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LINZ/ Neues Musiktheater: CARMINA BURANA. Tanztheater von Mei Hong Lin mit Musik von Carl Orff. Premiere

Premiere im Neuen Musiktheater Linz am 1. März 2014: Carmina Burana

Tanztheater von Mei Hong Lin

Musik von Carl Orff

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Copyright: Neues Musiktheater Linz/ Ursula Kaufmann

Die 1937 uraufgeführte Komposition auf die „Beurer Lieder“ aus ca. dem 12. Jahrhundert war als szenisches Oratorium geplant, hat aber durchaus auch opernhafte Züge; seine original Orff‘sche Gattungsbezeichnung lautet „weltliche Gesänge für Soli und Chor mit Begleitung von Instrumenten und mit magischen Bildern“ (cantiones profanae cantoribus et choris cantandae comitantibus instrumentis atque imaginibus magicis). Das ist ein klarer Auftrag. Diesem stellten sich die Linzer Ballettchefin Mei Hong Lin (Choreografie und Inszenierung) Dirk Hofacker (Bühne) Bjanka Adžić Ursulov (Kostüme), und, last not least als „digitaler Visualist“ Valentin Huber, der ein wesentliches Element der Bühne gestaltete: einen vielgestaltigen und beweglichen Mond. Dramaturgische Betreuung: Ira Goldbecher.

Die „magischen Bilder“ dieser Inszenierung befassen sich mit den Aspekten des Lebens, von der Wiege (bzw. dem Kinderwagen) bis zur Bahre, nicht ohne „heutige“ Ausformungen der alten menschlichen und allzu menschlichen Eigenschaften und Begehrlichkeiten, die in den Liedtexten behandelt werden, anzusprechen, sei es in einer casting-show oder in den Toiletten einer ausufernden Party (da gibt’s doch einen aktuellen Schlager von Fun. & Janelle Monáe mit der unzweideutigen Textzeile „my friends are in the bathroom getting higher than the Empire State“…). Valentin Hubers Erdtrabant, der das Publikum als satter Vollmond schon beim Eintritt in den Saal begrüßt, begleitet und kommentiert die Szenen, indem er mitunter den „normalen“ Aspekt unseres Begleiters zeigt, mitunter dessen Rückseite, dann wieder wird er zum Glücksrad; er bekommt Herzflimmern, glüht, umschließt einen Embryo, wird von Schmetterlingen besiedelt, darf sogar einmal „Erde“ spielen. Dazu darf diesmal auch die „große“ Bühnenmaschinerie des neuen Musiktheaters zeigen, was sie kann: auf einer überwiegend schwarzen, immer wieder in verschieden hohe Podien aufgeteilten Bühne wird mit Lichtstimmungen und Leuchtelementen, mitunter auch einem größeren Aufkommen an Sanitärkeramik, beachtliche Vielfalt hervorgezaubert – und oft ganz einfach hinreißend schöne Bilder,.

Dieser theatralisch so gut aufbereitete Raum wird von den Damen und Herren Rie Akiyama, Lara Almonem, Ilja van den Bosch, Mireia González Fernández, Sabra Johnson, Rutsuki Kanetsawa, Andressa Miyazato, Stefanie Prechtl, Anna Štĕrbová, Sakher Almonem, Ohad Caspi, Damián Cortes Alberti, Wout Geers, Sven Gettkant, Alexander Novikov, Geoffroy Poplawski, Pavel Poraznik und Jonatan Salgado Romero mit Leben in seinen vielfältigen Erscheinungsformen erfüllt; sie alle beherrschen sowohl klassisches Ballett wie Ausdruckstanz bis Pantomime, genauso wie beachtliche Akrobatik. Sie tragen meist Alltagskleidung, mitunter Tütüs, mitunter (in der casting-Szene) auch Unter- bzw. Badewäsche (kein Problem heute, Joan Holender wurde nicht im Publikum gesichtet). Abseits dieses 18-köpfigen corps gibt es noch einen solistischen „master of ceremonies“ oder Schicksalsfigur, Julio Andrés Escudero, ebenfalls ein perfekt kompletter Tänzer und Pantomime. Als Sport-Dandy der Jahre vor dem 1. Weltkrieg ausstaffiert, mitunter etwas mephistophelisch in Erscheinung und Fähigkeiten, u. a. auch als „Herzerl-Exhibitionist“ J, kommentiert und dirigiert er die Geschehnisse.

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Copyright: Neues Musiktheater Linz/ Ursula Kaufmann

Gerade in diesem Werk muß auch der Chor an prominenter Stelle genannt werden: 42 Damen und Herren der regulären Formation, wie immer präzise einstudiert von Georg Leopold, unterstützt von 30 Personen des Extrachores (Martin Zeller) und noch einmal ca. 15 vom  Kinder- und Jugendchor (Ursula Wincor). Die Chöre müssen in dieser Inszenierung nicht nur ein gewaltiges (teils solistisches) Gesangs-, sondern auch ein beachtliches Laufpensum abarbeiten, da sie immer wieder zwischen Bühne und seitlichen Ranglogen wechseln. Die Sängerinnen und Sänger tragen schwarze Trikots, sind so wenig sichtbar. Ihre wechselnde Verteilung im Saal bewirkt aufregende Raumklangerlebnisse (mitunter allerdings machen sich, sitzt man nicht nahe der Mittelachse, die großen Distanzen und damit Laufzeiten des Klanges bemerkbar).

Die Soli des Baritons Seho Chang und des Soprans Mari Moriya gehören zum besten, was bislang am Landestheater zu hören war – sei es beim scheinbar mühelosen Ansingen gegen das große Orchester, sei es in wunderbar zart phrasierten und trotzdem tragfähigen, lange ausgesungenen Pianissimostellen – wobei Herr Chang dazu öfter in die Kopfstimme wechseln muß, was seine Aufgabe sicher nicht leichter macht. Weltklasse! Weniger Gelegenheit, seinen vorzüglichen Spieltenor artgerecht auszuführen, hat Matthäus Schmidlechner mit seinem kurzen Auftritt „in taberna“ als Schwan am Spieß – jedoch entschädigt er uns durch köstliche Komödiantik, die ein bisserl an Red Skelton im Film „Badende Venus“ erinnert. Übrigens: die elegante und majestätische, dabei federleicht wirkende rote Robe von Frau Moriya hätte am Opernball so ziemlich alle Abendkleider, die heuer zu sehen waren, geschlagen.

Den gewaltigen Dynamikumfang des Werkes und die Aufgabe, 240 Mitwirkende in Takt und Balance zu halten, bewältigt Ingo Ingensand mit Bravour. Sein Dirigat ist spannungs- und farbenreich, das Bruckner Orchester spielt unter seiner Leitung transparent und präzise, und die kritische Synchronisation der großen Schlaginstrumentenbesetzung funktioniert die ganze Aufführungsdauer von ca. 75 Minuten hindurch perfekt.

Begeisterter und langer Applaus, auch für das Produktionsteam – und natürlich ein höchst zufriedener Intendant bei der Premierenfeier…

 H & P Huber

 

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