Los Angeles: “DON GIOVANNI” – LA Opera, Premiere, 22. 9. 2012
“Don Giovanni”, das wohl berühmteste “dramma giocoso” der Opernliteratur, bildete das Gegengewicht zum düsteren Drama von “I Due Foscari”: hier wird der Übeltäter bestraft und die Welt zumindest wieder in die rechten Bahnen gelenkt, auch wenn nicht alles eitel Wonne ist! In dieser Peter Stein Inszenierung (die Wiederaufnahme lag in den Händen von Gregory A. Fortner) lag die Betonung wirklich auf “giocoso”. Verfechter des “Regietheaters” , das in den USA mit Vorliebe “Eurotrash” genannt wird, hätten mit dieser traditionellen Interpretation weniger Freude. Denn hier spielte man “ganz einfach” das Stück, es war ohne “Handbüchl” verständlich, ja sogar äußerst vergnüglich. Ich glaube, ich habe noch nie so viel Lachen erlebt wie in dieser Aufführung. Music Director James Conlon meinte in seiner Einführung, dass man dem Werk wahrscheinlich am besten dienen würde, wenn man es einfach so beließe, wie es Mozart und Da Ponte geschaffen hatten: als Meisterwerk! Man kam diesem Ideal auf alle Fälle sehr nahe! Und das vor allem durch das spielfreudige Ensemble, das wirklich MITeinander agierte und reagierte.
Das Bühnenbild (Ferdinand Wögerbauer) dieser von der Lyric Opera of Chicago stammenden Produktion beschränkte sich auf 2 seitliche Wände und einen Platz in der Mitte. Bei Bedarf kam ein kleiner Balkon hinzu oder man schuf daraus einen Innenraum oder einen Friedhof. Die Beleuchtung lag in den Händen von Duane Schuler, die hübschen Kostüme steuerte Moidele Bickel bei.
Die Besetzung des Don fand im Bassbariton Ildebrando D’Arcangelo einen idealen Vertreter: Elegant, sexy, witzig, brutal, je nach Bedarf, mit ausdrucksvoller Körpersprache und einer stimmlichen Palette, die von kernig bis sanft reichte, vom verführerischsten Flüstern bis zum auftrumpfenden Fortissimo. Was für ein Idealfall, hier einen Italiener zur Verfügung zu haben, der es verstand, ja hörbar genoss, den Text – vor allem auch in den Rezitativen – in jeder Silbe auszukosten und mit unzähligen stimmlichen Farben zu interpretieren. Er sah umwerfend aus, was auch die diversen Damen – Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina – so sahen! Nachdem er sich zu allen ziemlich schändlich benommen, sich mit raffinierten und auch nicht gerade zimperlichen Mitteln immer wieder aus der Affaire gezogen, doch mit dem Mord am Komtur definitiv die Grenze überschritten hatte, ereilte ihn zuletzt das gerechte Schicksal. Der Komtur erschien – vollkommen in Weiß – und zerrte ihn schließlich in den Höllenschlund: der Boden öffnete sich, Flammen und Rauch schlugen herauf, Hände versuchten ihn von unten zu packen, dazu die wahrlich dramatische Musik – Don Giovanni verschwand mit einem furchterregenden Schrei in dem Loch!
Einen kongenialen Partner hatte D’Arcangelo in David Bizic. Die Beiden schienen sich blind zu verstehen, ihr Spiel war wie Pingpong.
Ihre gemeinsamen Späße fanden in der Verkleidungsszene ihren urkomischen Höhepunkt. Es wurde so viel gelacht, dass man schon fast keine Musik mehr hörte! Der serbische Bass mit eher hellem Timbre verstand es ebenfalls, den Text auszukosten ohne je die Gesangslinie zu vernachlässigen, er fand immer den idealen Mittelweg. Mit seiner Registerarie löste er – im köstlichen Zusammenspiel mit der Elvira von Soile Isokoski – wahre Lachsalven aus.
Isokoski ihrerseits war eine etwas ungewöhnliche Elvira. Da sie ja nicht mehr zur ganz jungen Garde zählt, übte das bei der insgesamt sehr jungen Besetzung auch einen gewissen Reiz aus. Sie spielte diesen Aspekt auch immer wieder aus, besonders natürlich im oben erwähnten Zusammenspiel mit Leporello. Stimmlich erinnerte sie mich ein wenig an Elisabeth Schwarzkopf, eine perfekt geführte Stimme, die die Kopfresonanzen betonte. Nie hatte man den Eindruck, dass diese Arien besonders schwierig wären, es klang völlig natürlich. Auch das erlebt man selten!
Als Donna Anna konnte die junge Kalifonierin Julianna Di Giacomo mit ihrem großen, leuchtenden Sopran die Anforderungen der Rolle problemlos erfüllen. Fast ungewohnt war es, die Rolle einmal ohne irgendwelche hintergründige Interpretationsversuche zu sehen, was dazu führte, dass man den Text genauer verfolgte und feststellte, dass das, was man sah, auch mit dem Text zusammenpasste. Fast schon eine Seltenheit! Ihre Donna Anna war zweifelsohne vom Gram niedergeschmettert, irgendwelche Hintergedanken, warum sie Don Ottavio nach Don Giovannis Höllenfahrt nicht gleich heiraten wollte, ließ ihre Interpretation nicht zu. Dadurch wurde auch ihr Verhalten gegenüber Don Ottavio verständlich und ließ es nur logisch erscheinen, dass er diesen Verzicht ertrug.
Die schwierige, doch für einen Darsteller undankbare Partie des Don Ottavio sang der russische Tenor Andrej Dunaev. Sein Don Ottavio war das personifizierte Pflichtbewusstsein: edelmütig, verlässlich, opferbereit. Er meisterte die Partie ganz beachtlich. Die Koloraturen wirkten zwar etwas schwerfällig, doch bemühte er sich um schöne Piani und Differenzierung. Insgesamt kam sein kräftiger Tenor gut zur Geltung, wirkte auch in den Ensembles sehr harmonisch.
Das junge Paar Zerlina – Masetto war durch die Besetzung mit 2 wirklich blutjungen Sängern ein wahres Vergnügen. Da war die quirlige, bildhübsche, rumänische Sopranistin Roxana Constantinescu, die nicht nur ausgezeichnet sang, sondern auch absolut bezaubernd spielte. Ihr Zukünftiger wurde vom australischen Bassbariton Joshua Bloom verkörpert, der einen ausgesprochen männlichen Masetto darstellte. Fesch und groß gewachsen, war er durchaus ein glaubwürdiger Widersacher für Don Giovanni. Auch er ein Vollblutschauspieler, absolut köstlich das Mienenspiel, das er an den Tag legte, als Zerlina ihn mit “batti, batti, o bel Masetto” besänftigen wollte. Sein Bass klang schon fast zu groß, kein Wunder, steht doch auch der Leporello auf seiner Repertoireliste.
Der Commendatore wurde von Ievgen Orlov gesungen. Er hätte vielleicht ein wenig temperamentvoller sein können, mir war er vor allem in der ersten Szene etwas zu phlegmatisch, aber stimmlich überzeugte er durchaus. Selbst in der Friedhofsszene konnte man auf jegliche “bedrohliche” Verstärkung verzichten, die Stimme machte auch so genügend Eindruck.
Einen nicht unwichtigen Beitrag zur Theatralik leisteten auch die “Kampfszenen”, die effektiv vom Fight Director Ed Douglas in Szene gesetzt wurden. Erwähnenswert auch die Choreographie von Peggy Hickey, die das Fest Don Giovannis sehr lebendig gestaltete, vor allem den Gegensatz zwischen Bauern und Adeligen plastisch darstellte. Zwei Instrumentalensembles und Tänzer/Sänger (Solisten und Chormitglieder) standen auf der Bühne, so konnte man das rhythmische Nebeneinander hervorragend erleben.
Die musikalische Leitung lag wiederum in den bewährten Händen von James Conlon. Mit flüssigen, harmonischen Tempi, die den Sängern ermöglichten, ihr Bestes zu geben, schuf er die Basis für eine sehr lebendige, unterhaltsame Aufführung, die beim Publikum viel Szenenapplaus und großen Jubel am Schluss auslöste und – das muss man unterstreichen – enorm viel Lachen, was einem dramma giocoso wohl gut ansteht.
Margit Rihl