Ludwigsburg: Gastspiel des Ballett Zürich „WOYZECK“ 27.11. 2013– Mit wenig Neuem viel erreicht
Foto: Judith Schlosser
Zürichs Ballettdirektor Christian Spuck hat Georg Büchners Drama 2011 für das Norwegische Nationalballett in Oslo für den Tanz adaptiert. Nun hat er es passend zum 200. Geburtstags des in Zürich gestorbenen und begrabenen Dichters mit seiner eigenen Compagnie einstudiert und damit im Rahmen der begehrten Tanzreihe des Ludwigsburger Forums für 2 Vorstellungen in der Nähe seiner alten Heimat gastiert.
Genauso knapp wie das Drama des jung verstorbenen revolutionären Schriftstellers als damals sehr modern anmutend entworfen ist, hat Spuck die Übertragung auf die tänzerische Ebene vorgenommen. In 80 pausenlosen Minuten richtet sich der Blick konzentriert aufs Wesentliche. Wer von ihm dabei eine Entwicklung oder gar Veränderung seiner Stilmittel erwartet hatte, wurde enttäuscht, greift der ehemalige Stuttgarter Hauschoreograph doch auf seine mehr oder weniger bewährten Metaphern zurück. Angefangen bei der spartanisch ausgerichteten Bühne, in deren Mitte sich eine geschwungene halbhohe Wand für die schnellen Szenenwechsel dreht und mal ein Miniatur-Dorf mit Fachwerkhäuschen als Verortung des Geschehens oder ein paar Tische zu sehen sind. Die Einbeziehung letzterer wie auch von Stühlen in den choreographischen Aufbau wirkt inzwischen doch etwas abgegriffen, weil die Figuren und die damit verbundenen Bewegungsmuster doch zu sehr vielen Vorgänger-Arbeiten gleichen und keine werk-spezifische Verwendung mehr bedeuten. Optisch erinnert vieles an seine einige Jahre zuvor entstandene „Leonce und Lena“-Choreographie, quasi als tragisches Spiegelbild zum absurd ironischen Lustspiel Büchners.
Nicht nur die die gesellschaftliche Norm verkörpernden Tanzpaare als Gegenbild zu den Bauern aus der Komödie, auch die Uniformen und Zylinder, die weitgehend schwarz-graue Ausrichtung der Kostüme ( Emma Ryott ) sowie auch der eckige, vielfach abgewinkelte Einsatz der Arme wurden von Spuck schon vielfach angewandt.
Foto: Judith Schlosser
Die Doppelbödigkeit der Charaktere zwischen Täter- und Opfer-Funktion sowie zwischen der Kreatur Woyzeck, Marie und ihren Demütigern kommt sowohl im Tanz als auch in der raffinierten Einbeziehung verschiedener Musik-Auswahlen zum Vorschein. Alfred Schnittke, György Ligeti, Phillip Glass, Bach und der beständig mit elektronischen Möglichkeiten arbeitende Komponist Martin Donner stehen für eine Vielfalt zwischen passenden Jahrmarkts-/Spieldosenklängen, live erfolgender Trommelwirbel, originell verfremdeten Polkas und Walzern sowie brillante Höhepunkte aufbauender Film-Musik. Schade nur, dass der Orchesterpart den Gastspiel-Umständen geopfert werden und eine Band-Aufzeichnung herhalten musste. Aber auch ohne das klangliche Live-Erlebnis setzte das Geschehen Emotionen frei, ließ einen, wie es auch Büchner beabsichtigt hatte, mit Woyzecks Ohnmacht mittrauern. Speziell in den Szenen mit Marie hebt die Choreographie zu Höhenflügen großzügigen Ballett-Vokabulars ab, während den holzschnittartigen, Karikaturen gleichenden Figuren sder Peiniger entsprechend eckigere, mechanische Bewegungen zugeordnet sind.
Im Falle der Titelrolle hat Spuck auf einen für diese Rolle ungewöhnlich jungen Tänzer gesetzt und Recht behalten. Der große schmächtige Belgier Jan Casier identifiziert sich total mit dem geschundenen und von seiner Umwelt getriebenen Soldaten bis in die kleinsten Partikel seines meist dicht am Körper und Kopf entlang gehaltenen Bewegungs-Kanons, der bereits in seinem ersten Auftritts-Solo in komprimierter Form vorgeführt wird.
Wie befreit, von einem Funken Hoffnung getragen, agiert er in den Szenen mit Marie, die mit der Ex-Stuttgarterin Katja Wünsche sehr aufrichtig besetzt ist, mit einer Mischung aus Reife und Losgelassenheit. Dabei macht sie spürbar, dass sie die Armut des Geliebten weg von ihm in die Arme des Frauen imponierenden Tambourmajors treibt, der ihr Ohrringe schenkt, die dann Woyzecks Eifersucht bis zur wahnhaften Obsession steigern. Ihre tragische uneheliche Beziehung, gekettet durch den gemeinsamen Sohn, gipfelt in der musikalisch formidabel umhüllten Ermordung Maries unter einer angestrahlten Wasser-Gischt. Selbst da ergreift der Choreograph noch Partei für den ausweglosen Mörder, was auf der anderen Seite noch durch den sehr viel Sympathie ausstrahlenden Belgier unterstützt wird.
In die Begeisterung wurde auch das weitere Ensemble und Christian Spuck selbst einbezogen, besonders der einstige Stuttgarter Publikumsliebling William Moore für seinen herrlich gockelhaften und athletisch stolzen Tambourmajor. Passende Profile hatten auch Christian Alex Assis als Hauptmann, Manuel Renard als Doktor, Filipe Portugal als Professor, Ty Gurfein als Andres und Galina Mihaylova als Margret.
Udo Klebes