Im Portrait: MARIA JOSÉ SIRI „Mit Verdi ging und geht alles gut“
Udo Klebes sprach mit der Sopranistin im Juni 2014 in Stuttgart
Maria José Siri. Copyright: privat
Als im Herbst 2008 Verdis „Aida“ nach rund zwanzigjähriger Absenz im Rahmen einer Neuinszenierung an die Staatsoper Stuttgart zurück kehrte, ließ die Interpretin der Titelrolle ganz besonders aufhorchen. Der Besuch weiterer Vorstellungen bestätigte schließlich, dass dieser erste Eindruck nicht nur einer bei der Premiere hervorragenden Abendverfassung entsprungen war. Vielmehr entpuppte sich Maria José Siri, deren Name damals im deutschsprachigen Raum allenfalls besonders informierten Opernenthusiasten ein Begriff war, als Glücksfall einer prädestinierten Besetzung für Verdis so seelenvoll komponierte ägyptische Sklavin. Von der Innigkeit lyrischer Phrasen zu den impulsiveren, viele Farben verlangenden dramatischen Ausbrüchen spannte sie einen quer durch alle Lagen bruchlosen Bogen, gekrönt von schwerelos in die klare Linie eingebundenen Höhen, zumal des gefürchteten hohen Cs in der Nil-Arie. Dazu kam eine unverstellt natürliche, gleichermaßen wohlüberlegte wie spontane spielerische Umsetzung der zwischen Liebe und Vaterland zerriebenen Frau.
Als „Tosca“ in Berlin (2014). Foto: Thomas Bartilla
Während der seither vergangenen Jahre war immer wieder gute Kunde über Maria José Siris Auftritte zu vernehmen, eine Rückkehr nach Stuttgart im Dezember 2009 für einige Vorstellungen als Leonora in „Il Trovatore“ vermittelte einen ungebrochen faszinierenden Zustand ihrer künstlerischen Qualität. Als sie nach über vier Jahren erfreulicherweise für eine „Tosca“-Serie“ im Mai/Juni dieses Jahres wieder auf den Stuttgarter Brettern stand, war ihr eine noch an Tiefenprofil und darstellerischer Selbstbewusstheit hinzugewonnene Leistung zu attestieren. Und die Seltenheit selbst in den exzessivsten Ausbrüchen noch einen schönen, rund harmonischen Klang zu entfalten. Auch in der Folge ihres unmittelbar davor erfolgten kurzfristigsten Einspringens als Maddalena in „Andrea Chenier“ an der Wiener Staatsoper, für das ihr in mehrfachen Rezensionen ein überragendes künstlerisches Format bescheinigt wurde, ist es nun höchste Zeit, die Sängerin in einem Portrait zu würdigen.
Zentrum Verdi
Ein Blick auf ihr Repertoire zeigt eine deutliche Dominanz an Opern Verdis, wobei die Aida eine zentrale Stellung einnimmt. Inzwischen hat sie über hundert Mal in zahlreichen Produktionen dieses Werkes rund um den Erdball mitgewirkt. Als erst dritte Partie ihres Repertoires sei es anfangs schon eine enorme Herausforderung gewesen, zumal sie realisiert hat, dass sie im Prinzip hätte einige leichtere Rollen aus dem Oeuvre Verdis zuerst angehen müssen. Obwohl es bei diesem frühen Debut gut gegangen war, hatte sie sich als selbstkritischer Mensch versprochen, die Aida für möglicherweise 4 bis 5 Jahre ruhen zu lassen, aber dann kam nach einem Vorsingen die Gelegenheit damit das bereits erwähnte europäische Debut in Stuttgart zu geben. Die dortige Neuinszenierung war in der schrittweisen Erarbeitung der Rolle als ägyptisches Cheer leader-Mädchen eine ganz neue Erfahrung für sie, weil sie in der Situation nicht immer ganz den Intentionen des Regisseurs folgen konnte, einfach anders fühlte, aber auch zu glauben gelernt hat eigene Grenzen zu überschreiten und so doch fähig war, es in jedem Fall umzusetzen. Mittlerweile ist sie froh in traditionellen und modernen Versionen agieren zu können. Die Reize liegen sowohl in konventionellen Inszenierungen, wo allein schon alte und schwerere Kostüme die Körpersprache beeinflussen, als auch in zeitgenössischeren Umsetzungen, die sie akzeptiert solange Musik und Text respektiert werden. Unvergleichbar sei allerdings das Stück vor den Pyramiden in Kairo gewesen, nur dort wird der Charakter und die Art des Lebens in einem exotischen Land nahe gebracht. So wie es ein unvergessliches Erlebnis war, als sie noch während des Studiums die Aida angeboten bekam und die ersten Seiten beim Spielen auf dem Klavier als Eintritt in eine ägyptische Atmosphäre, eine von allem anderen bis dahin Gespielten und Gehörten verschiedene Musiksprache erlebt hatte. Generell passe die Partie ideal für ihre Stimme, wobei ihre eher lyrische Variante es erlaubt, mit den vielen kontrastierenden Gefühlen und Farben dieser mit einer tiefen Seele liebenden Frau spielerisch umzugehen.
In Anbetracht ihrer vielen weiteren Verdi-Rollen (Violetta, beide Leonoras, Amelia in „Simone Boccanegra“, Lucrezia in „I Due Foscari“ und immer wieder das von ihr besonders geschätzte Requiem) ist man geneigt, von einer Schlüssel-Funktion in ihrem Leben zu sprechen. Dabei hat sie diesen Komponisten keineswegs bewusst ausgesucht, er komme ihr eben sehr entgegen, und hätte im allgemeinen für eine mehr von der Belcanto-Seite betrachtete Stimme in den Koloraturen und gut notierten hohen Noten sehr angenehm geschrieben: sie bei langen Phrasen auf Linie zu halten, das Legato zu pflegen, und besonders bei der Vermittlung von Emotionen auf einen schönen farbenreichen Klang anstatt auf stimmlichen Nachdruck zu setzen. Mit Verdi verbindet sie eine elegante Art des Singens und einen klaren Stil, der allerdings viele Studien erfordert, um ihn auf angenehme und natürliche Art in den Körper zu bekommen.
Neapolitanische Wurzeln und Umzug nach Europa
Während des Studiums hatte sie Verdi entdeckt und musste feststellen, dass alles was sie künftig von ihm gesungen hatte, gut gelungen war. Die Musikalität und die Passion sind ihr wohl vom neapolitanischen Großvater vererbt worden, ansonsten befinden sich keine Musiker in der Familie. Geboren in Tala in Uruguay, studierte sie zunächst Komposition und diverse Instrumente wie Klavier, Gitarre und Saxophon (was ihr als Opernsängerin heute atemtechnisch sehr viel hilft) und erweiterte diese Fächer nach vokalem Beginn als Folksängerin mit Blues und Jazz. Doch nichts weckte in ihr so tiefe Gefühle wie der Operngesang, der den ganzen Körper als ein unsichtbares und unberührbares Instrument mit einem schwierigen technischen Studium nutzt und enorme Leistung in einem freisetzt, um mit viel Phantasie Gefühle in eine dynamisch kontrollierte Technik der Farbfindungen, Pianissimi, Atemstütze und Phrasierungen umzuwandeln. Nach dem Studium in Montevideo, später auch in Paris und Nizza (mit Ileana Cotrubas als hoch geschätzter Lehrerin) stand sie von Beginn an in Hauptrollen auf der Bühne, zuerst als Gilda, in Cimaros „Il matrimonio segreto“, gefolgt von Micaela, Mimi, Donna Anna und den bereits erwähnten Violettas und Aidas. Der Umzug im Jahr 2006 nach Verona in Italien war familiären Gründen geschuldet, bedeutete aber auch den Beginn ihrer internationalen Karriere. Gerne hätte sie ihre ersten Schritte in Europa in einem festen Theater-Ensemble mit nach und nach wachsenden Aufgaben gemacht, doch private Gründe hinderten sie daran. Dabei hatte sie das Glück von Anfang an viele Gastierangebote erhalten zu haben.
Weiteres Repertoire und Zukunftsmusik
Außerhalb des Zentrums kamen nach und nach auch stilistisch so unterschiedliche Aufgaben wie der Sifare in Mozarts „Mitridate“, die Anna in Puccinis „Le Villi“, Nedda, Tosca, Tatjana, Rachel in „La Juive“, Maddalena und in jüngster Zeit „Suor Angelica“ hinzu. Welche Repertoire-Erweiterungen bieten sich da noch an? Nun, die Desdemona und „Ballo“-Amelia sind als nächste Debuts in der kommenden Saison vorgesehen. Die virtuos dramatische Attacke verlangenden Partien in Verdis Frühwerken wie Abigaille, Odabella, Giselda oder auch die Lady Macbeth genügen vorerst mit einzelnen Arien im Konzertrahmen, sie hat keine Ambitionen diese Rollen komplett auf der Bühne zu singen.
Im Verismo schlägt ihr Herz besonders für die Maddalena in „Andrea Chenier“, auch wenn es besser ist solche Rollen nicht so oft zu singen, zumal es auch immer schwer sei danach zu Verdi zurück zu kehren. Derzeit studiert sie die Manon Lescaut für Vorstellungen unter der Leitung von Placido Domingo im Dezember in Valencia. Weit entfernt scheinen ihr noch La Gioconda und Wally. Für reizvolle Projekte in französischen, russischen und deutschen Opern würde sie gerne nicht nur den Part , sondern im allgemeinen die Sprachen selber lernen, um sich besser hineinfühlen zu können.
Was auch immer kommen mag, auf alles aus dem Munde von Maria José Siri, die als Name ihres Gottes die Liebe nennt, dürfen wir gespannt sein und wünschen ihr eine weiterhin so gesunde Erhaltung ihrer Stimme.
Udo Klebes