Mina Albich
MEXIKOPLATZ
Kriminalroman
320 Seiten, Verlag emons:, 2022
Wer treibt sich schon um 3 Uhr nachts auf dem Wiener Mexikoplatz herum, der wirklich keine heimelige Gegend ist? Nun, wenn man wie Nicky Witt von einer angenehmen Nacht mit der neuen Bekanntschaft Daniel kommt, aber doch noch nach Hause fahren will, bevor man in aller Früh arbeiten muss… Nicky Witt ist die Heldin von „Mexikoplatz“ aus der Feder von Mina Albich, Neuzugang in der Wien-Krimi-Szene, die möglicherweise Fortsetzungschancen hat.
Denn die Handlung läuft zwar eher langsam, bevor die Autorin am Ende der 320 Seiten dann überraschend zwei Täter hervorzieht, die einem tatsächlich nicht eingefallen wären. Und obwohl die Autorin, vermutlich leicht ironisch, einige allzu klassische Klischees bedient – Leiche auf der Parkbank, verschwunden, als die Polizei kommt, bis zu dem Giftattentat auf die Heldin -, so hat sie doch ein Dreigestirn von Ermittlern geschaffen, dem man mit Sympathie und Interesse folgt. Und darauf kommt es schließlich an.
Da ist also Nicky, die Heldin, die eigentlich Nike Wittgenstein heißt, den Namen aber für ihren Beruf zu pompös fand (obwohl sich die Mutter der „adeligen“ Verwandtschaft rühmt – reines Wunschdenken, denn von Adel war bei den Wittgensteins keine Rede). Nicky ist klinische Psychologin (und kein Mensch kennt sich zwischen Psychologen, Psychiatern, Psychotherapeuten und forensischen Psychologen aus, auch wenn hie und da vage eine Erklärung versucht wird). Jedenfalls hat sie Privatpatienten, macht Gruppensitzungen im Spital und kann ihr Wissen über menschliches Verhalten einbringen, als die Polizei den Mörder der Blondine sucht, deren Leiche dann doch irgendwo im Park bei den Müllcontainern auftaucht…
Gruppeninspektor Felix Grohsmann ist am Anfang sogar geneigt, Nicky, die Finderin der verschwundenen Leiche, zu verdächtigen, überlegt es sich bald besser. Er ist in mittleren Jahren, Witwer mit schmerzender Seele und nur einem Hund als Trost, und während es zwischendurch so aussieht, als könnte er einer Tierärztin wohlwollende Blicke schenken, versteht er sich mit Nicky am Ende so gut, dass… man wird ja sehen. Und da ist als Dritte im Bunde seine Assistentin Jo, die bei der Polizei die bekannten Schwierigkeiten mit männlichen Kollegen hat, sich aber in ihrem Arbeitseifer und der Intuition nicht unterkriegen lässt.
So begibt man sich auf die Suche nach dem Mörder von Nina Wegerer, die aus St. Gilgen nach Wien kam, um Wirtschaft zu studieren, ihrer Musikliebe aber in einem Chor frönte. Während ihre Eltern und ihre Mitbewohnerin alles tun, sie der Polizei anfangs als brav, unauffällig und geradezu fad darzustellen, wundert sich der geeichte Krimi-Leser nicht, als es ganz anders kommt. Kurz gesagt, Lisa hatte es faustdick hinter den Ohren, im Internet, am Telefon und im Leben, aber das Motiv für ihr trauriges Ende zu verraten, wäre ja nun wirklich nicht fair.
Bis man so weit ist, setzen sich die Mosaiksteine ihres Lebens und Sterbens nach und nach zusammen, leidet man mit Nicky unter der Zickigkeit ihrer Patienten und erfreut sich am flott jugendlich-frischen Tonfall der Autorin. Die weiß, wie junge Leute heute reden und denken.
Renate Wagner