LINZ/ Musiktheater: Show Boat – Premiere am 12.4.2014
Musical Play
Buch und Songtexte von Oscar Hammerstein II nach dem Roman von Edna Ferber
Musik von Jerome Kern
Foto: Reinhard Winkler für das Landestheater Linz
Das erste Stück, das als ein Musical im klassischen Sinne gelten kann, weil es Text, Musik und Handlung nicht als Nummernrevue, sondern als Einheit präsentiert, wurde am 27. Dezember 1927 im Ziegfeld Theater am New Yorker Broadway offiziell uraufgeführt. Die wichtigsten Verfilmungen sind die von 1936 (James Whale), sehens- und hörenswert wegen des Darstellers des Joe, Paul Robeson, und die von George Sidney 1951 inszenierte Luxus-Farbversion, mit Joe E. „nobody is perfect“ Brown, Howard Keel, Ava Gardner und Kathryn Grayson. Auf europäischen Bühnen erschien dieses Haupt- und Zentralstück der klassischen Musicaltradition erst ab 1970 (Freiburg) bzw. 1971 (Wiener Volksoper in einer Fassung von Marcel Prawy).
In Linz war es noch nie zu sehen – und es wird bald klar, warum: dieses Stück kann man entweder ganz – oder gar nicht aufführen… Als vor drei Jahren und mehr die Planungen für die Bespielung des großen „Musiktheaters am Volksgarten“ anliefen, stand dieses Prachtstück an oberster Stelle des Wunschzettels des neu installierten Leiters der Musicalabteilung, Matthias Davids; und bei der Planung, welches Stück gerade zum ersten Geburtstag des neuen Hauses Premiere haben sollte, fiel die Wahl schnell auf diesen populären Klassiker.
Jedoch – die Handlung überspannt 4 Jahrzehnte (und zwar solche, in denen die Bekleidung üblicherweise ziemlich aufwendig war), spielt außerhalb und im Inneren des namensgebenden Schiffes und an mehreren Orten in Chicago; es sind auch für eine glaubwürdige Umsetzung der Handlung oft 40, 50 und mehr Personen auf der Bühne nötig, dazu großes Orchester, Chor…: es wird also teuer!
Die Ouverture ertönt – das Licht im Zuschauerraum wird heruntergezogen, erlischt aber erst vollständig, wie die ersten Anklänge an „Ol‘ Man River“ zu hören sind. Als der Vorhang hochgeht, sieht man den Bug des Theaterschiffes vor einem Abendhimmel, der aus „Gone with the Wind“ stammen könnte (Lichtdesign: Michael Grundner). In diesem Maßstab geht es weiter: historisch sehr glaubwürdig gewandete Hafenarbeiter und Schiffspersonal, und dann die prachtvollen Roben der Damen der 1880er; die Herren sind auch damals schon etwas weniger aufwendig angezogen gewesen, aber auch hier: Gediegenheit, soweit das Auge reicht. Später, um die Jahrhundertwende, gibts an den Kleidern Pelze und Tüll und vor allem in den 1920ern jede Menge Glasperlen und Strass. Eine wahrhaft gewaltiges Werk der Kostümabteilung (verantwortlich: Richard Stockinger, Christa Dollhäubl, Raimund Steininger), die Entwürfe von Judith Peter prachtvoll umsetzte.
Der Schiffsbug kann, meist auf offener Bühne, im Nu ins Innere des Schiffes (mit der Bühne) verwandelt werden; dann werden andere Teile des Schiffes gezeigt (Drehbühne!), der Bühnenaufbau weicht zurück, wird in wenigen Sekunden zum Hotel in Chicago oder zum Nachtclub… „intelligent design“ in seiner überzeugendsten Form. À propos Intelligenz – schon der Vater des hier als Bühnenbildner verantwortlichen Mathias Fischer-Dieskau wurde als besonders intelligenter Interpret gerühmt; der Sohn ist – auf nicht weit entferntem Metier – nicht aus der Art geschlagen!
Foto: Reinhard Winkler für das Landestheater Linz
Die Geschichte wird im Prinzip textgetreu (Dramaturgie: Arne Beeker), ohne lächerliche „politisch korrekte“ Verfälschungen der Verhältnisse insbesondere in den Südstaaten der USA in der damaligen Zeit (des „roll-backs“ der rassistisch beharrenden Kräfte im Süden nach Aufhebung der Besatzung durch Bundestruppen) dargestellt; nur der Schluß stellt eine Abweichung vom meist in Bühnen- und Filmfassungen gewählten happy end dar, soll sich aber damit wesentlich näher am Roman befinden. Wie auch immer, dramatisch absolut schlüssig. Die Personenführung ist gut durchdacht (und wird von den Akteuren ebenso umgesetzt); vereinzelte Klischees tauchen auf, werden aber immer mit gebührendem Augenzwinkern serviert – kurzum, perfekte Regiearbeit durch den Abteilungsleiter, Matthias Davids, persönlich.
Gesprochene Texte sind Deutsch, die Liedtexte werden in Englisch dargeboten – nun, nicht jede Produktion verfügt über so geniale Übersetzer wie seinerzeit Mel Brooks‘ „Producers“ in Wien mit David Bronner, und so ist die gewählte, in Zeiten der Textprompter, eine gute Lösung; zumal auch alle Darstellerinnen und Darsteller, egal, welchen Herkunftslandes, in beiden Sprachen sehr gut zu Hause sind.
Keinesfalls dürfen die teils ausgesprochen akrobatischen Einlagen des Balletts unerwähnt bleiben; die Choreografie (Simon Eichenberger) hält mit den von den anderen Elementen dieser Produktion gebotenen Schauwerten mit.
Käpt’n Andy Hawkes wurde von Reinwald Kranner anfänglich etwas verhalten dargestellt; nachdem er aber – mitten im ersten Akt – im Alleingang den Rest des „Theaters im Theater“ mit gewaltigem körperlichen Aufwand, in 3 Charaktere zerlegt, fertig spielen mußte (ein Kabinettstück!), um den Abend auf seinem Theaterschiff zu retten, wirkte er förmlich befreit und spielte er sein ganzes vorzügliches stimmliches und mimisches Repertoire aus; möglicherweise hatte er vor dieser extrem fordernden Szene einfach Lampenfieber… Seine Gattin Parthy Ann wurde von Kristin Hölck als (nicht ganz grundlose) Beißzange, der sie aber Eleganz und Würde beläßt, gegeben. Deren Tochter Magnolia „Nola“ stellte Lisa Antoni mit vorzüglicher Stimme (die Mikrofon-Stütze bemerkte man kaum) und berührendem Spiel dar. Gaylord Ravenal, ihr Liebhaber, Ehemann und schließlich aus Scham über sein Versagen abhanden gekommener Lebensmensch war bei Christian Alexander Müller mit vorzüglichem, lyrisch gefärbten Tenor ebenso gut aufgehoben.
Auch wenn das Ehepaar Hawks und deren Tochter das Rückgrat der Handlung bilden – die letztendliche Hauptfigur ist doch Joe, Maschinist auf der „Cotton Blossom“, der auch DEN Hit des Musicals hat (und der damit in kurzen Reprisen auch immer den Handlungs-Fluß kommentiert), also “Ol‘ Man River“. Mit der ebenso kräftigen wie warm timbrierten und perfekt modulierten Baßstimme von Zelotes Edmund Toliver trägt diese Melodie und damit die Rolle eigentlich das Stück. Dieser „schwarze“ Sänger ist wohl so ziemlich der Beste, den man für diese Rolle überhaupt bekommen kann, hat er doch das gesamte schwere Baß-Opernrepertoire bis hin zu den großen Wagner-Rollen, gut genug für die ersten Opernhäuser dieser Welt, drauf. Auch bei ihm merkt man von der Mikro-Technik an sich nichts, kein Wunder bei dieser großen Stimme. Das Mikrofon trägt er nur, um die in dieser Rolle nötige Beweglichkeit zu gewährleisten. Er lehrt an der Musikhochschule Münster, und es ist ihm ein großes Anliegenden, auch den Studenten des Musicalfaches die Notwendigkeit der Entwicklung eines guten Stimmvolumens zu vermitteln – zu viele verließen sich zu sehr auf das Mikrofon und überanstrengten ihre Stimme damit früh, wie er uns bei der Premierenfeier sagte.
Ist Joe eher der Philosoph, so ist seine Gattin Queenie als Köchin der schwimmenden Theatertruppe mehr den praktischen Seiten des Lebens verhaftet; Adi Wolf gibt sie als ebenso resolute wie lebenskluge „Mutter der Kompanie“. Julie LaVerne (Daniela Dett), Star mit Schwierigkeiten (die durch eine besonders perfide Auslegung des Rassismus ausgelöst werden) hat ihren besten Auftritt (von vielen sehr guten) im zweiten Akt, als sie mit „Bill“ ein veritables Chanson, wie es sie eigentlich erst zwanzig Jahre nach der Uraufführung von Show Boat geben sollte, gefühlvoll und mit höchst komplexen Zwischentönen darbietet.
Ariana Schirasi-Fard und Rob Pelzer sind als Ellie May Chipley und Frank Schultz das Komikerduo des Stückes – Schirasi-Fard legt ihre Rolle ein bißchen in Richtung Bette Midler an (und macht das sehr gut), Pelzer besticht, neben seinen stimmlichen und darstellerischen Vorzügen, einmal mehr mit verblüffender Beweglichkeit (siehe auch seine geradezu irrsinnig gelenkige Vogelscheuche im Linzer „Wiz“ und der großartige Carmen Ghia in den Wiener „Producers“!).
Nur kurz auf der Bühne, aber eindrucksvoll schräg, die schaurigen Hinterwäldler Jib und Jeb (Oliver Liebl und Jochen Bohnen), die den Grund für den verzweifelten Auftritt des Kapitäns auf seinem eigenen Theater im ersten Akt liefern. Der teils autoritätsvolle, teils autoritäre, aber doch auch um (seine?) Ruhe bemühte Sheriff Vallon im ersten Akt und der schmierige, harte, aber sachverständige Jim Greene, Chef des „Trocadero“ im 2. Akt werden von Erich Josef Langwiesner vorzüglich differenziert gestaltet.
Kim, Tochter von Nola und Gaylord, wird, als Zehnjährige, von der wohl ungefähr wirklich so jungen Emelie Trahan mit großem darstellerischem Geschick und vorzüglicher Gesangsleistung verkörpert. Mireia González Fernández zeigte mit dem nötigen darstellerischen Rüstzeug für diese großartige Produktion die erwachsene Kim, auch diese schon auf dem Weg zu einer großen Karriere im showbusiness.
Die zwei Chicagoer … naja, „Wunschmädchen“ umschreibt das Richard Wagner, Lottie & Dottie werden von Gabriele Sulzbacher und Ulrike Weixelbaumer mit merklichem Spaß und Freude an der Sache auf die Bühne gestellt. Berührend als alte Dame, die sich an frühere Besuche der „Cotton Blossom“ zurückerinnert: Cheryl Lichter.
Als weitere Ensemblemitglieder in Solorollen (teils auch in mehreren) überzeugten Peter-Andreas Landerl, Franz Binder, Craig Lemont Walters, Richard McCowen, Julius Williams, Anastasia Bain, Conchita Zandbergen, Terja Diava.
Unter der musikalischen Leitung von Kai Tietje ließ das um einige diesem Klangkörper sonst fremde Elemente verstärkte (man konnte z. B. einen prachtvollen „Marshall“-Röhren-Gitarrenverstärker mitten im Orchestergraben erspähen…) Bruckner-Orchester all seine Vorzüge leuchten, samt ein paar neuen Facetten: Operettenseligkeit (aber auch große Lyrik) im Stile von Gilbert & Sullivan vor der Pause, dann Walzer, Ragtime und am Schluß, im „Rausschmeißer“ swingte es sogar richtiggehend! – man fühlte sich an Paul Whiteman erinnert. Sicher auch eine Frucht der widerholten Einstudierungen von früher US-Moderne durch Dennis Russel Davis, von Grofé bis Copland…
Mehr als 15 Minuten Applaus großer Lautstärke, ganz besonders für Zelotes Edmund Toliver, aber auch für das leading team – ein einzelnes, sehr lautes „Buh!“ ertönte, das lediglich zur Folge hatte, daß die Bavorufe an Lautstärke zunahmen…
Mit dieser in allen Aspekten großartigen, ja, gemessen an etlichen Theaterabenden in London, New York und Toronto (und den tollen Wiener „Producers“), wirklich perfekten Produktion könnte sich eigentlich das Musiktheater statt der Adresse „Blumauerstraße“ die eines „Broadway h. c.“ umhängen.
In der Premieren- und Geburtstagsfeier wurde von Intendant Dr. Rainer Mennicken und Gästen, allen voran Landeshauptmann Dr. Pühringer, höchst zufrieden Bilanz gezogen – alleine 300.000 haben das Musiktheater in diesem Jahr zu Aufführungen besucht, ohne Frequenzminderung im alten Landestheater, jetzt Schauspielhaus. In allen Spielstätten zusammen gab es in diesem Zeitraum 30 (!!!) Premieren, davon alleine am Sektor „große Oper“ zwei Uraufführungen.
H & P Huber