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LÜBECK: TRISTAN UND ISOLDE – Edith Haller, eine neue Isolde am Opernhimmel. Premiere

07.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

LÜBECK: Edith Haller – eine neue staunenswerte Isolde am Opernhimmel. TRISTAN UND ISOLDE – Premiere am 6.10.2013

 

Gestern Abend war in Lübeck die Premiere von Wagners „Tristan und Isolde“. Da es als neue Produktion des Teams Pilavachi/Brogli-Sacher angekündigt wurde, war schon deswegen die Reise nach Lübeck angesagt.

 Aber zunächst muss ich über die hervorragende neue Isolde von Edith Haller berichten. Da blieb kein Wunsch offen. Mit klaren jubelnden Tönen fand sie den Einstieg in die für sie neue Rolle und konnte sich sofort auf Augenhöhe mit anderen Protagonistinnen begeben. Sie sang die Partie überzeugend, ist keine Isolde mit Stentortönen, die für sich allein stehen, sondern vielmehr ein Sopran mit fundierter Mittellage und jubelnd in den Aufstiegen und in den dramatischen Ausbrüchen (nur 2 mal im 2. Akt musste sie kurz zu sehr forcieren). Dazu kommt eine überzeugende Darstellung und nicht zuletzt eine hervorragende Textverständlichkeit. Richard Wagner hätte seine Freude gehabt.

Ihr zur Seite im ersten Akt eine ebenbürtige Brangäne. Wioletta Hebrowska, am Opernhaus in Lübeck beheimatet, stand der Isolde im ersten Akt in nichts nach und machte die Auseinandersetzungen zu einem ganz großem Opernereignis. Sie hat eine schöne warme Stimme, die keinerlei Mühe in den geforderten Höhenlagen hatte. Einzig die Warnrufe im 2. Akt zeigten auf, dass Frau Hebrowska manchmal Mühe hat, das Tremolo ausreichend unter Kontrolle zu halten. Insgesamt ist sie aber eine Brangäne, die kaum Wünsche offen lässt.

 Man hätte sich gewünscht, dass der andere Partner der Isolde ihr ebenbürtig sein konnte. Als vor dem Beginn der Oper die Ansage kam, dass der vorgesehene  Tenor Jeffrey Dowd krankheitsbedingt absagen musste, verhieß dies nichts Gutes. Auch wenn die Zweitbesetzung für diese Partie den Abend gerettet hat, war Richard Decker kein vollwertiger Ersatz. Von der Statur her durchaus ein Tristan, stand er doch allzu häufig – wie auch schon in anderen Rollen zuvor – eher unbeteiligt und etwas hölzern auf der Bühne. Stimmlich sind seine Mittel beschränkt. Neben schönen Passagen finden sich immer wieder Töne und ganze Passagen eher unter Ton. Zusammen mit seiner Isolde konnte er aber dennoch manche gelungene und musikalisch schöne Momente produzieren. Im dritten Akt wurde sein Auftritt dann zunehmend peinlicher. Neben unverständlichen Texthängern und – aussetzern (es gab keinen Souffleurkasten) kam er stimmlich an seine Grenzen. Der Dirigent deckte ihn das eine oder andere Mal gnädig zu.

 Der Rest der Besetzung war gemischt. Der sehr kernige und robuste – manches Mal für die kleine Bühne schon zu robuste – Kurwenal von Michael Vier konnte sich mühelos gegen Tristan behaupten. Martin Blasius‘ Marke muss man nicht unbedingt wieder hören. Gestalterisch konnte er den von der Regie sehr gebrochenen König, der schwach und nachdenklich auf ein Sofa niedersinkt, sehr plausibel darstellen; gesanglich muss er hier und da zu sehr nachdrücken und ist nicht immer erfolgreich bemüht, die geforderten Töne zu treffen. Daniel Jenz – als Seemann und Hirt – ließ aufhorchen.

 Roman Brogli-Sacher, bis zur letzten Spielzeit langjähriger Chef in Lübeck, ist an das  Pult des Orchesters zurückgekehrt und hat in gewohnt souveräner Manier vergessen lassen, dass dieser Tristan nicht an einem ganz großen Haus aufgeführt wurde. Lübeck hat mit ihm einen großen Dirigenten verloren. Auch wenn die Farben sich in diesem eher kleinen Orchester nicht immer mischten, ließen viele Stellen aufhorchen. Wenn Szene und Sänger dies erlaubt, drehte er durchaus auf, konnte sich aber in anderen Momenten kammermusikalisch zurücknehmen. Ein großer Abend!

 Dass der Abend dann zu einem doch ganz hervorragenden Ereignis wurde, lag auch an der Regie von Anthony Pilavachi, der hier in Lübeck schon einen so grandiosen Ring auf die Bühne gestellt hat. Kein Schiff im ersten Akt, vielmehr ein für ein Diner eingedeckter Salon, in dem Isolde und Brangäne auf die Ankunft des Königs warten. Frech kommen einige Gäste herein, von denen einer – der „Seemann“ – die Braut verhöhnt. Beim zweiten Mal kommt Tristan dazu und reagiert ungehalten auf diesen Affront gegenüber Isolde. Körpersprache und Gesten lassen hier schon erkennen, dass auch Tristan Isolde liebt. Wenn Isolde von der Begegnung mit Tantris berichtet, erscheint Tristan und wird in das Geschehen eingebunden. Später zeigt Tristan, dass er den Todestrank kennt (siehe auch seine Visionen im 3. Akt), er nimmt die Flasche aus dem Behältnis und stellt sie auf den Tisch. Isolde entleert die „falsche Flasche in die Blumenvase, lässt sie dann aber leer sichtbar auf dem Tisch. “Kurz bevor Tristan den Trank nimmt, dreht er sich zu Isolde und küsst diese kurz. Isolde ist zunächst überrascht und wohl auch verwirrt, weil es ihr zeigt, dass auch Tristan sie noch liebt. Folgerichtig will sie ihn kurz danach davon abhalten, den „Todestrank“ zu nehmen.

 Schon bis hierhin hat sich gezeigt, dass es nicht wieder so eine „körperlose“  Inszenierung werden wird, in der sich Tristan und Isolde nicht berühren dürfen. Was dann nach dem Liebestrank folgt, ist ein Übereinanderherfallen des Liebespaares. Sie entkleiden sich wechselseitig und können weder von Kurwenal, noch von Brangäne zu Vernunft gebracht werden. Melot, der kurz vor Marke erscheint,  betrachtet dies Ereignis voller Interesse. Mit Mühe fällt Isolde in die Arme des Königs – Tristan im Schlepptau. Ein erster Akt voller Spannung und Denkanstößen.

 Der zweite Akt zeigt ein verfallenes Gartenhaus, in das Blätter hinein geweht sind. Anfangs erscheint Marke mit der Jagdgesellschaft und verlässt enttäuscht die Szene, nachdem Isolde ihn – zum wiederholten Male ? –  keines Blickes gewürdigt hat. Isolde ist immer noch im weißen Hochzeitskleid, den Brautschleier von sich werfend. Als Tristan erscheint, fallen beide übereinander her und wälzen sich am Boden – ein Liebespaar, das sich kaum noch beherrschen kann. Tristan bringt eine Mappe mit, in der sich – wie sich später zeigt – Noten befinden. Zum Liebesduett setzt sich zunächst Isolde auf ein altes schäbiges „Loriot“-Sofa und fügt den Text, den ihr Tristan diktiert, in die Notenblätter ein. Schon hier frage ich mich zum ersten Mal, ob  nicht Richard Wagner und Mathilde Wesendonck gemeint sind – in dem Gartenhaus in Zürich. Ein sehr berührender und inniger Moment.

 Während Brangänes Ruf verschwinden beide im Nebenzimmer und kommen zurück in einer Aufmachung, die erahnen lässt, was vorgefallen ist. Nachdem die Jagdgesellschaft zurück gekehrt ist, zeigt die Regie einen vollkommen gebrochenen König, der am Ende teilnahmslos auf dem Sofa Platz niedersinkt. Tristan tötet sich selber, Isolde wird vor der Gesellschaft daran gehindert, es ihm gleich zu tun

 Das letzte Bild  – in eine Raum in Kareol – oder doch woanders (Venedig?) wird geprägt von einem Fußboden, der übersät ist von Notenblättern. Am Flügel sitzt Tristan – oder Richard Wagner. Dazu findet sich das Sofa aus dem 2. Akt wieder. Die „alte Weise“ wird von einer schwarzen Figur auf der Bühne dargestellt und gespielt und wirkt wie der Tod. Jedes Mal dunkelt sich der Raum ab, im Hintergrund wird ein Sarg über die Bühne getragen und im Vordergrund erscheint ein kleiner Junge (laut Programm der junge Tristan), der ein Trauergesteck mit weißen Lilien vor sich herträgt. Beim 3. Mal erscheint zu dem passen Text auch Tristans Mutter. Es ist schwarz gekleidet Isolde. Man kann diese Interpretation sicher unterschiedlich deuten. Den Tod von Tristans Vater, die eigene Beerdigung von Tristan oder auch der Tod vor Richard Wagner. Auf jeden Fall zeigt sich am Ende, dass die ganzen Fiebervisionen von Tristan eher ein Traum sind und er bei Ankunft von Isolde schon tot ist. Ihren Schlussgesang singt sie dann wieder im weiß gekleideten Hochzeitskleid und setzt sich dazu auf den Flügel. Sie singt und agiert dazu mit Tristan zusammen. Ganz Mathilde Wesendonck und Richard Wagner. In das Nachspiel senkt sich der Vorhang, um nach wenigen Sekunden eine schwarz gewandete Isolde in Trauerkleidung zu zeigen. Alleine auf der Bühne mit Brangäne. Ich habe lange keinen so berührenden Schluss gesehen. Nach der langweiligen und musikalisch belanglosen Aufführung in Bayreuth 2012 hatte ich mir geschworen, so schnell keinen Tristan wieder sehen zu wollen. Ich kann nur jedermann empfehlen, sich diese Aufführung in Lübeck anzusehen!

 Dietrich Vogler

 

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