Uraufführung in Luzern: „Die Antilope“ von Johannes Maria Staud (Vorstellung: 7. 9. 2014)
In der Hauptrolle der amerikanische Bariton Todd Boyce (Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)
Das Luzerner Theater begann die neue Spielsaison – in Koproduktion mit dem LUCERNE FESTIVAL und der Oper Köln – mit der Uraufführung der Oper „Die Antilope“ des österreichischen Komponisten Johannes Maria Staud, dessen erste Oper „Berenice“ vor einigen Jahren im Rahmen der Wiener Festwochen gespielt wurde. Den Text für beide Opern verfasste der Lyriker Durs Grünbein.
Unter dem Titel „Der Kreislauf des Lebens“ schrieb Dr. Christian Kipper, der Dramaturg des Luzerner Theaters seine Gedanken über die neue Oper nieder, die im informativ gestalteten Programmheft abgedruckt sind. Daraus seien zum Verständnis des Werks einige Sätze zitiert: „Warum heißt eine Oper ‚Die Antilope‘, obwohl weit und breit kein entsprechendes Tier darin vorkommt? Bestenfalls da und dort erwähnt wird? In der Tat ist in diesem Libretto vielfach von Tieren die Rede. Gleich zu Beginn schwärmt eine Partygesellschaft am offenbar sternenklaren Abend von der kommenden ‚Nacht, in der die Bären fliegen‘, von der ‚Nacht der großen Verheißung: Wenn das Kaninchen die Schlange beißt‘. Später sucht ein Passant nach den ‚scharfen Miezen‘, am nächsten Morgen heißt es vom Unfallopfer, das im 13. Stockwerk aus dem Fenster fiel: ‚Sie suchen ihn, aber er ist nicht mehr da. Hat sich davongeschlichen wie eine Katze‘. Die Rede ist von Victor, der Hauptfigur, die sich durch einen Sprung in die Tiefe den Zumutungen seiner sich exzessiv selbst feiernden Kollegen entzog. Wenn wieder später eine Passantin nach ihrer entlaufenen Katze sucht und feststellen muss, dass diese unter die Räder einer Straßenbahn geraten ist, dann bedeutet diese kleine Haustiertragödie mehr als nur eine Tageszeitungsnotiz.“
Zur Komposition schreibt der Dramaturg: „Der Komponist zeichnet die Struktur des Librettos insofern genau nach, als er die lyrischen Passagen vollständig vertont, den konkreten Small-Talk-Dialog jedoch über Tonband- und Orchesterbegleitung sprechen lässt.“
Regisseur Dominique Mentha ließ die Ärzte als Clowns auftreten (Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)
Die Handlung der Oper läuft in sechs Bildern ab: Nach der Party im Bürogebäude und dem Fenstersturz spielt eine Szene vor dem Café „Traumzeit“, eine andere auf einem Platz in der Nähe eines Nachtclubs, auf dem drei Ärzte vorbeigehende Passanten „diagnostizieren“, weitere Szenen vor einem riesigen Kunstwerk und in einem Zoo, ehe wieder eine Firmenparty stattfindet und sich der Kreis für Victor im Café schließt, wo die Mutter ihren Sohn mit den Worten „Es ist alles bezahlt. Komm jetzt nach Hause, Victor.“ mit sich fortnimmt.
Dominique Mentha, der Direktor des Luzerner Theaters, schuf eine humorvolle Inszenierung, in der die traumhafte Reise Victors oft satirisch, oft aber auch bitterböse illustriert wird. Auf der Party sitzen alle teilnehmenden Damen und Herren mit Tierköpfen am Tisch und die drei Ärzte treten als Clowns auf. Für die karge, aber dem Werk gerecht werdende Bühnengestaltung war Werner Hütterli verantwortlich, die zeitgemäßen Kostüme schuf Ingrid Erb.
Der amerikanische Bariton Todd Boyce zeichnete Victors Entfremdung von der Gesellschaft auf berührende Art. Obwohl vor der Vorstellung als indisponiert angesagt, war seiner warmtönenden Stimme nichts anzumerken. Sprachlich hatte er den eindeutig schwersten Part zu bewältigen, ließ ihn doch der Librettist „antilopisch“ reden – ein paar kurze Beispiele: „Kaama damara dik dik … dibatag korrigum kongele … dibaudag dongulen dingo“.
Alle anderen Sängerinnen und Sänger des Ensembles waren in mehreren Rollen im Einsatz, zwei Bürokolleginnen Victors sogar tänzerisch: die brasilianische Koloratursopranistin Carla Maffioletti und die koreanische Mezzosopranistin Eun-Kyong Lim. Die deutsche Sopranistin Jutta Maria Böhnert spielte eine Sekretärin, eine junge Frau und eine Passantin, wobei sie sehr wandlungsfähig agierte. Ihr komisches Talent bewiesen als clowneske Ärzte der türkische Tenor Utku Kuzuluk, der Schweizer Bassbariton Flurin Caduff und der polnische Bassbariton Szymon Chojnacki, der zusätzlich noch den in Eigenlob erstickenden Chef und einen witzigen Oberkellner sehr humorvoll gab. In einer kleinen Rolle ergänzte noch die in Russland geborene Sopranistin Jeanett Neumeister das mit großer Spiellaune agierende Ensemble.
Das Luzerner Sinfonieorchester – vom englischen Dirigenten Howard Arman geleitet – brachte das großteils kammermusikalische Werk, das des Öfteren schrille, manchmal auch schmerzhaft klingende Töne aufwies, eindrucksvoll zur Geltung. Am Schluss der Vorstellung kein Jubel des Publikums im leider nur schwach besuchten Haus, aber anerkennender Beifall für alle Mitwirkenden, vor allem für Todd Boyce und für das Orchester sowie für den vom Dirigenten auf die Bühne geholten Komponisten Johannes Maria Staud.
Udo Pacolt