auditives und Worte der Bedeutungen enthoben, unstimmig werden, ist damit nicht neu sondern falsch. Irriges Ideengeplänkel eliminiert Gesamtkunstwerke.
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.