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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: TOSCA. Neuinszenierung

Tosca – großartig, beeindruckend, klischeefrei - beglückende Faszination

17.11.2019 | Oper

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: Tosca am 16. Nov. 2019 von Giacomo Puccini

Tosca – großartig, beeindruckend, klischeefrei – beglückende Faszination

Einlassungen von Tim Theo Tinn


Ausschnitt 3. Bild. Foto: Christian POGO Zach

Der Gradmesser für den persönlichen Eindruck des Rezensenten nach einer Aufführung ist das Gefühl danach. Selten erlebt man tiefe wohlige Gefühle als Reaktion auf feine Berührungen, hier im übertragenen Sinn.

Dieses wohlige Gefühl stellte sich nach dem Te Deum, Ende 1. Akt ein und blieb.

  1. Trailer Tosca Gärtnerplatz

https://www.youtube.com/watch?v=Bb7UP6uNypI

Akustisch nah am Original, da nur noch besser.

Inhalt, Einführung, Sonstiges

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/tosca.html

Tausende Vorstellungen in ca. 40 Jahren ließen diese Gnade nur selten zu.

Meine Tosca – Vergangenheit bewegt sich zwischen Spielleitungen der Götz Friedrich -Inszenierung mit z. B. Behrends, Domingo, Cappuccilli etc. und Rezension der letztjährigen Salzburger Osterfestspiel – Tosca, die jetzt wiederbelebt werden soll.

https://klassik-begeistert.de/giacomo-puccini-tosca-salzburger-osterfestspiele/

Ketzerisches:

Salzburgs Anspruch ist behaupteter Kulturgenuss auf höchstem Niveau, „das Höchste nach Max Reinhardt.

Szenisch ist die hier rezensierte Tosca erheblich tiefenwirksamer, Dirigat und Orchester sind durchaus gleichwertig, die Protagonisten bewegen sich auf hohem Niveau, Utilité’s (Nebenpartien) sind deutlich besser.

Die Gärtnerplatz Tosca ist aus einem Guss, Szene und Musik durchdringen einander atmosphärisch.

Wenn in den Hierarchien also das höchste Niveau durch Salzburg schon besetzt ist, wo steht dann die Gärtnerplatz Tosca, die in Summe publikumswirksamer, tiefgründiger, anspruchsvoller und richtiger ist?

Ketzerei zu Ende!

Richtig klingt zunächst trivial, bedeutet aber gültig, wahr, wirklich, fehlerlos, naturgemäß u.a. Damit ist eine klare Abgrenzung zu Inszenierungen im szenischen Absurdistan gegeben, die derzeit ja noch von vielen unheilvollen Allianzen beschworen werden. Siehe bald TTT Catbelling Nr. 4 und z. B.

https://onlinemerker.com/tim-theos-stachel-gebell-lieber-nicht/

und gilt vollumfänglich auch musikalisch.

Dem Rezensenten, durch laue Kritiken beeinflusst, öffnete sich Düsteres – Bühne, Menschen – alles schwarz – aber doch genial ausgeleuchtet, nichts wurde vom Dunkel verschluckt – das kann Stefano Poda also (Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht in Personalunion).

Das erweicht meine negative Meinung zu Schwarzem, also Phantasma in schwarz gefällt.

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1. Bild TE Deum – Oksana Sekerina (Floria Tosca), Holger Ohlmann (Sciarrone), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: Christian POGO Zach

Szenischer abstrahierter Surrealismus gefällt auch besonders, beinhaltet alle nötige Verortung in optischen Zitaten und bleibt beim Libretto, es wurde eine optische Theatersprache gefunden, die singulär nur hier möglich sein kann.

Stefano Poda erscheint als Rätsel, mir bisher unbekannt, findet man auch im Netz keinerlei Info zu Ausbildung, Kernkompetenz usw. Somit versuche ich Kompetenzen im Ergebnis abzuleiten. N. m. E. kommt es aus der bildenden Kunst, hier finden die Angelpunkte seiner Inszenierung statt, die ich als sehr gute Einbindung in die darstellende Kunst betrachte. Personenführung im 1. Akt war unentschieden: mehr Bewegungskonzept, statt inszenierter Durchdringung der Charaktere mit viel Bodenakrobatik, manches wirkte anfangs nach “Zeigefinger – Dramaturgie“, das steigerte sich aber von Szene zu Szene – es wurde spannend.

Der ständige Einsatz der Drehbühne irritierte auch, erschien aber immer schlüssiger.

Ein handwerklicher Fehler blieb. Artem Golubev als Cavaradossi ist relative kurz gewachsen, Oksana Sekerina  (Tosca) groß. Warum trägt der Cavaradossi dann flache Schuhe und die Tosca „High Heels“. Da steht dann ein kleiner Mann bei einer großen Frau – wirkt ungünstig.

Nach dem Ende 1. Akt (Te Deum) war ich jenseits weiterer kritischer Blicke, es wurde auch immer besser.


2. Bild , Noel Bouley (Baron Scarpia), Juan Carlos Falcón (Spoletta), Artem Golubev (Mario Cavaradossi), Oksana Sekerina (Floria Tosca)

Die beängstigende Szene mit der Gewalt gegen Tosca und deren Mord an Scarpia, vom gepeinigten Cavaradossi im Keller unter dem Machtzentrum des Scarpias wird erdrückend vorgeführt. Meistens wird Cavaradossi unsichtbar im Nebenraum gequält und bleibt nur akustisch wahrnehmbar.                                                                      


3. Bild – Martin Hausberg (Gefängniswärter), Artem Golubev (Mario Cavaradossi)

Musikalische Leitung Anthony Bramall und Orchester: ein TVK- A Orchester in schon beschriebener Qualität begeistert. Da fließt Puccini mit allen sinfonischen Aufschwüngen, dramatischen Verdichtungen, leitmotivischen Charakteristiken – und wird mit äußerstem Feingefühl, mit Kompetenz und Umsicht ganz selbstverständlich in einer Qualität geboten, die einem sehr hohen Anspruch, auch meinem hohen Schallplatten-Anspruch genügt (ca. 12 verschiedene Tosca -Aufnahmen). Sorgsames Dirigat beweist sich in Dezibel, Dynamik und Feinzeichnung in der Synthese mit Szene und Sängern – und das war besonders richtig und gut.

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Floria Tosca – Oksana Sekerina: eine sehr schön durchgeformte Stimme, die mehr zur Dramatik tendiert, so bleiben lyrische Momente in der Partie zurückgenommen. Diese Stimme perlt mit aller Klangfülle schwerelos durch alle Register. Allerdings bleibt der Eindruck, dass der Aufschwung ins oberste Register zu exponierten Spitzentönen dann schon immer als Turandot – Empfehlung betrieben wird (Pianokultur?). Meine Erinnerung führt dann zu Gena Dimitrowa, mit der ich mit Ponnelle zusammenarbeitete. Eine attraktive Bühnenerscheinung und gute Darstellerin.

Mario Cavaradossi – Artem Golubev: Body-Building gestählt, erinnert auch sein Gesang an dieses Körpertraining. Er singt ausgezeichnet, völlig ausgeformte Stimme im mühelosen Fluss durch alle Register, es perlt und ist schön timbriert. Aber auch hier verändert sich was, beim Übergang ins oberste Forte-Register. Nach meinem Eindruck verengt sich die horizontale Stimmführung in der nasalen Maske und damit verliert die Stimme an Volumen, wird leiser und etwas flach.  

 Baron Scarpia  – Noel Bouley: die ungewohnte Stimme irritierte zunächst, dann fand ich ihn großartig, nachdem er alle Register vorgeführt und gezogen hatte. Seine Stimme scheint nicht nur auf die vorderen Kopf-Resonanzräume trainiert, sondern auch über den Rachen gesteuert zu werden, wirkt somit guttural, wie oft bei osteuropäischer Technik zu finden ist. Mein erster und völlig ungerechter Eindruck war: frisst der seine Stimme? Nein, er beherrscht diese Stimme phänomenal. Völlig neu erlebte ich einen Bariton, der auch in hohen Lagen eine regelrechte Bass-Schwärze beherrscht. Somit war das Abgründige seines Scarpias noch weit dämonischer als ich je gehört hatte. Dieser Stimmfarbe korrespondierte hervorragend mit seiner Darstellung.

 Cesare Angelotti  – Timos Sirlantzis: der junge Bariton ist eines der großen Gärtnerplatz – Talente. Diesmal konnte er mich nicht in Gänze begeistern. Irgendetwas hat gefehlt. War es die Partie, die Lage oder einfach ein Entwicklungsstadium in einer kleinen Partie. Toi, Toi, Toi,, dass mein Eindruck nicht trifft.

 Der Mesner – Christoph Seidl:  der Bass gefällt immer mehr. Fundament, Kern, Durchlässigkeit einer schönen Stimme lässt für den jungen Mann eine große Karriere erwarten.

Alles weiteren Protagonisten, Chor, Kinderchor waren richtig (im weiten Sinn) und wohlfühlgut.

Der Rezensent empfiehlt eine „Wohlfühl-Tosca“ mit Gänsehaut und „kaltem Schauer- Erleben“!

Alle Fotos © Christian POGO Zach

Dirigat Anthony Bramall

Regie Stefano Poda

Bühne und Kostüme Stefano Poda

Licht Stefano Poda

Mitarbeit Regie Paolo Giani Cei

Choreinstudierung Pietro Numico

Dramaturgie Michael Alexander Rinz

 

Floria Tosca Oksana Sekerina

Mario Cavaradossi Artem Golubev

Baron Scarpia Noel Bouley

Cesare Angelotti Timos Sirlantzis

Der Mesner Christoph Seidl

Spoletta Juan Carlos Falcón

Sciarrone Holger Ohlmann

Ein Gefängniswärter Martin Hausberg

Hirtenknabe Nestor Erofeev

Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

  1. Nov. 2019    Tim Theo Tinn

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT lässt sich gern engagieren – publizistisch oder im Theater für weitere Aufgaben.

 

 

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