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LOS ANGELES: LA TRAVIATA – LA-Opera

27.09.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Los Angeles: “LA TRAVIATA” – LA Opera, 13. u. 17. 9. 2014

 „La Traviata“ ist immer ein Renner und gehört auch hier zu den am häufigsten aufgeführten Produktionen überhaupt. Zur heurigen Saisoneröffnung musste wegen der großen Nachfrage sogar noch eine Vorstellung eingeschoben werden: 7 Termine zwischen 13. und 28. September, oft nur 1 Tag Pause! Heftig! Nicht ganz unbeteiligt an diesem Ansturm war wohl auch die Besetzung: In der von James Conlon dirigierten und von Marta Domingo inszenierten Produktion sangen Nino Machaidze die Violetta, Arturo Chacón-Cruz den Alfredo und Plácido Domingo den Germont.

Marta Domingo zeichnete für die Wiederaufnahme der Produktion von 2006 für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich: Optisch sehr ansprechend, mit wenigen Aufbauten und Requisiten, inspiriert von der Art-Déco-Ästhetik und dem ausgelassenen Lebensgefühl der 1920er Jahre, einfühlsam ausgeleuchtet durch Alan Burrett, passte sie hervorragend nach Los Angeles, wo man vor allem in Downtown mehrere dieser inzwischen großteils wunderschön restaurierten Gebäude vorfindet. Bis aufs i-Tüpfelchen stilecht gekleidet erschienen alle Damen, ob vom Chor oder Solistin, in hinreißend schönen Kostümen. Welche Wohltat bei dem heutzutage oft so tristen Einheitsbrei auf vielen Bühnen! Passend dazu die Herren im Frack oder eleganten Anzug. Das „Wig and Make-Up Department“ bewies mit tollen Perücken und Make-up, dass es kürzlich mit Recht einen Preis erhalten hatte! Auffallend war die ausgetüftelte Personenregie, die auch jede Nebenfigur sowie den Chor einbezog. Noch nie erschienen mir Flora, Gastone, Baron Duphol und Marquis D’Obigny so eigenständig und präsent.

 Nachdem noch bei der Ouvertüre vor dunklem Vorhang an einer Straßenlaterne ein verschüchtertes Mädchen von einem schicken Herrn angesprochen und mitgenommen wurde und gleich darauf eine zweite, offensichtlich mit diesem Gewerbe vertrautere junge Dame einen Freier „aufriss“, ging dieser Zwischenvorhang hoch und die Partygesellschaft um Flora kam lachend und singend herein. Als dann noch ein weißer 1929er Chrysler – ein echter Hingucker! Edel! – mit Violetta und Baron Duphol vorfuhr, wurde schlagartig klar, dass man sich hier in einer anderen Liga dieses Gewerbes bewegte. An einer Theke wurde Alkohol – Champagner, Martini, Absinth (!) – ausgeschenkt. Elegant und weltgewandt führte Gastone den etwas ungelenken und sehr bubenhaften Alfredo in die Gesellschaft ein. In der nächsten Szene wich die Theke, ein halbrunder Diwan und große, runde Hocker zeigten Violettas Gemach. Der 2. Akt fand in der herbstlichen Stimmung einer Terrasse bzw. in Floras privatem „Nachtclub“ statt. Im 3. Akt verblieb nur mehr der mit einem geblümten Überwurf bedeckte Diwan auf sonst leerer Bühne. Vielleicht ein wenig zu „romantisch“ der Sternenhimmel mit leichtem Schneefall zu Beginn.

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 Violetta und der 1929er Chrysler

 Nino Machaidze ist eine enorm talentierte, junge Sopranistin und beeindruckte bei ihrem Rollendebüt als Violetta nicht nur durch ihre Schönheit, ihr detailreiches und ausdrucksstarkes Spiel, sondern ebenso durch ihre nuancenreiche Stimme. Sie wurde als Darstellerin allen Facetten dieser Rolle gerecht. Verkörperte sie zuerst den Vamp, der Alfredo nicht wirklich ernst zu nehmen schien, wurde sie bald nachdenklich und verliebte sich sichtbar in ihn.

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Nino Machaidze, Arturo Chacon-Cruz. Copyright: LA-Opera

Alfredo sang seine Einwürfe während ihrer Arie (Follie!.. Follie!..) nicht hinter der Bühne, sondern trat in ihr Zimmer, am Schluss lagen sie sich in den Armen. Dieser effektvolle „Trick“, nahm die Entwicklung zum 2. Akt vorweg, in dem die einzig ihrer Liebe lebende junge Frau alles aufgab, nur um danach von Alfredo vor allen erniedrigt zu werden.

Machaidze machte diese Wandlung glaubhaft und berührte auch im 3. Akt mit ihrer Verzweiflung, ihrem letzten, vergeblichen Aufbäumen und schließlich ihrem Sterben. Und endlich, endlich einmal erlebte ich es so, wie ich es mir immer bei einer „Traviata“ gewünscht, aber noch nie gesehen hatte! Violetta ging von einem zum anderen, gleichsam sich verabschiedend, verspürte dann das vermeintlich neue Leben, alle um sie sahen sie gebannt an und gingen auf sie zu. Schließlich stürzte Violetta nicht alleine vorne an der Rampe (theatralisch) zu Boden, sondern starb in den Armen ihres geliebten Alfredo. Mit Germont, Doctor Grenvil und Annina an ihrer Seite. Ein überraschender und sehr bewegender Moment. Da hat Marta Domingo wohl gespürt, dass Violetta nur so und nicht anders sterben kann.

Machaidzes helle und leicht metallische Stimme beherrscht die Koloraturen, besitzt aber auch genügend Wärme für die innigen Momente. Sie sang viel Piano, an manchen Stellen ging sie fast bis zur Unhörbarkeit zurück, hervorragend begleitet von einem an ihren Lippen hängenden James Conlon. Ein Sonderlob für so viel Einfühlungsvermögen! Machaidze ist keine Sängerin, die immer nur auf Wohlklang bedacht ist, sie will Ausdruck, auch mit Risiko. Die Rechnung ging voll auf, ihr Violetta Debüt kann man mit Fug und Recht als sehr gelungen bezeichnen.

An ihrer Seite Arturo Chacón-Cruz, der einen sowohl in seiner ersten Liebe wie auch in seiner Rücksichtslosigkeit und Rachsucht sehr leidenschaftlichen Alfredo darstellte. Die Rolle passt hervorragend zu ihm, er machte die Handlungsweise dieses unerfahrenen, auch gedankenlosen Mannes wirklich glaubhaft. Der junge Sänger, den ich in den letzten Jahren immer wieder gehört habe, hat sich sehr positiv entwickelt. Die helle Tenorstimme ist inzwischen viel freier geworden und besitzt eine bombensichere Höhe. Nur, wenn er ein wenig zu viel Leidenschaft hineinlegen will, tendiert er noch leicht zum Überdruck. Er überzeugte durch musikalische Phrasierung, wunderbare Piani und vor allem auch durch das wirklich innige Miteinander mit Machaidze.

Im Alter hervorragend zu seinem „Bühnensohn“ passend, gab Plácido Domingo sein Hausdebüt als Giorgio Germont. In jeder Vorstellung wurde er spontan mit Auftrittsapplaus begrüßt. Im März 2013 hatte er die Rolle erstmals an der Met gesungen, in der Inszenierung der Salzburger Festspiele 2005. Allerdings ohne die ursprünglich sehr harsche Gestaltung, die Willy Decker dem Germont des Thomas Hampson verpasst hatte, zu übernehmen. Es würde auch gar nicht zu ihm passen. Domingo schien sich in dieser Rolle sehr wohl zu fühlen: Sein Giorgio Germont kommt zwar noch mit voller Strenge und auch Härte in der Stimme zu Violetta, zeigt kaum Verständnis für die Geliebte seines Sohnes und will das Problem so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Obwohl es Violetta gelingt, in ihm so etwas wie Mitgefühl zu erzeugen, versteht er nicht wirklich, was er anrichtet, ist nur auf das Wohl seiner Tochter programmiert. Das Wenige, das ihm Violetta erzählt, nimmt er nicht auf. Die schmerzlich-intensiven Duette mit Violetta und die Auseinandersetzung mit Alfredo waren absolute Höhepunkte und wurden jeweils mit einem wahren Applausorkan quittiert. Herausgefordert durch Domingos Intensität wuchsen die beiden jungen Künstler buchstäblich über sich hinaus.

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Giorgio Germont verlangt das Unmögliche. Copyright; LA-Opera

 Auch Germonts Arien waren keine Wunschkonzert-Nummern mehr. Dass sie völlig anders klangen, hatte weniger mit dem tenoral angehauchten Timbre zu tun, als mit der unglaublichen Emotion, mit der er Text und Musik verband und interpretierte. Vieles klang wie noch nie gehört oder wahrgenommen. Das konnten einzelne Wörter sein, wie etwa sein „Allor“, das seine absolute Ratlosigkeit und Verzweiflung in diesen zwei Silben ausdrückte. Oder sein „Di Provenza…“, das Alfredo buchstäblich das Herz zerriss. Noch nie habe ich die Beziehung von wirklich besorgtem Vater, der sein endlich wiedergefundenes „Kind“ zurückgewinnen will und seinem abweisenden Sohn als so emotional geladen erlebt.

 Alle Nebenrollen waren mit amerikanischen Kräften besetzt. Peabody Southwell als Flora fiel nicht nur durch ihre wunderschöne Stimme auf, sie genoss sichtlich ihr elegantes Kostüm, die tolle Perücke und ihre durch die Regie wesentlich aufgewertete Rolle. Der gutaussehende Brenton Ryan (Young Artist Program) mit ansprechender Tenorstimme war als eleganter Gastone enorm präsent, die junge Vanessa Becerra, ebenfalls aus dem Young Artist Program, wartete als Annina mit hübscher Stimme auf und bemühte sich aufopfernd um Violetta. Daniel Armstrong gab einen attraktiven Marquis D’Obigny, Daniel Mobbs war als Baron Duphol ein offensichtlich unangenehmer Genosse. Soloman Howard sang mit schönem Bass – fast war die Stimme schon zu groß – einen rührend besorgten Doctor Grenvil. Auch die übrigen winzigen Rollen waren adäquat besetzt.

Der prächtig singende Chor (Chorleitung Grant Gershon) zeichnete sich wie immer durch seine besondere Spielfreudigkeit aus, alle waren sichtlich involviert. Das Ballett auf Floras Party, trat in goldenen Kostümen auf, die den kleinen Skulpturen ägyptischer Tänzerinnen von Demètre Chiparus nahe kamen. Kitty McNamee schuf die passende Choreographie. Gekrönt wurde alles durch den hervorragenden Louis A. Williams, Jr., einem afroamerikanischen Tänzer, der mit seinem geschmeidigen, raubtiergleichen Körper, seinen athletischen Sprüngen und seiner enormen Ausstrahlung beeindruckte und für Riesenapplaus sorgte.

Die orchestrale Qualität dieser Traviata war mit James Conlon am Pult bestens gewährleistet. Seine Tempi fühlten sich einfach immer richtig an, er vermochte die Spannung zu halten und die Handlung voranzutreiben. Die Dynamik reichte vom zartesten Piano bis zum Fortissimo. Bei ihm können sich Sänger geborgen fühlen, er wird sie immer bestens unterstützen. Zudem sind seine so beliebten Einführungen vor den Vorstellungen immer ein besonderes Geschenk für das Opernhaus, an dem er seit 2006 als Music Director unschätzbare Arbeit leistet und nun bis mindestens 2018 bleiben wird. (Domingo hat seinen Vertrag als General Director bis zur Saison 2018/19 verlängert!)

Nachdem schon viel Szenenapplaus gespendet wurde, war das Publikum am Schluss nicht auf den Sitzen zu halten und erhob sich wie auf Befehl beim Aufgehen des Vorhangs, um die Darsteller mit Ovationen zu überschütten. Wobei man streiten konnte, ob nun bei Nino Machaidze oder Plácido Domingo die höhere Phonstärke erreicht wurde!

 Dass auch junge Menschen der Generation 2.0 mitgerissen werden, konnte ich an meiner völlig unerfahrenen Sitznachbarin erleben. Schon im 2. Akt hörbar gerührt, gab es ab dem 3. Akt kein Halten mehr, sie schniefte sich durch den gesamten Akt und mit „Parigi, o cara“ war sie am Davonschwimmen! Hat es mich gestört? Nein, es hat mich gefreut, denn es bewies, dass es wirklich so herzzerreißend war, wie ich es sogar als „abgebrühte“ Zuschauerin empfand.

 Die Premiere wurde live im Radio (KUSC) übertragen, die Vorstellung vom 17. 9. sahen etwa 2500 Personen live auf einer großen Leinwand in der einzigartigen Atmosphäre auf dem Pier von Santa Monica.

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Etwa 2500 Zuschauer verfolgen die Live Übertragung auf der Leinwand in Santa Monica

 Zev Yaroslavsky, der für sein Amt im Board of Supervisors des County of Los Angeles nicht mehr kandidieren kann, ermöglichte als begeisterter Opernfan und zugleich Sponsor diese erste live Video-Übertragung als sein Abschiedsgeschenk. Er wurde mehrfach geehrt, indem er zunächst bei der Saisonpremiere statt James Conlon die Nationalhymne dirigierte – mit vielstimmiger Unterstützung des Publikums – und später im 2. Akt auf Floras Party als Gast erschien. Am Schluss wurde er auf offener Bühne noch mit einem Photo von seinem Auftritt beschenkt und mit herzlichen Worten von Marc Stern (Chairman des Board of Directors) und General Manager Plácido Domingo verabschiedet.

Um allen Missverständnissen und Gerüchten vorzubeugen, druckt man im Programmheft immer folgenden Satz ab: “Any microphones onstage are used for recording or broadcast purposes only; onstage voices are not amplified.“ Obwohl an den großen Häusern die „Verkabelung“ der Sänger längst Standard bei ALLEN Übertragungen für Radio und Video ist, sorgt es bei manchen Zuschauern noch immer für Verwirrung. Je nach Kostüm und Frisur sieht man allerdings manchmal die dünnen, durchsichtigen Kabel am Hals oder Rücken, die winzigen Mikrophone sind meistens bei einem Ohr angebracht. Sollte jemand eine Glatze haben, wird es schwierig! 😉

 Margit Rihl

 P.S.: Wie man aus meinem Bericht unschwer erkennen kann, hat sich Plácido Domingo von seinen sommerlichen, ziemlich massiven Gesundheitsproblemen, die sich wohl schon länger hingezogen haben dürften, aber wahrscheinlich als vorübergehend eingestuft wurden, erholt. Ein Gesundheits-Check in New York verschuf Klarheit. Wie in einem Interview in der Los Angeles Times nachzulesen war, hingen die Atemprobleme im weiteren Sinn mit seiner letztjährigen Lungenembolie zusammen und die „Blaseninfektion“ stellte sich als Übersetzungsfehler heraus. Vom englischen „gallbladder“ hat man wohl einfach auf das „gall“ verzichtet und nur mehr „bladder“ belassen! Dass die Kombination von beiden Problemen nicht gerade förderlich fürs Singen (und Stützen) ist, ist nachvollziehbar. Dass man ihn damit aber bis zur Fernsehübertragung hetzte, weniger! Freiwillig geschah das nicht!

 

 

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