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MAINZ: LA TRAVIATA – Neuinszenierung

16.01.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

MAINZ: LA TRAVIATA am 14.1.2014 (Premiere am 11.1.2014)
(Werner Häußner)

Nun ist sie durch im Rhein-Main-Gebiet: Frankfurt hatte „La Traviata“ seit 1991 in einer unvergleichlich berührenden Inszenierung von Axel Corti bis ins vorletzte Jahr im Repertoire. Wiesbaden spielte jahrelang eine von Göran Järvefeld verantwortete Produktion. Im Dezember konnte es John Dew in Darmstadt nicht lassen, die beliebte Verdi-Oper den Repertoire-Rennern hinzuzufügen, die er zum Abschluss seiner Intendanz noch einmal der Reihe nach auf die Bühne dekoriert. Und schon befürchten Opernfreunde aus der Region, dass Bernd Loebe 2014/15 die nächste „Traviata“ in Frankfurt in Angriff nehmen lässt.

Da darf schon mal gefragt werden, ob es nicht auch andere Verdi-Opern gäbe, die in der Region lange nicht zu sehen waren. Oder ob der Stoff nicht auch mit anderen Stücken zu erzählen wäre. Kenner verweisen zum Beispiel auf Jules Massenets „Sapho“, die es meines Wissens bisher nicht einmal zur deutschen Erstaufführung geschafft hat. Vielleicht werden solche Mehrfach-Inszenierungen vermeidbar sein, wenn im Herbst 2014 in Darmstadt, Mainz und Wiesbaden neue Intendanten ihr Amt antreten.

Fehlte noch das Staatstheater Mainz. Dort wurde Vera Nemirova mit der Neuinszenierung der „Traviata“ betraut – und hat in ihrer dritten Regiearbeit an diesem Haus nach „La Bohème“ und „Idomeneo“ erneut bewiesen, dass sie eine begnadete Menschen-Beobachterin ist. Selten ist es gelungen, das Thema so sensibel und konzeptionell schlüssig in die Gegenwart zu transferieren: Nemirova sieht in Violetta Valéry nicht die etwas angestaubte Pariser „Edelkurtisane“, sondern einen Bühnenstar von heute. Eine Frau in blutrotem Kleid (tolle Kostüme: Marie-Thérèse Jossen) – und rosa Perücke, von der Gesellschaft begehrt, bedrängt, beäugt. Und, sobald auch nur ein leiser Zweifel an ihrem Funktionieren aufkeimt, gnadenlos fallengelassen: Die Festgäste des ersten Aktes wenden sich ab, keine Küsschen, keine Umarmungen mehr. Die Liebe, die Krankheit zum Tode, hat Violetta infiziert.

Jens Kilian hat die Bühne zweigeteilt: Im Vordergrund agiert der Star; sein Publikum drängt sich hinten. Das teilende Element sieht aus wie ein Fernsehschirm der sechziger Jahre, mit abgerundeten Ecken – unaufdringlicher Hinweis auf die Rolle der medialen Vermittlung bei der Kreation eines Stars. Wenn sich im dritten Akt der Lebensbogen der „vom Weg Abgekommenen“ schließt, kommt der Schirm wieder. Violetta stirbt einsam; die Rückkehr Alfredos bleibt Projektion. Im Hintergrund besuchen die Männer einen einsamen Baum: das Grab Violettas. Bei diesem hochvirtuosen Spiel mit den Ebenen gibt Nemirova jedem Detail schlüssige Bedeutsamkeit, bekommt jeder Satz durch die Szene eine beklemmende Doppeldeutigkeit.

Berührend auch die Bilder, die Kilian und Nemirova im zweiten Akt kreieren: Violetta vertauscht das Kleid mit Top und Jeans-Shorts; die Ballrobe haftet an einem Stierschädel an einem Kreuzpfahl, wie man ihn in Wild-West-Szenarien findet. Wie ein roter Blutstrom quillt der Stoff aus dem skelettierten Maul. Jetzt ist die Traviata nur noch eine junge, glückliche Frau, die mit der Schubkarre loszieht und Baumsetzlinge im Raum verteilt. Darf man an Luthers Apfelbäumchen als Symbol einer hoffnungsvollen Zukunft denken? Der Schädel und das Kreuz werden im zweiten Bild – dem Ball bei Flora – zu beziehungsreichen Symbolen, wenn Violetta am Ende einer spielerisch-gefährlichen Hatz an den Balken hängt wie eine Gekreuzigte.

In Nemirovas Konzept überzeugend aufgewertet und aus der Nebenrolle zu einem reflektierenden Echo auf das Schicksal des „Stars“ befreit: die Partie der Annina. Noch vor dem Fest, am Schminktisch Violettas, träumt sie sich in die Welt ihres begehrten Vorbilds hinein. Anke Steffens füllt die Rolle einer jungen Frau von heute mit präzisem Spiel – und auch einer frischen, tragenden, unverfärbten Stimme. Gedankenverloren setzt sie die rosa Perücke auf, die sie später sinnierend mit liebevoller Sorgfalt kämmen wird. Und am Ende, wenn Violetta ihren Weg in eine andere Sphäre geht, – Nemirova begreift den Tod des Stars als Befreiung zur Menschlichkeit; lässt Violetta in den Zuschauerraum abgehen – da dreht Annina die Perücke gedankenverloren in ihren Händen. Trotz allem lockt der Griff zum Ruhm, der Weg in den Spot medial-gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.

Ein Glück auch, dass sich in Mainz der Dirigent Florian Csizmadia an die Fährte der Intentionen Verdis setzt. Das beginnt bei der Aufstellung des Orchesters und endet in Details der Phrasierung und der Dynamik. Das eine oder andere Tempo, etwa im Vorspiel oder dem Finale des zweiten Akts, könnte gelassener, natürlicher pulsierend genommen werden, aber in der großen Linie hat sich Csizmadia Verdi mit der Sorgfalt genähert, die man in mancher Routine-Produktion schmerzlich vermissen muss.

Vida Mikneviciute bringt nicht nur Auftritt und Ausstrahlung einer gefeierten Frau mit, sondern stellt sich auch erfolgreich den vokalen Herausforderungen. Die bestehen nicht allein in den „drei“ Stimmen, die man einem Ondit zufolge für die Rolle braucht. Die Brillanz und Geläufigkeit des ersten Aktes bewältigt die Sängerin aus Litauen zwar nicht mit der perlenden Leichtigkeit der Kolorateusen, hat aber dafür die eindringliche Farbe der Melancholie und Einsamkeit, den trotzigen Aplomb des „Follie, follie …“. Der zweite Akt kommt ihr ausgesprochen gut entgegen: In den lyrischen Bögen, dem feinen „morendo“, den Ausbrüchen der Bitterkeit und des Leidens kann sie ihren durchsetzungsfähigen, aber nie forcierten Sopran idiomatisch treffend einsetzen. Dass ihr der intensive Bogen langer Phrasen schwer fällt, wird mehr als aufgewogen durch die lyrische Innigkeit und die psychologisch wache Gestaltung etwa von „Addio del passato“.

Dass die Oper so gut wie ungekürzt erklingt, bekundet den Respekt des Teams vor Verdi, der in anderen Häusern immer noch der Strich-Routine oder dem Unvermögen der Sänger geopfert wird. Von daher ist auch Thorsten Büttner anzuerkennen, der stimmlich nicht auf der Höhe war, die Cabaletta des Alfredo aber dennoch gesungen hat. Er tat sich hörbar schwer, konnte seinen Tenor nicht locker führen, bekam die Stütze nicht in den Griff. Müdigkeit ist ein Feind der Sänger – das sollten auch diejenigen wissen, die glauben, man könne in Ensembles immer weiter streichen und sparen.

Heikki Kilpeläinen bestätigte seinen Ruf als zuverlässiger, kontrollierter Sänger mit einer gestaltungsfähigen Stimme, die schon so unterschiedlichen Rollenporträts wie König Roger oder Macbeth zugute gekommen ist. Nicht zufrieden stellt die Besetzung der Nebenrollen: Katherine Marriott ist eine darstellerisch präsente, aber stimmlich arg spitze Flora, unter den Männern findet allein Hans-Otto Weiß als Doktor Grenvil zu akzeptabler Form. Der Gastone von Jürgen Rust wird im ersten Akt in den Vordergrund gespielt, wodurch seine hohle, verbrauchte Stimme die Ensembles in fast schon peinlicher Weise zerschneidet.

Werner Häußner

 

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