Magdalena Anna Hofmann: „Ich habe ein Urvertrauen, dass alles so kommt, wie es für mich richtig ist“
(Foto: © Lena Kern)
Derzeit steht Magdalena Anna Hofmann bei den Bregenzer Festspielen als Erste Dame in Mozarts Zauberflöte auf der Bühne. Die junge Sängerin, die in Polen geboren wurde und im Alter von sechs Jahren nach Österreich kam, erzählt über ihre Entwicklung vom Mezzosopran zum Sopran und gibt Einblicke in den Alltag einer Opernsängerin. Im folgenden Clip ist sie in einer Szene aus „Die Walküre“ als Sieglinde an der Seite von Thomas Moser zu hören: http://www.youtube.com/watch?v=TPPwwq05-SU
– Frau Hofmann, wie sind Sie zum Gesang gekommen?
M.H.: Ich stamme aus einer relativ unmusikalischen Familie, mein Vater machte zwar ein bisschen Unterhaltungsmusik, mit klassischer Musik kam ich jedoch nicht in Berührung. Aber ich hatte das große Glück, dass meine Mutter mich von Beginn an unterstützt, gefördert und in all meinen Schritten Richtung Bühne stets ermutigt hatte. Das ist nicht selbstverständlich und ich bin sehr dankbar dafür! In der Musikschule wurde mein Talent entdeckt und gefördert, erst zu diesem Zeitpunkt wuchs mein Interesse für den Gesang. Im Alter von 14 Jahren packte mich das Musicalfieber, woraufhin ich eine Kindermusical Company besuchte und einige Kurse im Jazz-und Stepptanz absolvierte. Eine Gesangslehrerin stellte dann fest, meine Stimme würde für „mehr“ taugen, sie ließ mich altitalienische Arien singen. Die Musik gefiel mir so gut, dass ich begann, Gesangsstunden zu nehmen. Als Jugendliche war mir allerdings noch nicht wirklich bewusst, dass „Sängerin“ ein Beruf ist, von dem man leben kann.
– Elisabeth Kulman hat zunächst als Sopranistin begonnen, bevor sie dann Karriere als Mezzosopran gemacht hat. Bei Ihnen verlief die Entwicklung umgekehrt?
M.H.: Die Ausbildung habe ich tatsächlich noch als Sopran begonnen; Später ist meine tiefe Lage gefördert worden, ich sang lange als Altistin. Vor drei Jahren gab es dann einen relativ abrupten Wechsel. Bei den Wiener Festwochen sang ich die Margret in Bergs Wozzeck, eine recht tiefe Partie. Als Marie stand Angela Denoke auf der Bühne, und bei den Proben meinte sie zu mir: „Ach, Magdalena, du bist doch ein Sopran.“ Das hatte ich bei Vorsingen schon öfter gehört, und mir war klar, dass das irgendwann einmal ein Thema werden könnte, aber ich dachte natürlich an einen längeren Prozess. Denoke hat mich dann überredet, ein paar Arien auszuprobieren, woraufhin ich mich im Theater an der Wien mit einem Sopran-Arienalbum für ein, zwei Stunden in einem Übungsraum zurückzog. Danach bin ich heimgegangen und habe gesagt: „Ich bin Sopran.“
Die Produktion von Wozzeck und zwei, drei Konzerte habe ich dann noch in der Mezzolage gesungen, aber danach bin ich ins Sopranfach gewechselt. Es dauerte natürlich eine Weile, bis ich die Stimme umgestellt hatte. Aber ich merkte, dass meine Tessitur höher ist und die Stimme in der Höhe eine andere Qualität hat. Und das Interessante: Ich habe einen großen Stimmumfang, aber in der Tiefe hatte die Stimme nie diese Durchschlagskraft. Durch die Arbeit an der hohen Lage hat jedoch auch die Tiefe an Kraft gewonnen. Im Laufe der Zeit habe ich jede der drei Damen in der Zauberflöte gesungen!
– Sie selbst unterrichten selbst – wie bestimmen Sie das Stimmfach Ihrer StudentInnen?
M.H.: Früher habe ich am Prayner Konservatorium unterrichtet, aber durch meine Gesangsverpflichtungen habe ich nur noch ein paar Privatschüler. Die Frage nach dem Stimmfach ist sehr schwierig und heikel, deshalb lasse ich im Moment eher die Finger von Anfängern, ich unterrichte lieber fortgeschrittene Sänger. Ich liebe Problemfälle, Leute, die im Beruf sind oder auf dem Sprung.
– Zum Thema Bühne: Was interessiert Sie musikalisch und/oder darstellerisch an einer Partie? Außer natürlich, dass jene Partie, an der Sie gerade arbeiten, die interessanteste ist?
M.H.: Musikalisch liegt mir die Romantik mehr als die Barockmusik, weil ich das Gefühl habe, bei der romantischen Musik mehr Farben entwickeln zu können. Generell gibt es aber auch immer wieder Partien, zu denen man musikalisch erst später einen Zugang findet. Ich singe viel zeitgenössische Musik, eine Zeit lang sogar so intensiv, dass ich mir damals gewünscht hatte, weniger zu machen. Mittlerweile genieße ich es, weil man in der zeitgenössischen Musik viel mehr Freiheiten hat. Es gibt weniger Aufnahmen, und damit weniger Kolleginnen, mit denen man verglichen werden kann. Das finde ich an moderner, atonaler Musik spannend, ich möchte es nicht missen.
Darstellerisch interessieren mich schwierige Frauencharaktere. Das Spannende am Sopranfach ist, wie sich die Rollenprofile geändert haben! Wenn die Partie, die ich singen soll, nicht ohnehin schon einen komplexen Charakter hat, suche ich immer nach einem Drehpunkt in der Rolle, einen Punkt, der anders ist, wodurch man einen neuen Konflikt aufzeigen kann. Zum Beispiel arbeite ich gerade an der Senta im „Fliegenden Holländer“, die ich im Oktober in Lyon singen werde. Eine extrem herausfordernde Partie, mit der ich mich seit Monaten befasse. Das Problem liegt darin, dass die Senta meistens über vollem Orchester zu singen hat, eine ziemlich dramatische Partie. Man muss sich auf Technik konzentrieren, weil man sonst eingeht. Aufgrund des erforderlichen Volumens ist es technisch nicht einfach, eine Vielfalt an stimmlichen Farben zu zeigen.
Viele Wagner-Sopranpartien sind darstellerisch ein bisschen problematisch. Diese oft „aufopfernden“ Frauenrollen entsprechen dem heutigen Frauenbild nicht mehr. Kundry ist ganz anders, da ist die ganze Bandbreite an Emotionen drin! Aber Elisabeth, Elsa oder Senta zeigen zwar unterschiedlich, aber im Grunde auf ähnliche Weise dieses Element „Ach, ich gebe mich auf für die Männer!“ Hier versuche ich, musikalisch wie darstellerisch etwas herauszufiltern, einen Punkt zu finden, der die Figur für mich und für das Publikum interessanter macht.
Ich spiele sehr gerne, auch extreme Sachen. Ich hab kein Problem damit, am Boden zu liegen, oder bei einer schwierigen Stelle fünfmal im Kreis zu rennen – dafür muss man die Partie jedoch gut im Körper haben, um sich diese Freiheiten erlauben zu können, und um eine Partie mit schauspielerischen Mittel darzustellen.
Hindemith: Mathis der Maler (mit Wolfgang Koch) © TAW/ Andreas Hendler
– Welche Rolle in Ihrem Repertoire würden Sie gerne öfters singen, und welche Partien stehen auf Ihrer Wunschliste?
M.H.: Aus meinem Repertoire würde ich definitiv die Kundry gerne öfters singen, auch Schönbergs Erwartung. Aber ich mache auch gerne die Erste Dame in der Zauberflöte oder die Gräfin in Le Nozze di Figaro.
Für die Zukunft wünsche ich mir die Janacek-Partien, Katja Kabanowa oder Jenufa, aber auch die „leichteren“ Wagnerpartien. Elsa, Elisabeth oder Sieglinde. Auch Richard Strauss – Ariadne, Arabella, Marschallin, Chrysothemis – alles nicht morgen, aber als Perspektive. Und dann würde ich gerne Mozartpartien machen, Donna Elvira, Elettra, Vitellia, allerdings muss der Dirigent wirklich meine Stimme dafür haben wollen. Leider sind die Veranstalter heutzutage sehr zögerlich, einem noch einmal Mozart anzubieten, wenn man bereits den Ausflug ins Wagnerfach gemacht hat. Das finde ich schade!
– Von etablierten Sängern hört man oft über die Wichtigkeit, die richtigen Rollen zur richtigen Zeit zu singen. Wie wählen Sie Ihre Partien aus? Auf wessen Rat vertrauen Sie?
M.H.: Hauptsächlich höre ich auf meine eigene Stimme und manchmal muss ich Partien ablehnen, weil es noch nicht passt. Aber ich habe bereits öfters kurzfristig Rollen übernommen, die eigentlich zu früh kamen, die ich dann aber doch noch sehr gut geschafft habe. So habe ich ein inneres Radar entwickelt und weiß recht genau von Anfang an, ob etwas machbar ist oder nicht. Das heißt nicht, dass ich von der Zusage bis zum tatsächlichen Auftritt nicht Momente habe, in denen Zweifel kommen, dass ich’s wirklich schaffe. (lacht) Ich versuche auch, keine Partien anzunehmen, bei denen es dann kein Zurück mehr ins leichtere Fach gibt. Senta ist da ein Grenzfall! Die Partie ist ein Übergang ins dramatische Fach, und die Tradition bewegt sich in eine Richtung, sie mit sehr dramatischen Stimmen zu besetzen. Ich möchte sie jetzt lyrischer anlegen, damit ich noch ins Mozartfach oder ins tschechische Repertoire gehen kann.
Aber es gibt zwei Menschen, die ich um Rat frage: Zum einen meine Gesangslehrerin Carol Blaickner Mayo, die ich sehr schätze. Sie ist prinzipiell vorsichtig, ist dann aber immer zufrieden mit meiner Wahl. Der zweite ist Christoph Meier, der Studienleiter in Bayreuth war und nun an der Musikuniversität unterrichtet.
Im Endeffekt muss jedoch ich die Entscheidung treffen. Mir wurde einmal die Färberin in Frau ohne Schatten angeboten, die ich unfassbar gerne machen würde – aber erst in zehn Jahren. Wenn eine derartige Partie einer Sängerin auf dem Präsentierteller angeboten wird, ist es gar nicht so einfach, nein zu sagen. Aber es funktioniert dennoch gut, die richtige Entscheidung zu treffen.
– Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?
M.H.: Üblicherweise habe ich etwa ein Jahr Zeit, eine Partie einzustudieren. Zunächst streiche ich im Klavierauszug die Partie an und denke mir dann: „Um Gottes Willen, wie soll ich mir das alles merken?“ (lacht.) Danach ruht der Klavierauszug eine Weile am Klavier. Wenn möglich, besuche ich dann eine Vorstellung in der Oper, oder wenn das Werk gerade nicht am Spielplan ist, höre ich Aufnahmen an, um mir einen Gesamteindruck zu verschaffen.
Als nächstes setze ich mich ans Klavier und lerne ich die Grundstruktur, danach arbeite ich mit einem Pianisten und mit der Gesangslehrerin. Danach lasse ich die Partie wieder etwas ruhen und hole mir Input von anderen Pianisten oder Gesangslehrern.
– Entwickeln Sie beim Einstudieren selbst bereits Vorstellungen, wie Sie die Partie anlegen möchten?
M.H.: Absolut! Und das schönste Erlebnis war jetzt Schönbergs Erwartung, ich wusste im Vorfeld ganz genau, was ich mit jedem Satz ausdrücken wollte. Ich hatte ich eine genaue Vorstellung der Interpretation, es blieb aber genügend Flexibilität für die Wünsche des Regisseurs.
Ich merke, dass diese Vorstellungen ganz von alleine kommen, ich habe da einen guten Grundinstinkt. Natürlich gibt es schwierigere Passagen, bei denen man länger über die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten nachdenkt. Oft bleibe ich bei meiner ersten Eingebung, manchmal habe ich nach drei Monaten eine andere Idee, und gelegentlich bekomme ich von anderen Kollegen Denkanstöße.
Es kann natürlich passieren, dass der Regisseur die Partie ganz anders anlegen will, dennoch ist es gut, selbst eine Vorstellung zu haben, die man dann anpasst. Im schlimmsten Fall ist man nicht zu 100 Prozent einverstanden, das rückt aber immer mehr in den Hintergrund, je näher die Vorstellungen rücken. Manchmal bin ich mit der Interpretation nicht unbedingt glücklich, und in diesen Fällen wünsche ich mir, die Partie in einer anderen Regie noch einmal singen zu können. Aber für den Moment passt es, man hat es ja gemeinsam erarbeitet, und es muss ja in ein Gesamtkonzept passen. Wer sagt, dass mir die Interpretation komplett gefallen muss? Ich muss es ausfüllen können, und ich habe bisher immer einen guten Konsens gefunden.
– Wie sieht Ihr Tagesablauf aus, wenn Sie am Abend einen Auftritt haben, und verläuft wie ein sonstiger Arbeitstag?
M.H.: Probentage beginnen meistens um 10 oder 11 Uhr. An diesen Tagen stehe ich zwei bis drei Stunden vor den Proben auf, singe mich eine halbe Stunde ein und gehe die Szene, die geprobt wird, noch einmal durch. Meist gibt es eine Vormittags- und eine Nachmittagsprobe. Diese Arbeitstage dauern sechs Stunden, in denen man natürlich nicht ständig voll aussingen darf, die Stimmbänder sind ja auch nur Muskeln.
Den Tag vor der Vorstellung versuche ich, so normal wie möglich zu gestalten, das hält mich ganz gut am Boden. Natürlich mache ich weder eine anstrengende Wanderung, noch gehe ich in die Disco. Aber man ist sowieso angespannt und nervös, da möchte ich dem Abend nicht zu viel Gewicht geben. Verhaltensregeln aufzustellen wie Steak essen oder absolutes Stillschweigen einzuhalten, das funktioniert für mich nicht.
Der Vorstellungstag selbst ist etwas anders, da ist es wunderbar, wenn man ausschlafen kann. Zu Mittag singe ich mich ein, um zu prüfen, wie es der Stimme geht, und wenn das passt, ist der Rest des Tages entspannter. Danach spaziere ich ein bisschen durch die Stadt, und wenn es sich ausgeht, ist ein kleiner Nachmittagsschlaf sehr entspannend. Am Nachmittag geht’s dann ins Theater, in die Maske. Und nach der Vorstellung genieße ich ein gutes Bier!
Unangenehm wird es, wenn man neben den Proben für die laufende Partie bereits die nächste Rolle einstudiert. Ich weiß nicht, wie das andere Sänger machen, aber für mich ist es schwierig, während einer Produktion eine andere Partie zu lernen. Ich bin gerne auf eine Rolle fokussiert. Sind es unterschiedliche Tonsprachen, dann ist die Umstellung nicht immer einfach, sind sie zu ähnlich, kann es verwirren. Manchmal bleibt es einem nicht erspart, aber ich versuche es zu vermeiden.
– An diesem Beruf hängen auch viele andere Arbeiten?
M.H.: Stimmt, es vergeht keine Woche, in der man sich nicht eine Assistenz wünscht. Steuerabrechnung, Wohnungen suchen, Flüge buchen – das mache ich ganz gern selbst, weil ich dann aussuchen kann, wann ich fliege, aber auch das kostet Zeit.
Und natürlich versuche ich, fit zu bleiben. Vor allem für das schwere Fach ist eine gute Kondition unheimlich wichtig, es geht mir einfach besser, wenn der Körper fit ist. Muskelaufbau, laufen etc. sind da ideal. Außerdem habe ich eine tolle Physiotherapeutin in Wien, die mir bei sängerischen Fragen haltungstechnisch helfen kann.
– Was bedeutet es für Sie, auf der Bühne zu stehen?
M.H.: Das hängt von der Partie ab, wobei eine leichtere Rolle nicht automatisch weniger anstrengend ist. Aber bei schwierigen Partien wie etwa bei der Senta muss ich mich anders fokussieren als bei der ersten Dame, die ich um drei Uhr in der Früh singen kann.
Ich probe sehr gerne, bin ein richtiges Probentier, weil ich diesen Prozess schätze; Wenn etwas entsteht, wenn man die Kollegen kennen lernt und gemeinsam Wege entwickelt. Es macht mir Spaß, im Team unterschiedliche Gestaltungen auszuprobieren.
Während der Vorstellung habe ich einen Adrenalinkick, aber im Prinzip sind Aufführungen das Resultat von den Proben davor. Mein Ziel ist es, das auf die Bühne zu bringen, was ich mir vorher erarbeitet habe, mit dem gewissen spontanen Moment, der an diesem Abend vorhanden ist.
Dieses Jahr hatte ich zum ersten Mal einige Orchesterkonzerte, für die wir zwei, drei Tage Probenzeit hatten. Das war sehr spannend, weil man zum einen keine lange Vorlaufzeit hat wie bei einer szenischen Produktion, zum anderen kein Kostüm, hinter dem man sich verstecken kann.
– Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
M.H.: In Bregenz stehen Zauberflöte und Rossignol (Strawinsky) sowie das Abschiedskonzert für David Pountney am Programm. Dann singe ich die Senta in Lyon und in Portugal ein Konzert mit Ausschnitten aus Siegfried und Götterdämmerung, in einer reduzierten Orchesterfassung. Danach geht‘s wieder nach Lyon, mit Die Gezeichneten von Schreker, und in Essen werde ich in Dvořaks Rusalka die Fremde Fürstin singen. Später wird es noch einmal in Portugal ein Konzert mit Wesendonck-Liedern und Liebestod geben. Ich habe ein Urvertrauen, dass alles so kommt, wie es für mich richtig ist!
– Frau Hofmann, vielen Dank für das Gespräch!